Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.04 vom 14.02.2001, Seite 5

Prager Fernsehstreik

Ein Kampf gegen die Zensur

"Der Kampf ums Fernsehen ist zu Ende. Ein Feilschen ums Fernsehen bricht an", schrieb letzte Woche ein Kommentator in Prag. Da am Freitag, den 9.Februar, die Abgeordnetenkammer einen neuen "Übergangs"-Direktor des öffentlichen Tschechischen Fernsehens (CT) gewählt hat, scheint der Kampf tatsächlich beendet zu sein. Ob dieses Ende eine wirklich endgültige Entscheidung bedeutet, bleibt allerdings abzuwarten. Denn es ging in diesem Streit um mehr als um die Frage, wer diese öffentlich-rechtliche Anstalt leitet.
Das Tschechische Fernsehen (so lautet der offizielle Name) sendet auf zwei Kanälen (CT1 und CT2); das CT2 bedient eher die Bildungs- und Kunstinteressen einer kleinen Zuschauergemeinde. Der erste Kanal bemüht sich, den Bedarf an Nachrichten zu befriedigen — und gerade in der Nachrichtenredaktion brach der Kampf aus. Neben dem öffentlich-rechtlichen gibt es noch ein Privatfernsehen, genannt NOVA, das seit seiner Gründung vor fünf Jahren zu einem mächtigen politischen Mitspieler in der Öffentlichkeit wurde. Dessen Nachrichten entbehren jedoch jeder Qualität — den größten Raum nehmen Sensationen wie Mord und sonstige Verbrechen ein. Dieser Sender stellte sich von Anfang an gegen die "Rebellen" des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Ein Journalist sagte zum Fernsehstreik, dies sei nicht eine Krise des Tschechischen Fernsehens, sondern eine Fernsehkrise, also eine Situation, die die Institution selbst weit übersteigt. Was aber war der Grund dafür?
Eine etwas vereinfachende, aber doch richtige Antwort wäre: Die öffentliche Meinung wendet sich zunehmend gegen die Vereinnahmung der Politik und der Regierungsgewalt durch die Parteien, weiss jedoch nicht, wie ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen (die Wahlen sind noch über ein Jahr entfernt), und bricht daher bei jeder "passenden" Gelegenheit aus.
Als vor vier Jahren der Fernsehrat des öffentlichen Fernsehens zum ersten Mal nach streng parteipolitischen Quoten besetzt wurde, wurde dies in der Öffentlichkeit kaum vermerkt. Die Empfindlichkeit der Öffentlichkeit hatte noch eine sehr niedrige Schwelle. Im Frühling 2000 konnte schon die meistgelesene Tageszeitung titeln: "Politik trat in den Fernsehrat ein". Der Grund: Das politische Klima, für das die Koalitionsvereinbarung zwischen den zwei stärksten (wenn auch ideologisch gegensätzlichen) Parteien, der ODS (Bürgerlich-Demokratische Partei, Vorsitzender Vaclav Klaus) und der Sozialdemokraten (Vorsitzender Milos Zeman) bezeichnend ist, hat sich stark verändert. Noch im Herbst konnten im Fernseh- und Rundfunkrat — letzterer ist nicht mit dem Fernsehrat identisch, sondern steht sozusagen "darüber", ohne große Kompetenzen zu haben — Berater von Vaclav Klaus und dessen Stellvertreter Langer durchgesetzt werden.

Was ist Meinungsfreiheit?

Als jedoch der Fernsehrat vor knapp zwei Monaten den Intendanten, der nicht einmal ein Jahr im Amt war, abberief und binnen 18 Stunden aus etwa 30 Bewerbern einen neuen ernannte, versagten zuerst die Nachrichtenredakteure und nach ihnen auch die meisten Fernsehangestellten dem neuen Chef die Gefolgschaft und traten gleich darauf in den Streik.
Der neue Intendant, Jiri Hodac, der in den 70er Jahren regimetreue Artikel schrieb, dann nach England emigrierte und dort in der tschechisch-sprachigen Sendung des BBC arbeitete und britischer Bürger wurde, hatte das CT einige Monate zuvor verlassen, nachdem er erfolglos für kurze Zeit die Nachrichtenredaktion geleitet hatte.
In der Zwischenzeit versuchte er, Sprecher der ODS zu werden. Als er nun Frau Bobosikova zur Leiterin der Nachrichtenredaktion ernannte, die zwar vor einigen Jahren dort gearbeitet hatte, inzwischen aber im Beraterstab von Vaclav Klaus beschäftigt war, schien sich der Verdacht zu bestätigen, die Partei von Klaus versuche, die öffentlich-rechtliche Anstalt völlig zu beherrschen. Frau Bobosikova, die von keinem der Redakteure respektiert wurde, begann ihre Arbeit damit, dass sie den Unbotmäßigen kündigte — diese betrachteten die Kündigungen jedoch als ungesetzlich und gingen weiter ihrer Beschäftigung nach.
Die wichtigsten Forderungen der Streikenden ließen sich in zwei Punkten zusammenfassen:
ein neues Fernsehgesetz — eine erste Fassung davon hatte das zuständige Kultusministerium bereits angekündigt. Es sollte vor allem ein anderes Verfahren bei der Wahl der Mitglieder des Fernsehrates regeln. Der Fernsehrat sollte nicht mehr von politischen Parteien, sondern von einem breiten Spektrum nicht-politischer Organisationen vorgeschlagen werden, um den Einfluss der Parteien möglichst zu begrenzen;
und ein neues Management. Das bestehende, angefangen beim Intendanten, sollte abberufen werden.
Die Streikenden argumentierten, sie verteidigten die Meinungsfreiheit, besonders gegen den Fernsehrat, der den politischen Parteien, nicht der objektiven Berichterstattung diene. Der Rat konterte mit der Behauptung, er sei gesetzmäßig gewählt und habe gesetzmäßig den Intendanten gewählt; die streikenden Angestellten handelten daher gesetzeswidrig, und weil sie ihrem Vorgesetzten die Gefolgschaft verweigerten, verstießen sie auch gegen das Arbeitsrecht. Als solche seien sie "Rebellen". Da sie außerdem die Senderäume besetzt hätten, hielten sie öffentliches Eigentum als Geisel.
Jiri Hodac versuchte, die Polizei zu rufen, doch diese bezeichnete sich — zweifellos auf Empfehlung des Innenministers — als "nicht zuständig". Nun versuchte der Intendant, die Unbotmäßigen dadurch "zur Vernunft" zu bringen, dass er ihre Sendungen — meistens Nachrichten — durch Abschalten unterbrach und auf dem schwarzen Bildschirm eine Entschuldigung einblendete; später versuchte sich dann die Bobosikova mit amateurhaften, kurzen und schlecht redigierten Nachrichtensendungen.

