Sozialistische Zeitung |
Ein Freitagabend im "International Centre" der Kirchengemeinde Groß St. Martin, einem Treffpunkt von
Migrantinnen in Köln. Drei Dutzend philippinische Frauen sind zusammengekommen. Der Anlass: Heute wird das Buch TransEuroExpress. Filipinas in
Europe* vorgestellt und darin geht es um ihre Geschichten, um ihre Erfahrungen und um ihre Probleme.
Diese Lesung läuft völlig anders ab als das hierzulande gewöhnlich der Fall ist.
Es gibt philippinische Snacks vom Krabbensalat bis zu gebratenen Hühnerbeinen, es wird temperamentvoll erzählt und gelacht, eine Frau hat ihre
Gitarre mitgebracht und die Herausgeberin des Buches, Mary Lou Hardillo-Werning, braucht die Anwesenden nicht erst zu überreden, zum Auftakt ein
philippinisches Lied zu singen. Erst nach zum Teil persönlichen Begrüßungen kommt sie zum eigentlichen Anlass des Abends und auf ihr Buch zu
sprechen.
"Dieses Buch ist eine Sammlung von über 50 verschiedenen Geschichten von Filipinas
in Europa, von Finnland bis Griechenland. Es handelt sich um Ich-Erzählungen, Gedichte, Exzerpte von Forschungen über Filipinas und die
vielfältigen Hintergründe ihrer Migration nach Europa und wie sie ihr Leben hier gestalten."
Bei der Veranstaltung wechselt Hardillo-Werning auch dies typisch für das Thema des
Abends ständig zwischen drei Sprachen: Sie redet Tagalog, die philippinische Landessprache, in der Filipinas untereinander kommunizieren, Deutsch,
das sie hierzulande mit ihren Ehepartnern, Kindern, Arbeitskollegen und Freunden sprechen, und Englisch, das die ehemalige Kolonialmacht USA auf den
Philippinien eingeführt hat.
In diesen drei Sprachen sind auch die Beiträge des Buchs verfasst, das der auf asiatische
Literatur spezialisierte Horlemann-Verlag in Bad Unkel herausgegeben hat. Zwar sind viele Beiträge der 264 Seiten starken Publikation in Deutsch nachzulesen,
aber ihr Vorwort hat Hardillo-Werning auf Englisch geschrieben. Es trägt den Titel "Migration Vignettes" "Vignetten der
Migration" und gibt einen Überblick darüber, wann und warum die ersten philippinischen Migranten nach Europa kamen:
"Ins Ausland zu gehen, um dort zu arbeiten und zu leben, war für viele Filipinos lange
Zeit gleichbedeutend mit einer Reise nach Amerika. Bis in die späten 60er Jahre war Europa kein Ziel für philippinische Migranten. Dorthin brachen
allenfalls Pilger auf, um sich den päpstlichen Segen und geweihtes Wasser zu holen, und neureiche Touristen, die kaum mehr von Europa wussten als: ‚Wenn es
Dienstag ist, müssen wir wohl in Belgien sein. Erst in den späten 60er Jahren schwemmte eine erste Einwanderungswelle medizinisch
ausgebildetes Personal aus den Philippinen an die Ufer von Donau und Rhein. Wie Missionare machten sie sich um das kränkelnde Gesundheitssystem der
wirtschaftlich starken Deutschen verdient. Doch sobald die Krise des Gesundheitswesens 1974 überwunden war, stoppte die deutsche Regierung die
Einwanderung philippinischer Fachkräfte. Sie erteilte keine Arbeitserlaubnisse mehr und auch bestehende Arbeitsverträge wurden nicht mehr
verlängert."
Inzwischen leben nach offiziellen Angaben etwa 25000 Filipinos und Filipinas in Deutschland.
