Sozialistische Zeitung |
In einer Untersuchung darüber, wo noch das eine oder andere abzustauben ist, haben die Finanzberatungshäuser Merryl
Lynch und Cap Gemini Ernst & Young viele neue Millionäre in deutschen Landen ausgemacht. 365000 Euro-Einkommensmillionäre gibt es
demnach zur Zeit und in den letzten Jahren wuchs deren Zahl jährlich um 5,3%. Sie verfügen insgesamt über 2 Billionen Euro Vermögen.
Nur 9,5% der Millionäre leben übrigens in den neuen Bundesländern.
Auch was die herrschende Klasse angeht, stehen die Ostprovinzen also auf der Kippe und das
Davonjagen der alten feudalsozialistischen Nomenklatura hat noch nicht einmal im Paradebeispiel der Restauration des Kapitalismus, der DDR, das nötige
Personal für die Bourgeoisie zurückgelassen. Im bevorzugten Jagdrevier des deutschen Kapitals, der EU, stellen die Krauts gute 30% der Reichen. Ein
beträchtlicher Teil der Millionäre spielt allerdings nur in der dritten und vierten Liga. Im gesamten EU-Bereich gibt es nur noch die kleine Gruppe von
3200 auf die Enteignung Wartender, die mehr als 30 Millionen Euro besitzen, also die hypothetische Lotto-Jackpot-Grenze überwunden haben, den zu knacken
ja bekanntlich jedem offen steht.
Dass ein popeliger Lottokönig zwar unter den Achseln der tatsächlichen herrschenden
Klasse schnuppern kann, aber trotzdem noch immer nicht zu ihr gehört, wurde fast zeitgleich von einer Studie des Darmstädter Soziologieprofessors
Michael Hartmann enthüllt. Er hat sich mit der Ontogenese der Bourgeoisie beschäftigt, und siehe da, auch hier setzt sich der alte Merksatz durch, dass
diese immer noch und vor allem eine verkürzte Rekapitulation der Phylogenese ist. Die Karriere von Führungskräften, heißt es in dieser
Untersuchung, hängt "maßgeblich von der sozialen Herkunft" ab. Nicht etwa die sog. "harten" Fakten wie Abschlusszeugnisse
oder Schnelligkeit beim Studium wären entscheidend, sondern die Abstammung aus Familien des gehobenen Bürgertums, die "Soft"-
Faktoren einer Biografie.
Die Söhne der herrschenden Klasse, von Spitzenbeamten, akademischen Freiberuflern und
Unternehmern mit mehr als zehn Angestellten, zusammen nicht mehr als 3% der Bevölkerung der Bundesrepublik, haben danach bis zu 400% bessere
Karrierechancen als Söhne der Arbeiterklasse.
Der Soziologieprofessor macht dafür eine Art von "natürlicher
Souveränität" verantwortlich, die sich der Jungbourgeois vom ersten Atemzug an aneignen könne. Geschmack und Umgangsformen der
Herrschenden lassen sich zwar sehr wohl erlernen, "aber nicht das Selbstverständliche daran". In Deutschland würde dabei nur ein Zustand
wieder hergestellt, der in anderen Ländern ununterbrochen seit Entstehen des Kapitalismus besteht. In England, Frankreich und Nordamerika stammen seit jeher
zwei Drittel bis zu vier Fünftel der Spitzenmanager in Politik und Wirtschaft aus der Oberschicht.
Die spezifische Nachkriegssituation im Weltkriegverliererland Deutschland plus eine kleine Prise
sozialdemokratischer Mehr-Demokratie-wagen-Willi-Gleichmacherei hat bis in die 70er Jahre noch relativ viele Mittelschichtler in die Reihen der Herrschenden
vordringen lassen. Jetzt werden die Reihen wieder fest geschlossen. Und ein sozialdemokratischer Kanzler darf höchstens als "Genosse der Bosse"
den geduldeten, sozusagen Büroboten der gehobenen Klasse spielen.
Und was ist mit den "Töchtern"? Nur ganze 4,2% der vom Professor Hartmann
befragten Nachwuchskräfte waren weiblichen Geschlechts. Die Aussichten von Frauen in hohe Positionen zu gelangen sind, so der Professor, "nahezu
aussichtslos".
Schließlich wäre diese Entwicklung zur Rekrutierung der herrschenden Klasse aus sich
selbst noch immer rasant im Gange. Die deutsche Bourgeoisie strampelt auch die letzten Spuren eines möglichen Nicht-ernst-genommen-Werdens ab, bei der
"großen Politik wie schon lange im Wirtschaftsgeschehen, aber eben auch in der Pflege ihres Klassendaseins".
Was bleibt also den Übriggebliebenen? Nicht auf Lottomillionen, auf New Economy und
Aktienspielereien vertrauen, mehr als der Katzentisch der Reichen wird dabei selbst den Erfolgreichsten nicht offen stehen, sondern selbst die gute alte
"natürliche Souveränität" der Arbeiterklasse zurückgewinnen! So viel mehr als vor 150 Jahren beim Marxschen
Proletarier ist heute wirklich nicht zu verlieren. Die Ketten gehören aber immer noch dazu.
Thies Gleiss
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