Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 01.03.2001, Seite 6

Ruhrgebietspolitik in der Krise

Das Ruhrgebiet: nach wie vor die Region mit besonderer politischer Bedeutung, in dem sich die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft fokussieren lassen. Wichtige Erfahrungen der Arbeiterbewegung, aber auch entscheidende Entwicklungen der mächtigsten Unternehmen fanden hier statt.
Die krisenhafte Entwicklung in den neuen Bundesländern hat manchmal die Sicht auf die Krisenregionen der alten BRD verstellt — und hier ist das Ruhrgebiet mit seinen 5,5 Millionen Menschen auch das Gebiet, in dem Regionalpolitik seit Jahrzehnten versucht, die Krisen zu bekämpfen.
Einer der sehr guten Kenner dieser Region, Hermann Bömer vom Institut für Raumplanung an der Uni Dortmund, hat nun ein Buch herausgegeben mit dem Titel Ruhrgebietspolitik in der Krise, in dem er die ganze Bandbreite der jahrelangen Entwicklung im Revier untersucht.
Er ordnet den regionalen Krisenprozess ein in die neoliberale Wirtschaftspolitik der letzten Jahre und weist auf den Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit, absinkender Bevölkerung und Unternehmensentscheidungen hin, die den Betroffenen des jeweiligen Betriebs und der wichtigen Branchen am eigenen Leibe zeigen, wie moderner Kapitalismus funktioniert, und wie wenig Politik dagegen ausrichten konnte.
Seine ausführliche Analyse beschränkt sich nicht auf die Darstellung von Trends und Statistiken. Er macht an den Beispielen Ruhrkohle, Mannesmann-Vodafone und Thyssen-Krupp klar, wie es die Entscheidungen von einzelnen Unternehmen sind, die als regionalpolitische Wirkung Arbeitslosigkeit, Stadtflucht, Auseinanderdriften der Stadtteile und Probleme bei der Neuansiedlung von anderen Unternehmen haben.
Dabei ist das Ruhrgebiet auch immer Ziel von Geldern der EU, des Bundes und des Landes NRW gewesen, die regionalpolitische Ziele damit verfolgten. Insbesondere die Gelder für die Montangebiete wurden in dieser Region eingesetzt. Sie konnten bisher die kapitalistischen Krisenfolgen weder verhindern, noch ernsthaft umsteuern.
Hermann Bömer analysiert, dass die Demontage des Sozialstaats und dazu die Schwächung der Steuerprogression — Maßnahmen des neoliberalen Wirtschaftsprogramms der letzten Bundesregierungen — die regionalen Krisen noch verschärfen.
Anhand der Einkommens- und Armutsverteilung, der Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit, sowie der besonderen Probleme der Ausländer zeigt er die Folgen auf.
Die Folgerung: es könne keine vernünftige Regionalpolitik geben, die nicht von der Gesamtwirtschaftspolitik gestützt werde. Er betont, dass insbesondere die Arbeitszeitverkürzung der 80er Jahre zu einer Verlangsamung der Krisenfolgen in der Montanindustrie geführt hat und beklagt, dass dies Instrument nicht weiter geführt und verstärkt worden ist.
Seine Argumentation entwickelt sich anhand der Vorschläge, welche die alternativen Wirtschaftswissenschaftler (Memorandum-Gruppe) bis hin zur europäischen Ebene gemacht haben, um sowohl auf europäischer wie nationalstaatlicher wie regionaler Seite umzusteuern.
Besonders kritisch sieht er die gegenwärtige Politik der Clement-Regierung, die sich eher an der Schaffung von Niedriglohn- und Sonderwirtschaftszonen, auch an der Förderung von Großprojekten wie CentrO und Dortmunder Bahnhofsüberbau orientieren, statt an einer grundsätzlich anderen Politik im Interesse der Betroffenen.
Die Versuche der Regionalpolitik, von der Wirtschaftsförderung über die Weiterverwendung von Bergbaubrachen bis hin zur Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) im Ruhrgebiet die Beschäftigung zu fördern, beurteilt er differenziert und argumentiert mit den realen Ergebnissen, die die Einschnitte durch die Rationalsierungswelle und die Bergbaukrise nicht auffangen können.
Hermann Bömer stellt strategische Ansätze für eine andere Politik dar: Beschäftigungsprogramm, Arbeitszeitverkürzung, andere Energie- und Verkehrspolitik und eine bessere Bildungspolitik seien als Kernaufgaben genannt.
In einem letzten Kapitel diskutiert er die Kräfte, die für eine Veränderung stehen könnten. So kommt die Aufkündigung der Regionalverantwortung der Konzerne zusammen mit einer tarifpolitischen Defensivposition der Gewerkschaften, einer Sparpolitik der öffentlichen Haushalte. Er sieht weniges, was dem entgegen steht, etwa in den Gewerkschaften, Kirchen und Umweltverbänden oder der Agenda 21.
Das Buch ist auf jeden Fall allen zu empfehlen, die sich in irgend einer Form in die Politik im Revier einmischen wollen oder müssen, ob kommunal oder gewerkschaftlich — auch wenn die wissenschaftlich erforderliche theoretische Betrachtung viel abverlangt. Argumentation und Stoffsammlung reichen für viele Diskussionen und sind sicher auch Hilfe für Linke, mit guten Argumenten gegen die Folgen der Krise im Revier eingreifen zu können.

Rolf Euler

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