"Nach Zwischenstationen in Südostasien und Indien landete ich 1979 das erste Mal in Europa. Als Rucksackreisende mit Interrailticket schlief ich in
Erste-Klasse-Zügen, billigen Hotels und auf dem Schiffsdeck bei der Überfahrt von Brindisi nach Patras. Ich duschte in Bahnhöfen, stocherte in
Supermarktabfällen nach Essbarem und bereitete mir damit meine Picknicks im königlichen Garten von Monaco oder auf irgendwelchen schattigen
Parkbänken, um Geld zu sparen und die europäischen Hauptstädte von Lissabon bis Lappland abklappern zu können", beschreibt
Hardillo-Werning ihre ersten Eindrücke.
Kulturschock Europa
Schon bei diesen ersten Reisen sah sich Hardillo-Werning mit dem konfrontiert, wovor Migrantinnen, die nach Europa kommen, noch heute Angst haben:
"Den staatlichen Überwachungsapparaten von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, ist eine der Erfahrungen, an die sich alle gewöhnen
müssen, die ins Ausland gehen. Das gilt vor allem bei der Überquerung von Grenzen. Ich selbst spüre noch immer ein gewisses Magengrummeln,
wenn ich mit einem Grenzbeamten konfrontiert bin, auch wenn ich über gültige Visa und eine permanente Aufenthaltserlaubnis in diesem Europa
verfüge, das laut Schengener Abkommen angeblich über offene Grenzen verfügt."
Seit Anfang der 80er Jahre lebt Hardillo-Werning in Deutschland. Sie ist mit einem deutschen
Publizisten und Philippinen-Experten verheiratet und verfügt deshalb, anders als viele Filipinas in Europa, über einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Von
dem Kulturschock, den nach ihren Erfahrungen fast alle ausländischen Frauen hierzulande zu überwinden haben, blieb auch sie nicht
verschont:
"Seit meiner Ankunft befinde ich mich in einem ständigen Prozess des Beobachtens,
Entdeckens, Lernens und Anpassens. Vor allem anpassen muss man sich in vielerlei Hinsicht, schon um sich Unannehmlichkeiten zu ersparen. So ist es hier
üblich, sich zu verabreden, aber ich musste erst mal lernen, dass es auch einer Verabredung bedarf, wenn man mit Freunden bloß einen Kaffee trinken
will. Und man muss lernen, sich durchzusetzen, schon um beim Einkauf seiner Brötchen bedient zu werden, wenn man an der Reihe ist, ohne dass sich jemand
vordrängelt."
Es sind vor allem diese kleinen, genauen Beobachtungen aus dem hiesigen Alltag, die das Buch auch
für europäische Leser und Leserinnen spannend machen. Die philippinischen Migrantinnen betrachten unsere Gesellschaft von außen. Dadurch
wirkt vieles, was uns selbstverständlich erscheint, reichlich fragwürdig, wenn nicht sogar abwegig oder verblüffend engstirnig.
Daneben bietet das Buch eine Fülle von Fakten über Migrationsbewegungen und die
soziale Lage von Filipinas in Europa. So waren im Jahre 2000 etwa eine halbe Million Migranten aus den Philippinen in Europa registiert, die meisten davon
170000 in Italien, gefolgt von 80000 in Großbritannien und 60000 in Deutschland.
Im Unterschied zu Einwanderern aus anderen Ländern wie der Türkei, Griechenland
oder Jugoslawien, liegt der Anteil der Frauen unter den Migranten aus den Philippinen mit 80% außergewöhnlich hoch. Der Grund dafür ist, dass
Europa aus den Philippinen vor allem fehlendes Personal für frauentypische Berufe einreisen lässt, vorzugsweise Krankenschwestern, Hebammen und
Haushaltshilfen.
Heiratsvermittlung mit Fallstricken
In mehreren Beiträgen des Buches beschreiben Filipinas aus verschiedenen europäischen Ländern ihre oft schmerzlichen Erfahrungen in
diesen Arbeitsbereichen. Bei überlangen Arbeitszeiten sind sie häufig unterbezahlt, werden von manchen Arbeitgebern wie Sklavinnen behandelt und
nicht selten diskriminiert, erniedrigt und gedemütigt.
