Sozialistische Zeitung |
Seit der Januar-Tagung des World Economic Forum in Davos gibt es wieder einen definitiven Fahrplan für die
Welthandelsorganisation (WTO): die nächste Ministerkonferenz wird Anfang November in Qatar, einem Kleinstaat am Persischen Golf, stattfinden. Die
Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, denn das Vorhaben, mit der Ministerkonferenz eine neue Verhandlungsrunde einzuläuten, steht auf wackeligen
Füßen.
Die ehemaligen Generaldirektoren der WTO und ihrer Vorläuferinstitution GATT (General
Agreement on Tariffs and Trade), Renato Ruggiero, Peter Sutherland und Arthur Dunkel sehen sogar das gesamte Welthandelssystem in Gefahr. Ursache dafür
seien die handelspolitischen Spannungen zwischen der EU und den USA, die zunehmende Fragmentierung des globalen Handelssystems durch regionale und bilaterale
Handelsabkommen und die Zweifel an der Arbeit internationaler Institutionen, die seit dem gescheiterten Gipfel von Seattle beständig zunehmen würden.
Eine besondere Bedeutung kommt in dieser Konstellation den Entwicklungs- und
Schwellenländern zu. Ihre kollektive Abwehrhaltung gegenüber der Politik der Quad-Gruppe (USA, Kanada, Japan und EU) in der WTO hatte die letzte
Ministerkonferenz im Dezember 1999 in Seattle zum Scheitern gebracht. Denn anders als beim Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank gilt in der
WTO das formale Prinzip "ein Land, eine Stimme". Zuvor war es der Quad-Gruppe immer wieder gelungen, ihren Informationsvorsprung den sie
dank ihrer kostspieligen Beraterstäbe hat für sich auszunutzen.
Nun stehen die Forderungen der Entwicklungsländer zumindest bei den öffentlichen
Verlautbarungen der WTO an erster Stelle. Die Regierungen der Entwicklungsländer kritisieren mehrheitlich nicht die Liberalisierung des Weltmarkts, sondern
fordern vielmehr ihre konsequente Umsetzung, z.B. die Eleminierung von Importquoten in der Textilindustrie und die Beseitigung von Subventionen in der
Agrarwirtschaft. Ihre Kritik richtet sich gegen ein Handelssystem, das der Quad-Gruppe einen mehr oder weniger versteckten Protektionismus zugesteht, der in den
Entwicklungs- und Schwellenländern aber mittels des WTO-Schiedsgerichts sanktioniert wird. Auch ein kürzlich vorgelegter Bericht der Weltbank
bemängelt die Wachstumsaussichten der Dritten Welt, die in erheblichem Ausmaß durch protektionistische Handelsbarrieren der Industrieländer
beeinträchtigt seien.
In der EU-Kommission kaum eine Woche, in der es nicht eine Konsultation mit Regierungsvertretern
aus den Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch mit Nichtregierungsorganisationen aus dem Norden gibt, um das angekratzte Image der WTO zu
reparieren. EU-Aussenhandelskommissar Pascal Lamy will außerdem beim nächsten EU-Ministerratstreffen seine Initiative "Everything but
Arms" (EBA Alles außer Waffen) absegnen lassen.
Sollte er sein Ziel erreichen, würden mit unverzüglicher Wirkung Handelsbarrieren
für alle Güter aus den 48 ärmsten Ländern fallen mit Ausnahme von Waffen, für die es nach wie vor nur eine Handelsrichtung
gibt. Übergangsregelungen soll es lediglich für Zucker, Reis und Bananen geben. Schon heute ist die EU mit 56% größter Importeur von
Waren aus diesen Ländern, die fast ausschließlich aus dem Rohstoff- und Agrarsektor kommen.
Voraussichtlich wird die EBA-Initiative in Euro gerechnet nicht einmal die Milliardengrenze
überschreiten. Gemessen an Importen aus Industrie- oder Schwellenländern handelt es sich also um eine relativ niedrige Summe, an die allerdings
Bedingungen geknüpft sind: die EU-Kommission will mit ihrem Vorstoß "den Willen der ärmsten Länder stärken", die
Politikvorstellungen der EU zu übernehmen. Die 48 Länder sollen damit "auf einen Weg der Erholung und Entwicklung" gelangen, schreibt
die EU-Kommission und will damit jeden Verdacht ausräumen, es könnte sich dabei um eigennützige Motive handeln.
Anfang Februar lud der EU-Handelskommissar ein Dutzend Handelsminister nach Genf zu einem
informellen Treffen am Sitz der WTO ein. Auf Widerspruch stößt bei solchen Treffen regelmäßig die Forderung der EU nach
"Umwelt- und Sozialstandards", in der nicht nur die Regierungsvertreter, sondern auch Repräsentanten von NGOs aus Entwicklungsländern
wie Martin Khor vom malaysischen Third World Network versteckten Protektionismus erkennen.
Während die ehemaligen Generaldirektoren von WTO und GATT ebenfalls der Ansicht sind,
dass die Entwicklungsländer nicht mit Forderungen nach "Arbeitsrecht- und Umweltschutzstandards belastet werden sollen", unterstützt z.B.
Renate Künast, Ministerin für Verbraucherschutz, die Position der EU vorbehaltlos. In den USA sind es vor allem die Mitglieder der Demokratischen
Partei und ihre gewerkschaftliche Wählerklientel, die sich für die Standards stark machen.
Für viele Gegner der Globalisierung, die sich parallel zum World Economic Forum in Davos
auf der südlichen Hälfte des amerikanischen Kontinents zum World Social Forum im brasilianischen Porto Alegre trafen, steht das nicht mehr zur
Debatte. Für die mehrheitlich aus der Dritten Welt stammenden Teilnehmer hat die WTO trotz der Bemühungen um ein humanes Antlitz längst
jeden Kredit verspielt. Zu offensichtlich ist das Primat der Ökonomie, dem alle anderen Belange untergeordnet werden. Unter den Globalisierungsgegnern in
Porto Alegre sind die Stimmen derer lauter geworden, die die weltweiten Produktionsverhältnisse grundsätzlich kritisieren.
Im Kleinstaat Qatar, in dem politische Demonstrationen und Parteien verboten sind, erhoffen sich die
Handelsminister der mehr als 150 WTO-Mitgliedstaaten einen ruhigen Verlauf ihrer Verhandlungen. "Anstatt auf die Belange der Demonstranten einzugehen,
zieht die WTO den Schluss, ihre Treffen dort abzuhalten, wo politische Proteste grundsätzlich verboten sind", bemerkt Kenneth Roth, Direktor von
Human Rights Watch, einer der größten Menschenrechtsorganisationen weltweit.
Vertreter des internationalen Bauernverbandes Via Campesina, dem auch die brasilianische
Landlosenbewegung angehört, haben unterdessen in Porto Alegre angekündigt, dass sich die "WTO, Weltbank und IWF nicht vor den Protesten
verstecken können". Selbst in der Wüste werde man gegen sie protestieren.
Gerhard Klas
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