Die neuen Machthaber wie die alten

Weil die Nachrichtensendungen der Redakteure nur über Kabel und Satellit vermittelt wurden, die meisten Haushalte sie also nicht empfangen konnten, bestand der einzige "Erfolg" dieser Bemühungen darin, dass die Zuschauer noch mehr zu den Sendungen des Privatsenders NOVA umschalteten, dessen Direktor feindlich gegen die "Rebellen" wetterte. In diesem Moment wurde die Frage der Meinungsfreiheit, die die Streikenden verteidigten, tatsächlich aktuell. Denn die Tag für Tag sich wiederholenden Abschaltungen kamen einem Zensureingriff gleich.
Zwei Wochen nach dem Ausbruch des Streits, Anfang Januar, kam es in Prag zur ersten Massendemonstration zur Unterstützung der "Rebellen" — es war die größte Massenkundgebung seit 1989. Sie wurde von einer schnell organisierten "Bürgerlichen Vereinigung" genannt "CT — öffentliche Angelegenheit", zusammengerufen. 100000 Menschen nahmen an ihr teil. Und da dieselben Politiker, die 1989, unterstützt von ähnlichen Massenprotesten, an die Macht gelangt waren, jetzt abschätzig über "die Straße" und "die Masse" sprachen, war es ein unmissverständliches Zeichen, wie die Öffentlichkeit über sie denkt. Ähnliche Demonstrationen gab es in Brno und Ostrava, wo die CT regionale Sender unterhält, später noch in einigen anderen Städten. Auch Meinungsumfragen zeigten, dass die Mehrheit der Bevölkerung eindeutig hinter den Streikenden stand. Bemerkenswert war der Standpunkt der Kommunistischen Partei: Sie betrachtete die Rebellen als "Illegale", wohingegen der größte tschechische Gewerkschaftsverband (Nachfolger der Staatsgewerkschaft vor 1989) die Streikenden unterstützte, obwohl deren Gewerkschaft keinem Verband angehört.
Noch bevor der neue — auch unter dem Druck der Öffentlichkeit gestresste — Intendant zusammenbrach und ins Krankenhaus gebracht wurde, kurz danach aus Gesundheitsgründen aufgab, ernannte er die Leiterin der Rechtsabteilung, Vera Valterova, zu seiner Bevollmächtigten. Diese versuchte, seine "harte" Politik fortzusetzen, hielt die Kündigungen auf und erklärte Ende Januar sogar, die Gehälter der Streikenden würden ihnen nicht ausgezahlt, weil sie sich im Streik befänden. Daraufhin versprach der Gewerkschaftsvorsitzende, die Gewerkschaften seien bereit, das nötige Geld zu beschaffen, und zwar auch mit internationaler Hilfe — denn der Kampf im tschechischen Fernsehen fand auch internationale Unterstützung . So kam der Generalsekretär des Internationalen Journalistenverbands nach Prag, nicht nur um sich zu informieren, sondern auch um die Hilfe seines Verbands anzubieten.
Das tschechische Parlament nahm inzwischen ein neues Fernsehgesetz an. Viele Beobachter glauben, es wäre in mancher Hinsicht schlimmer als das alte — aber die wichtigste Neuerung, ein anderes Verfahren bei der Wahl der Mitglieder des Fernsehrates, ist doch darin enthalten. Weil diese Wahl aber ein relativ zeitraubendes Verfahren ist, beschloss die Abgeordnetenkammer, die als einzige das Recht dazu besitzt, einen Übergangsdirektor zu ernennen. Das geschah, wie eingangs erwähnt, am 9.Februar.
Der Übergangsdirektor wird wohl einige Monate amtieren, bevor ein neuer Fernsehrat gewählt ist. Sein erster Schritt war, mit den Streikenden zu verhandeln und ihre Forderungen anzunehmen (was Vaclav Klaus erzürnte); er enthob also das bisherige Management seiner Funktionen und zahlte die zurückgehaltenen Gehälter aus. In diesem Sinne ist "Frieden" in das Tschechische Fernsehen zurückgekehrt.
Man kann vielleicht sagen, die Bürger seien die Sieger: sie haben begonnen sich der Tatsache bewusst zu werden, dass Demokratie mehr sein kann (und soll), als einmal in vier Jahren zur Wahl zu gehen, dass sie auch persönlich für die Entwicklung ihrer Gesellschaft verantwortlich sind.

Stepan Steiger (Prag)

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