Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 01.03.2001, Seite 1

US-Aggression gegen den Irak

Bomben fallen — Aktien steigen

Am Freitag, den 16.Februar, stürzten an der Wall Street die Kurse der Hightechaktien ab. Der Nasdaq-Index sank um über 5% auf ein Rekordtief. In den Tagen zuvor hatten Analysten der Aktienmärkte gewarnt, Hightechaktien seien hoffnungslos überbewertet.
An jenem Freitag jedoch flogen um 13 Uhr, wenige Minuten vor Börsenschluss, US- amerikanische und britische Kampfflugzeuge Bombenangriffe auf Bagdad, laut Pentagon ein "Routineakt der Selbstverteidigung".
Die US-Medien applaudierten. Die Broker an der Wall Street applaudierten nicht nur, sie atmeten erleichtert auf. Denn die Bomben hatten den Börsentag gerettet: Der amerikanische Aktienmarkt brach nicht zusammen. Er stürzte nicht ein. Die Kurse waren bei Börsenschluss gerade mal um 1% gesunken. Es war ein Routinetag — es sei denn, man lebte gerade in Bagdad.
In der Zwischenzeit arbeiteten Analysten der Finanz- und Rüstungswelt hart daran, trotz stagnierender Telekom- und Computerkurse das "Vertrauen in den Aktienmarkt" wiederherzustellen.
"Die Hersteller der Kriegstechnologie der Nation, Wall-Street-Analysten und Unternehmensberater rühmten eine Woche lang die bevorstehenden politischen Kursänderungen im Pentagon und die neuen Möglichkeiten, die sich dadurch eröffneten. Nach 15 Jahren angespannter Haushaltslage nährten sie wieder neues Wirtschaftswachstum. Inmitten der Baisse zogen die Aktien der Rüstungs- und Luftfahrtindustrie an, als 24 US- und britische Kampfflugzeuge irakische Militärziele mit präzisionsgesteuerten Langstreckenwaffen trafen." (Reuters, 16.2.)
In den letzten Stunden des Börsenhandels schossen die Rüstungskurse nach oben, ebenso die Öl- und Energiekurse, nachdem bekannt wurde, dass irakische Ölanlagen getroffen worden waren.
Der Kurssturz vom 16.Februar hatte sich bereits zum Börsenschluss des Vortags angekündigt. Analysten sagten in den Abendnachrichten, eine größere "Korrektur" der Hightechwerte sei "unvermeidlich". Die Finanzpresse hatte zuvor durchblicken lassen, die US-Rüstungsindustrie könnte ebenfalls davon betroffen werden, sollte die neue Bush-Regierung militärische Beschaffungsprogramme kürzen.
Ein paar Tage vorher hatte Lockheed Martin (LMT), Amerikas größtes Rüstungsunternehmen, wegen der "geringen Nachfrage" auf dem kommerziellen Satellitenmarkt erhebliche Einschnitte in der Satellitenproduktion angekündigt. Ein Unternehmenssprecher verkündete, Lockheed wolle Finanzmittel aus dem unsicheren zivilen Geschäft in die lukrativere Produktion fortgeschrittener Waffensysteme umschichten.
In den letzten Wochen haben Rüstungsunternehmen bei der neuen Administration in Washington harte Lobbyarbeit geleistet. Am 12.Februar versprach Bush, nach "umfassender Revision der Militärausgaben" die Militärausgaben drastisch nach oben zu schrauben. Die New York Times (12.2.) berichtete, Bush plane, "mit den Glaubenssätzen des Pentagon zu brechen und eine neue Architektur für die Verteidigung Amerikas und unserer Verbündeten zu schaffen"; das bedeute "Investitionen in neue Technologien und Waffensysteme anstelle marginaler Verbesserungen von Waffensystemen, in die die US-amerikanische Rüstungsindustrie bereits Milliarden Dollar investiert hat".
Am 14.Februar bestätigte er eine Anhebung des US-Rüstungshaushalts um 2,6 Milliarden Dollar, die vor allem in die Erforschung und Entwicklung neuer Waffensysteme investiert werden sollen.
Zwei Tage später wurde Bagdad von der US Air Force bombardiert.
Die Angriffe waren ein Zeichen an die Wall Street, dass Bush sein Versprechen, die "Verteidigung der Nation wieder zu stärken", ernst nehme. Hätte die Bush-Regierung anders entschieden, hätten die Aktien von Lockheed Martin an der New Yorker Börse wahrscheinlich dasselbe Schicksal erfahren wie die von Nortel Networks Corporation, der Welt führender Fiberglashersteller.
Die Botschaft an die Finanzmärkte war eindeutig: Die Baisse würde die "zivilen" Hightechwerte treffen, auch Aktien von Computergiganten wie Dell Computers und Hewlett Packard; aber die Kurse der Rüstungsindustrie — Boeing, General Dynamics, Lockheed Martin, Northrop-Grumman und Raytheon, die "Großen Fünf im Rüstungsgeschäft — würden davon ungeschoren bleiben und eine gute Anlage versprechen. Die Analysten der Wall Street schlossen daraus messerscharf und ohne mit der Wimper zu zucken, "bei dem Schwerpunkt, den die Bush-Regierung auf die Rüstung legt, ist Optimismus angesagt, dass die Industrie auch in diesem Jahr den Markt überflügeln wird" (Nightly Business Report, 19.2.).
Der neue Tenor an der Wall Street ist: Trotz des Rückgangs der US-Wirtschaft stellen Rüstungsaktien "eine sichere Zuflucht für Aussteiger aus der Dot-Com-Implosion dar". Institutionelle Anleger schichten bereits ihre Portfolios um.
Krieg und Globalisierung gehen Hand in Hand. Militarisierung ist ein integraler Bestandteil der neoliberalen Agenda. Die Aufblähung des Rüstungshaushalts füttert die Fünf Großen der US-Rüstungsindustrie, während zivilen Programmen wie Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit die Finanzmittel vorenthalten werden — nicht zu reden vom Niedergang der Infrastruktur in den Städten. Während die Rüstungsproduktion nach oben schnellt, stecken die Sektoren der US-Industrie, die Konsumgüter und Dienstleistungen herstellen, in der Krise. Die US-Produktion für den Binnenmarkt hängt mehr und mehr vom militärisch-industriellen Komplex und dem Verkauf von Luxusgütern ab (Reisen, Freizeit, Luxusautos usw.).
Die Bombenangriffe auf Bagdad sollten sicherlich die Länder einschüchtern, die ein Ende der Sanktionen gegen den Irak fordern. Darüber hinaus aber ist Amerikas "Raketendiplomatie" dazu da, die politische und wirtschaftliche Dominanz der USA zu stärken.
McDonald‘s kann nicht gedeihen ohne McDonnel Douglas.

Michael Chossudowsky

Michael Chossudowsky lehrt Ökonomie an der Universität Ottawa, Kanada. Das Original ist zu finden auf http://emperors-clothes.com/articles/choss/bombs.htm.



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