Noch bedrückender sind die Berichte über die Folgen der überall in Europa
verbreiteten Heiratsvermittlung philippinischer Ehefrauen an europäische Männer. Auch wenn die meisten dieser Ehen mit beiderseitigem
Einverständnis geschlossen werden, so gibt es doch erschreckend viele, in denen Filipinas sich ständigen physischen und psychischen Misshandlungen
ausgesetzt sehen.
Da aber ihr Aufenthaltsrecht in Europa vom Bestand ihrer Ehen abhängt, befinden sich diese
Filipinas in einem Teufelskreis, aus dem sie kaum ausbrechen können. Verlassen sie ihre Männer, um Gewalt und Erniedrigung in ihren Ehen zu
entgehen, droht ihnen zum Beispiel in der Bundesrepublik die sofortige Ausweisung. EU-Einwanderungsgesetze, die geschiedenen Migrantinnen kein
eigenständiges Aufenthaltsrecht gewähren, treiben viele Frauen in die Illegalität und als Folge davon nicht selten auch in die Prostitution.
Trotzdem wehrt sich Hardillo-Werning in ihrem Buch wie bei ihren öffentlichen Auftritten
gegen das weit verbreitete Klischee, die meisten philippinischen Frauen kämen mit der Absicht nach Europa, als Bardamen, Tänzerinnen und
Sexarbeiterinnen schnelles Geld zu verdienen oder sich einen reichen europäischen Mann zu angeln.
"Von Anfang an ging es mir mit diesem Buchprojekt darum, vor allem positive Erfahrungen zu
vermitteln. Ich wollte den weit verbreiteten Klischees ein differenzierteres Bild über Filipinas in Europa entgegenzusetzen", erzählt Hardillo-
Werning in Köln. "Gerade gestern war in Vox wieder so eine typische Heiratsvermittlungs-Geschichte zu sehen. Darin ging es um eine Filipina, die kein
Wort deutsch verstand und sich deshalb mit ihrem Ehemann überhaupt nicht unterhalten konnte. Ihre Ehe war zudem angeblich auch noch von einer anderen
Filipina eingefädelt worden, die sehr stolz darauf schien. Fernsehberichte wie diese machen all das kaputt, was wir mit unseren Frauenorganisationen in den
letzten 20 Jahren aufgebaut haben."
Mit Beiträgen unter den Titeln "Kolonialware Frau", "Vorsicht
Frauenhandel" und "Endstation Gießen" verweist auch Hardillo-Werning in ihrer Publikation darauf, dass Filipinas häufig zu Opfern
geldgieriger Heiratsvermittler, Menschenhändler und Zuhälterringe werden. Und mit den im Anhang des Buches aufgeführten Kontaktadressen von
philippinischen Frauengruppen in ganz Europa bietet sie den Betroffenen auch konkrete Hilfestellungen an. Aber gleichzeitig betont sie immer wieder, dass nur ein
Bruchteil der philippinischen Migrantinnen mit Problemen dieser Art konfrontiert ist. Die große Mehrzahl führt in Europa ein sicher nicht leichtes, aber
doch zumindest geregeltes Leben.
Hardillo-Werning hat einige in beruflicher wie persönlicher Hinsicht erfolgreiche Filipinas,
z.B. eine Verlegerin aus den Niederlanden, um Beiträge für ihr Buch gebeten, weil deren Erfahrungen anderen Frauen als Vorbild dienen können.
Um den weit verbreiteten Vorurteilen gegenüber Migrantinnen in Europa zu begegnen, schildert das Buch in politischen Analysen und in bewegenden
Porträts auch die Gründe, die Filipinas dazu veranlasst haben, ihr Land und ihre Familien zu verlassen. So schreibt Nena Gajudo über "Ein
Jahrhundert der Migration":
"Internationale Wanderbewegungen sind in der Regel durch Missgeschick oder
Unterdrückung verursacht. Als die Philippinen Ende des vorigen Jahrhunderts unter amerikanische Herrschaft kamen, suchten viele Menschen ihr Glück
auf den Plantagen Hawaiis und Kaliforniens oder in den Konservenfabriken Alaskas. Vor hundert Jahren hatten die Migranten ihre eigenen Gründe und
Probleme: Rassismus, Ausbeutung, niedrige Löhne, miserable Arbeits- und Lebensbedingungen. Die heutigen weltweiten Wanderbewegungen klingen wie ein
Echo der Übel jener Vergangenheit. An die Stelle des Sklavenhandels trat der Menschenhandel, der Frauen, Männer und Kinder in Zwangsarbeit und
Prostitution treibt und Arbeiterinnen und Arbeiter illegal in die verschiedensten Länder verfrachtet."
