Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 01.03.2001, Seite 11

OECD-Treffen in Neapel

Vom schlanken Staat zum E-Staat

Vom 15. bis 17.März findet in Neapel das dritte Globale Forum der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der Club der reichsten Länder der Welt) statt. Auf der Tagesordnung stehen die Modernisierung und Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltung im Zeitalter der Fernkommunikation und der "New Economy", sowie das "E-Government" — die "elektronische Regierung".
Die ersten beiden Treffen des Globalen Forums fanden in den USA und in Brasilien statt. Vor allem die USA haben auf diesen Termin gedrungen, um den Einsatz der neuen Technologien für globale Verwaltungsabläufe zu verbessern. Erwartet werden Ministerpräsidenten und Delegationen aus 40 Ländern; die Tagung ist ein Kooperationsprojekt von Weltbank und OECD.
Für die Institutionen, die die wirtschaftliche Globalisierung anführen und Politik wie Strukturen der Nationalstaaten umkrempeln, um ihre umfassende Kontrolle über unser politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben zu stärken, ist dieses Treffen sehr wichtig.
Derzeit diskutieren und entscheiden große internationale Organisationen (Weltbank, IWF, WTO, OECD) über wirtschaftliche und gesellschaftliche Prioritäten für die ganze Welt. Sie formulieren "Empfehlungen" an die nationalen Regierungen, die formal die politischen Mechanismen der Verteilung des Reichtums kontrollieren, dabei aber mehr und mehr in die Rolle simpler materieller Vollstrecker der internationalen Kapitalinteressen abgedrängt werden. Die Struktur des Staates selbst unterliegt tiefgreifenden Veränderungen; die Staaten werden zunehmend zu "Serviceeinrichtungen" für Unternehmensinteressen und zu wirksamen Kontrollinstrumenten über die Ordnung in der Gesellschaft.
Gleichzeitig werden die Errungenschaften und Rechte, die die Arbeiterbewegung in der Vergangenheit erkämpft hat, auf dem Altar der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, Flexibilisierung und Deregulierung geopfert. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen werden zunehmend unsicher, während die Löhne sinken und Schulsysteme wie Gesundheitsversorgung in private Unternehmen verwandelt werden. Das bedeutet, dass es in Zukunft für kritisches Denken und soziale Bedürfnisse keinen Raum mehr geben wird.
Alles wird dem Profitstreben untergeordnet; die Wissenschaft erfindet tägliche neue Techniken zur Ausbeutung der menschlichen Existenz und der Natur; das Recht auf Freizügigkeit wird durch Abkommen wie dem von Schengen, das Einwanderungsquoten nach denselben Grundsätzen festgelegt wie Milchquoten, eingeschränkt. Die Ungleichheit der Lebensbedingungen zwischen kleinen Eliten und der Mehrheit der Bevölkerung nimmt zu — in reichen wie in armen Ländern.
Dennoch hat sich gegen die wirtschaftliche Globalisierung und ihre vielfältigen Formen der Kontrolle, Ausbeutung und Unterdrückung eine neue, mannigfaltige globale Bewegung von unten entwickelt, die von Seattle bis Prag der Welt gezeigt hat, dass es eine Welt der Menschen und Bewegungen gibt, die mit allen nötigen Mitteln bereit ist, diese Zustand zu bekämpfen. Zeitgleich zu den Treffen von IWF, Weltbank, WTO, OECD haben sich an ihren Orten Gewerkschafter, Umweltschützer und viele andere versammelt, manchmal auf unterschiedliche Weise, aber immer mit demselben Ziel: denen das Leben unmöglich zu machen, die unser Leben beherrschen wollen!
Die Herrscher der Welt, die sich Neapel als Ort ihrer Zusammenkunft ausgesucht haben, feiern sich in einer Stadt, die ein Symbol für die Unterentwicklung im Europa von Maastricht ist — eine Region, in der Flexibilisierung und Armut Hand in Hand zunehmen und wo die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 60% liegt.
Neapel ist eine hypermilitarisierte Stadt, auch weil die NATO hier ihr Hauptquartier für das südliche Mittelmeer aufgeschlagen hat; eine Stadt, die in den letzten Jahren ihre Proletarier mehr und mehr in öde Vorstädte abgedrängt hat. Aber Neapel ist auch eine Stadt, in der es ausgeprägte Formen des Widerstands gegen Armut und Überwachung gibt, wie z.B. die Bewegung der Erwerbslosen.
Wir wollen unsere Gegnerschaft gegen das internationale Treffen mit diesen Kämpfen für unsere Rechte zusammenführen, und wir wollen, dass das OECD-Forum in Neapel zu einem Rendezvous des Widerstands all der Gruppen und Menschen wird, die gegen die negativen Auswirkungen der Globalisierung auf Mensch und Umwelt kämpfen. Die "Gegen-OECD" in Neapel soll dazu beitragen, dass sich die zahlreichen informellen und horizontalen Netzwerke von Bewegungen, die überall entstanden sind, weiterentwickeln.
Gesicherte Einkommen für Erwerbslose und prekär Beschäftigte; Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn; Widerstand gegen die Privatisierung des Gesundheits- und Ausbildungssystems; Analyse der neuen und verstärkten Formen der Überwachung; uneingeschränktes Recht auf Freizügigkeit für MigrantInnen; Kampf gegen Copyright und genmanipulierte Lebensmittel — das werden die Hauptachsen unserer Arbeit bis März sein.

(Aufruf des Anti-OECD-Bündnisses — Kontakt: ska@ecn.org)

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