Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 14.02.2001, Seite 2

Verärgerte Herren im Hause

Unternehmerpräsident Dieter Hundt sieht die "unternehmerische Freiheit" bedroht. Peter Stihl, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) droht mit Verfassungsklage, falls das von Arbeitsminister Riester entworfene neue Betriebsverfassungsgesetz (BVG) verabschiedet werden sollte.
Dabei bleibt dieser Entwurf weit zurück hinter den Versprechen der "rot"- grünen Regierung in ihrer 1998 besiegelten Koalitionsvereinbarung. Diese sah vor, ein BVG zu verabschieden, das für alle Arbeitenden gilt. Mitbestimmungsfreie Räume sollte es nicht mehr geben. Daran erinnern Betriebsräte aus Medien-, Druck- und Papierverarbeitungsbetrieben in einer Anzeige, in der sie auffordern, den jetzt vorliegenden Entwurf zu verbessern durch: "Einbeziehung aller Beschäftigten eines Unternehmens in den Schutz der Betriebsverfassung, also z.B. auch der ‚Werksvertragsarbeitnehmer‘ und ‚arbeitnehmerähnlichen‘ Beschäftigten; gleiche Mitbestimmungsrechte in Medien und Kulturbetrieben wie in anderen Branchen, das Relikt ‚Tendenzbestimmung‘ muss endlich weg."
Aus einer 1999 veröffentlichten Studie "Mittelstand in Deutschland" des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung geht hervor, dass von rund 1,1 Millionen mittelständischen Unternehmen in Deutschland mit einem Jahresumsatz ab 250000 Mark aufwärts rund 700000 Firmen über 5 und mehr Beschäftigte verfügen. Nach geltendem Recht müssten sie bei 5—20 Beschäftigten eine Person als ihre Interessenvertretung haben und ab 20 Beschäftigten drei Personen. In Wirklichkeit jedoch sind diese Mittelstandsbetriebe weitgehend mitbestimmungsfrei. Nur 4% der Betriebe bis zu 20 Beschäftigten haben einen Betriebsrat, bei 21—50 Beschäftigten sind es 16%, und erst bei 51—500 Beschäftigten hat die Mehrheit (67%) einen Betriebsrat. Riester schlägt lediglich vor, das Wahlverfahren in kleinen und mittleren Betrieben zu vereinfachen und bessere Möglichkeiten für die Wahrnehmung der Belegschaftsinteressen zu schaffen.
Schon ab einer Betriebsgröße von 200 Beschäftigten sollen Betriebsräte freigestellt werden. Beschäftigte in Kleinbetrieben bis zu 50 Personen sollen die Chance haben ihre Betriebsräte direkt auf einer Versammlung wählen. Das aber ist eine "Entbürokratisierung". Zeitraubende Wahlverfahren ermöglichen es, nämlich Wahlvorstände, Kandidaten und Belegschaften mit Prämien, Druck und Schikanen von Wahlen fern zu halten.
Die Verbandsfunktionäre der Unternehmer möchten offenbar, dass die Beschäftigten ihr Schicksal getrost in die Hände ihrer "Betriebspapis" legen. Diese sind durchaus nicht immer bösartig. Was aber, wenn sie unter dem Druck mächtiger Großkonzerne oder hartherziger Bankiers geraten? Wenn ihnen gar droht zu den 20000—30000 zu gehören, die jährlich ihren Bankrott anmelden müssen? Oder wenn sie durch kriselnde Börsenkurse Verluste erleiden? Bricht dann nicht auch bei der nötigen Verteilung der zu erbringenden Opfer der totgeglaubte "Klassengegensatz" auf?
Und wie sollen die Gewerkschaften ihren Mitgliedern oder Betriebsräte den Belegschaften erklären, dass sie eben Erwerbslosigkeit oder fast stagnierende Lohneinkommen bei erheblichen Gewinnsteigerungen erdulden müssen, um den shareholder value nicht zu gefährden, weil all dies unumstößliche Gesetze der Marktwirtschaft erforderlich machen?
Die Kosten für die durch den Riester-Plan vorgesehene Erhöhung der Zahl der Freigestellten sollen nach Berechnungen eines Instituts 2,7 Milliarden Mark ausmachen. Selbst wenn diese Zahl nur über den Daumen gepeilt ist und wir sie als wahr annehmen, macht dies kaum ein halbes Prozent der von Unternehmern aus ihren Firmen entnommenen Gewinnen aus.
So viel sollte den "Herren im Hause" ihre Belegschaft doch noch wert sein, um ihre Illusionen über die Segnungen der Marktwirtschaft nicht zu zerstören.

Jakob Moneta

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