Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 14.02.2001, Seite 1

USA und EU

Frust in der NATO

Die Sicherheitskonferenz, die Anfang Februar wie jedes Jahr in München stattfand, hat Spannungen in der NATO aufgezeigt. Spannungen, die zwar schon länger vorhanden sind, jetzt aber beim Münchner Treffen — einer Konferenz ohne Entscheidungszwang — in ungewohnter Deutlichkeit zutage getreten sind.
Die Konferenz war spannungsgeladen, weil hier erstmals europäische und amerikanische Politiker zusammensaßen, seit erstens sicher ist, dass die von der EU Ende 1999 in Helsinki beschlossene europäische Eingreiftruppe tatsächlich aufgestellt wird, und zweitens in den USA mit George W. Bush ein entschiedener Befürworter des geplanten Raketenabwehrsystems (Nationale Missile Defense — NMD) ins Weiße Haus eingezogen ist.
Dem amerikanischen Senator John McCain blieb es in München überlassen, die amerikanische Skepsis gegenüber den europäischen Partnern offen auszusprechen: "In den letzten anderthalb Jahren scheint jeder EU-Gipfel und jedes Ministertreffen der NATO eine Krise der transatlantischen Beziehungen gewesen zu sein — insbesondere aufgrund von Streitigkeiten über die unabhängige Eingreiftruppe der Europäischen Union."
Ginge es nach McCain, würden die europäischen NATO-Staaten ihre Energien besser auf die Stärkung der NATO konzentrieren. "Die transatlantische Partnerschaft benötigt keine neuen Institutionen, sondern verbesserte Fähigkeiten", brachte McCain die amerikanischen Bedenken auf den Punkt. Tatsächlich hat die EU mit der "neuen" Truppe keinen einzigen Soldaten mehr aufgestellt, sondern schon vorhandene Einheiten unter EU-Label zusammengefasst und somit eine neue Institution geschaffen.
"Keine Duplizierung der Institutionen und Fähigkeiten", versicherte der deutsche Außenminister Fischer den amerikanischen Bündnispartnern. Es gehe bei der geplanten europäischen Eingreiftruppe um "eine Vermehrung des Nutzens" und nicht um "gegenseitige Schwächung". Doch das klingt wenig beruhigend in amerikanischen Ohren, insbesondere wenn Fischer die NATO als Mittel zum Zweck für die EU beschreibt: "Wir wollen die NATO nutzen, um ihre Ressourcen auch der EU zu erschließen".
Kritisierten die nach München gereisten Politiker der neuen Bush-Administration ihre europäischen Kollegen wegen der EU-Eingreiftruppe, gaben sie sich versöhnlich beim Thema Raketenabwehr. "Ich möchte unseren Freunden hier in Europa ganz deutlich sagen: Wir werden Sie konsultieren", versuchte der neue US-Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld, europäische Bedenken gegen die Raketenabwehr zu zerstreuen.
Fischer und Schröder warnten dagegen vor einem neuen Wettrüsten und warben dafür, russische Bedenken ernst zu nehmen. "Ein neues Wettrüsten, etwa in Asien oder im Weltraum, oder eine Beschleunigung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen würde weltweit weniger statt mehr Sicherheit schaffen", so Fischer. Außerdem dürfe, so Fischers "Kernpunkt" Nummer 1, der Zusammenhalt der NATO nicht gefährdet werden.
Doch im Grundsatz konnten die deutschen Einwände nichts ausrichten. Die USA beabsichtigen, das Raketenabwehrsystem zu entwickeln und zu stationieren, um sich gegen "unbesonnene und skrupellose Aggressoren" wehren zu können, bekräftige Rumsfeld. Den Bündnispartnern bot er an, sie "bei der Stationierung eines solchen Verteidigungssystems zu unterstützen".
So mussten amerikanische Politiker in München lernen, dass die EU-Staaten entschlossen sind, eigene Strukturen aufzubauen, die dann vielleicht indirekt der NATO zugute kommen. Umgekehrt sahen europäische und deutsche Politiker wie gering ihr Einfluss auf amerikanische Politik ist.
In den USA wird das Raketenabwehrsystem parteiübergreifend befürwortet, mit der Wahl von Bush gilt es als beschlossene Sache. Somit wurde in München deutlich — und so wurde die Konferenz auch in bundesdeutschen Medien gewertet — dass die USA sich höchstens noch von technischen Problemen abhalten lassen, die Raketenabwehr zu bauen. Nicht aber von europäischen Regierungen.
Festzustellen bleibt: Frustration herrscht im NATO-Bündnis, das Klima ist rauher geworden. Doch die NATO muss keineswegs an den bestehenden Konflikten auseinanderbrechen: Die europäischen NATO-Staaten werden die Raketenabwehr letztlich akzeptieren, da ein Bündnis mit Russland und China gegen die USA in einer so wichtigen Frage wie der Raketenabwehr für sie keine ernsthafte Option ist. Genauso werden sich die USA mit der EU und ihrer Einsatztruppe arrangieren.
Das Ergebnis könnte so aussehen: Die USA verfügen über einen Abwehrschirm, der eventuell auch den europäischen NATO-Staaten zur Verfügung steht und außerdem als Theater Missile Defense (TMD) in regionalen Kriegen eingesetzt werden kann.
Die EU wiederum verfügt über eine eigene Eingreiftruppe, die — bessere Finanzierung und davon abhängig Aufklärungskapazitäten und Transportmittel vorausgesetzt —, in Nordafrika, im Nahen Osten oder im Kaukasus unabhängig von den USA kämpfen soll. Insgesamt wären die NATO/EU-Staaten noch hochgerüsteter, als sie es ohnehin schon sind.

Dirk Eckert

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