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Hundertvierzig ermordete Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zählt der Internationale Bund Freier Gewerkschaften
(IBFG) weltweit in seinem jüngst veröffentlichten "Jahresbericht über die Verletzungen von Gewerkschaftsrechten 2000". Im
Vorjahreszeitraum waren es noch 17 Todesfälle weniger.
Das ist nur die Spitze des Eisbergs. "Hunderte wurden zusammengeschlagen, verhaftet, in
Gefängnisse gesperrt und gefoltert, nur weil sie Gewerkschaftsarbeit verrichet hatten", erklärt Bill Jordan, Generalsekretär der in
Brüssel ansässigen Organisation. Der IBFG war 1949 von einigen antikommunistischen Gewerkschaften, die zuvor aus dem Weltgewerkschaftsbund
ausgetreten waren, gegründet worden. Das Klima werde "Jahr für Jahr gewerkschaftsfeindlicher und die Arbeitnehmer verlieren zunehmend an
Rechten", klagt nun der IBFG.
Die Informationen stammen aus Berichten der Mitgliedsorganisationen, der internationalen
Berufssekretariate und der regionalen Organisationen sowie von Menschenrechtsorganisationen und aus den Medien. Trotz der großen Anzahl von Quellen gibt
es Regionen, zu denen kaum Angaben vorliegen, z.B. aus dem Nahen Osten. "Dort sind die meisten Gewerkschaften schlicht und einfach verboten oder werden
streng von den Behörden kontrolliert", so der IBFG.
In Europa kritisiert der IBFG die Lage der Gewerkschafter in nahezu allen osteuropäischen
Staaten. "Betrug, Korruption und ungezahlte Löhne" seien weit verbreitet, in Weissrussland habe der Präsident Alexander Lukaschenko
mühselige Registrierungsverfahren für Gewerkschaften eingeführt und individuell befristete Verträge zum regulären
Beschäftigungsverhältnis gemacht. Die schärfste Kritik übt die internationale Organisation jedoch an Russland. Dort seien Lehrkräfte
vier bis 18 Monate nicht mehr bezahlt worden. Ein Lehrer sei bei einem Hungerstreik gestorben. Ein hungerstreikender U-Bahn-Beschäftigter beging
Selbstmord, weil er seit elf Monaten keinen Lohn mehr erhalten hatte.
Gewerkschafter, die sich an Protesten gegen ungezahlte Löhne beteiligen, leben in Russland
gefährlich. Der IBFG zählt drei aktive Gewerkschafter, die deshalb ermordet wurden. Einer hatte sich zusätzlich mit Korruptionfällen
befasst, bei einem anderen wiesen alle Spuren auf den "Einsatz eines gedungenen Killers" hin.
Aber auch in der Europäischen Union steht nicht alles zum Besten. Neben
Großbritannien, Norwegen und Belgien kritisiert der IBFG die BRD. Nicht zum ersten Mal: Nach eigenen Angaben weist der IBFG die Regierungen in
Deutschland schon seit 40 Jahren darauf hin, dass das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte dem von der Bundesrepublik ratifizierten ILO-Abkommen Nr.87
entgegenstehe. Bisher ohne Erfolg.
Auch wenn Jordan die "allgemeine Heuchelei" verurteilt, "wenn sich
Regierungsvertreter bei internationalen Zusammenkünften angeblich für grundlegende Rechte einsetzen", stellt er das Prinzip der
Sozialpartnerschaft nicht in Frage. Er appelliert sogar an diejenigen, "die behaupten, die Welt zu führen", dies "auch tatsächlich zu
tun". Mit anderen Worten: Die Industriestaaten sollen gewerkschaftliche Rechte in der zweiten und dritten Welt durchsetzen. Angesichts der
gewerkschaftsfeindlichen Politik einiger Industriestaaten wolle Jordan "den Bock zum Gärtner machen", so ein kritischer Gewerkschaftsexperte.
Gerhard Klas
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