Sozialistische Zeitung |
Bis zum Schluss blieb Daniel Singer trotz der Verheerungen durch "Neue Philosophen" und der von
"humanitären Kriegstreibern" hervorgerufenen Zerstörungen ein klarsichtiger Repräsentant von Sozialismus und Internationalismus.
Ihm war ein gründliches und inspirierendes Verständnis der Menschheit eigen. Seine intellektuellen Anstrengungen waren der Sache der
Unterdrückten, die keine Stimme haben, gewidmet in den Spalten der New Yorker liberalen Wochenzeitung The Nation ebenso wie in seinen Essays
für die linke Zeitschrift Monthly Review.
Er war ein hervorragender Journalist, und seine spezielle Gabe bestand in der Kunst sich, ohne sich
jemals zu wiederholen, klar und deutlich zu äußern, was vielleicht die Tatsache erklärt, dass er, obwohl in Paris lebend, keine
regelmäßige Kolumne in der französischen Presse hatte. Daniel gehörte zu den Intellektuellen, deren Produktion in den offiziellen Kreisen
mit Vorurteilen betrachtet wird. Es waren profane Texte, die sich, ohne je nihilistisch zu werden, weigerten den herrschenden Werten Reverenz zu erweisen.
Ich traf Daniel zum ersten Mal im Haus seiner Mutter, Esther Singer. Als junges Mädchen
hatte sie Rosa Luxemburg gehört und den noch jungen Isaac Deutscher Zugang zu den Marx-Bändern auf ihrem Bücherregal verschafft.
Daniels Vater war einer der prominentesten Journalisten Warschaus in der Zwischenkriegszeit und schrieb brillante Essays für die größte
Tageszeitung der Stadt. Den bedeutendsten politischen Einfluss übte Isaac Deutscher auf ihn aus.
Esther hatte mich in den späten 60er Jahren mit Daniel bekannt gemacht, und wir wurden
sofort Genossen, trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheit. Wir werden alle seinen Optimismus vermissen, seine Weigerung, Kompromisse zu machen, und eine
Beharrlichkeit, die vollständig frei von Dogmen war.
Ich glaube, er hätte folgende Worte Lessings gemocht: "Geh deinen unmerklichen
Schritt, ewige Vorsehung! Nur lass mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln. Lass mich an dir nicht verzweifeln, wenn selbst deine Schritte mir
scheinen sollten zurückzugehen! Es ist nicht wahr, dass die kürzeste Linie immer die gerade ist." [G.E.Lessing: Die Erziehung des
Menschengeschlechts (1780), §91.]
Tariq Ali
Daniel Singer war ein Leuchtfeuer für uns amerikanische Linke, die glauben, dass die Kämpfe für die menschliche Freiheit im
großen wie im kleinen Rahmen unteilbar sind. Von den Ereignissen im Mai/Juni 1968 in Frankreich über die großartige polnische
Erhebung von 1980, die Solidarnosc hervorbrachte, die größte Gewerkschaft der Geschichte, bis zum vergangenen turbulenten Jahrzehnt, war Daniel ein
Chronist der besten Art leidenschaftlich, engagiert, parteilich, doch aufgeschlossen, immer optimistisch, doch kritisch, und niemals in irgendeiner Weise
sektiererisch.
Daniel verstand, dass der Sozialismus "nicht gescheitert ist, denn er ist nie versucht
worden", wie er es auszudrücken pflegte; doch erkannte er die vielen Wege, in denen der Sozialismus als Bewegung versäumt hatte, sein Potenzial
zu erreichen. Er begriff sowohl das instinktive Streben zum Sozialismus, das jeder wirklichen Bewegung der Arbeiterklasse innewohnt besonders in seiner
geliebten Analogie der polnischen Arbeiterklasse mit Molières Gestalt, "die Prosa sprach, ohne es zu wissen" , aber auch, dass dieses
Streben nicht erfolgreich sein kann, wenn es nicht bewusst wird und selbstständig geäußert wird.
Die wunderbaren Bücher und Artikel, die uns Daniel hinterlassen hat, werden ihren Beitrag zur
Erneuerung der sozialistischen Bewegung leisten. Doch für diejenigen von uns, die das Glück hatten, ihn persönlich gekannt zu haben, sind diese
Werke nur ein Teil seines Vermächtnisses. Wir werden Daniel sehr vermissen als Freund wie als Genossen.
David Finkel
Aus: Against the Current (Detroit), Nr.90, Januar/Februar 2001.
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