Eine der Migrantinnen ist Lily Angelical. Die 61-Jährige kam 1972 als Haushaltshilfe nach
Madrid. Ihr Beweggrund: Sie hatte miterleben müssen, wie ihr Bruder vor Hunger starb und wollte, dass so etwas in ihrer Familie nie mehr wieder vorkommt.
Heute engagiert sie sich im Netzwerk der philippinischen Migrantinnen in Europa. Dafür wurde sie im Jahre 2000 vom philippinischen Präsidenten sogar
als eine der "Migrantinnen des Jahres" ausgezeichnet. Denn auf den Philippinen haben Migrantinnen einen guten Ruf, weil von den meisten Familien
irgend jemand in Japan, den USA, dem Nahen Osten oder auch in Europa arbeitet.
Schon 1997 wurde die Zahl derjenigen, die auf der Suche nach Arbeit aus den Philippinen in alle
Welt ausgezogen waren, auf 7 Millionen geschätzt. Das heißt: Jeder siebte Filipino bzw. jede siebte Filipina arbeitet im Ausland. Da die meisten
regelmäßig Geld an ihre Familien zu Hause schicken, sind die Überweisungen der philippinischen Beschäftigten aus aller Welt zur
wichtigsten Devisenquelle des Landes geworden.
Und zwei Drittel dieser volkswirtschaftlich wichtigsten Einnahmen für die Philippinen
stammen von Frauen, die in Übersee arbeiten. Statt Fakten wie diese als beschämendes Urteil über ihre eigene Politik zu verstehen, hofiert die
korrupte philippinische Regierung die Migrantinnen in Fensterreden und mit fragwürdigen Preisverleihungen. Aber sie zeigt sich reichlich zögerlich,
wenn es darum geht, zumindest die übelsten Formen des internationalen Menschenhandels zu bekämpfen.
Dabei fordern Migrantinnen dies schon seit Jahren. Konkrete Vorschläge für einen
entsprechenden Gesetzentwurf stehen auch im Anhang des Buches. Dort werden auch Organisationen der Migrantinnen wie das Phillipine Womens Forum in
der BRD vorgestellt. Nach allem, was auf den mehr als zweihundert Seiten über die Probleme von Filipinas in Europa berichtet wird, ist es erstaunlich, wie viel
Kraft die Frauen noch für ihre Selbstorganisation aufzubringen vermögen.
So macht dieses Buch auch Mut. Es ermutigt hiesige Leser und Leserinnen, sich der bornierten und in
Zeiten rassistischer Pogrome gefährlichen Propagierung einer "deutschen Leitkultur" zu widersetzen. Und es regt wegen der Herzlichkeit und des
Humors, den die Filipinas in ihren Geschichten demonstrieren, zu einem menschlichen und toleranten Umgang mit "Fremden" an. Das Buch macht aber
auch den betroffenen Migrantinnen selbst Mut.
Denn die Geschichten der 38 philippinischen Autorinnen helfen ihnen, das Gefühl der
Vereinzelung und Isolation zu überwinden, in das sie die europäischen Gesellschaften treiben. Das erwies sich auch bei der Präsentation des
Buches vor philippinischen Migrantinnen in Köln. Spontan waren einige der Anwesenden bereit, selbst Passagen aus dem Buch vorzulesen. Und zum Schluss
dankten sie in bewegenden Worten der Herausgeberin Mary Lou Hardillo-Werning dafür, dass sie ihre Publikation dem Schicksal der philippinischen
Migrantinnen gewidmet hat.
Karl Rössel (Rheinisches JournalistInnenbüro)
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