Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.06 vom 15.03.2001, Seite 5

Zwang schafft keine Perspektiven

Köln: Aktivierender Sozialstaat gegen junge Arbeitslose

Mit Formeln wie "Aktivierender Sozialstaat" und "Fördern und Fordern" beschreibt die rot-grüne neue Mitte ihr gewendetes Verständnis der sozialen Sicherungssysteme. Während bei der Rentenreform der Bruch mit den Grundlagen der paritätischen Finanzierung des immer lückenhafteren sozialen Netzes offenkundig werden, vollzieht sich dieser Politikwechsel im Bereich der Arbeitslosenversicherung zwar relativ lautlos, aber um so effektiver: "Fördern und Fordern" heißt im Klartext: Arbeitszwang, durchgesetzt als faktischer Arbeitszwang durch die Androhung und Kürzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Lange bevor der neu gewählte BDI-Chef Michael Rogowski im Januar von der Bundesregierung mehr Druck auf Arbeitslose forderte, auch schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen, hatte die Bundesregierung schon gehorcht; neben der stetigen Verschärfung von Zumutbarkeitsbedingungen geht es im Kern des Projekts um die faktische Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und die Kombination der darin enthaltenen Sanktionen gegen "Arbeitsunwillige".
Mit einem Experimentiergesetz "zur Verbesserung der Kooperation von Arbeits- und Sozialämtern" vom November 2000 hat die rot-grüne Regierung z.B. die Verbesserung des Datenabgleichs zu Lasten der HilfeempfängerInnen ermöglicht: Wissenschaftlich begleitet von der Bertelsmann-Stiftung werden bundesweit 20 örtliche Projekte gefördert, mit dem Ziel, "die Hilfebedürftigkeit zu überwinden und die Bedingungen zu ihrer beruflichen Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt zu verbessern", wie die Bundesregierung in der Antwort auf eine kleine Anfrage der PDS-Fraktion im Bundestag formulierte.
Verbunden mit einer — für sich genommen durchaus sinnvollen — individualisierten, problemorientierten Beratungsstrategie, die z.B. Sucht- und Schuldnerberatung einschließt, steht im Kern des Projekts die Zielsetzung, Sozial- und Arbeitslosenhilfe von einer wenn auch unzureichenden Existenzsicherung in Instrumente des Zwangs zur Aufnahme jeder noch so schlecht bezahlten Arbeit und somit auch des von den Industrieverbänden lange geforderten Niedriglohnsektors zu verwandeln.
Modellhaft dafür sind die Erfahrungen mit der im Juni 1999 im Beisein von Bundesarbeitsminister Walter Riester eröffneten "JobBörse Junges Köln", deren Konzept nach einer Ankündigung von NRW- Arbeitsminister Harald Schartau nunmehr landesweit in NRW zur Anwendung kommen soll: Als Patentrezept, mit dem er "die Jugendarbeitslosigkeit in NRW abschaffen" will, soll künftig in Kooperation mit dem Landesarbeitsamt allen Arbeitslosen unter 25 Jahren ein Arbeits- oder Praktikumsangebot vorgelegt und den Betroffenen im Falle einer unbegründeten Ablehnung die Zahlung von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe verweigert werden. Während die betroffenen Jugendlichen mit der Alternative "Friss oder Stirb" zur Annahme jeder Arbeit zu jedem Preis verpflichtet werden sollen, wird Arbeitgebern dabei einiges geboten: Durch die Kombination von Landes- und Arbeitsamtsmitteln sollen sie Lohnzuschüsse von 70% für auf ein Jahr befristete Arbeitsverträge auch dann erhalten, wenn sie keine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung übernehmen.

Kölner Vorbild

Während die Öffentlichkeit in Köln davon nicht mehr mitbekam als auf dem Silbertablett präsentierte Statistiken über den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit, brachte eine Anfrage der PDS- Stadträte in Köln ans Licht, was bei der Job-Börse Junges Köln wirklich geschieht:
Von den 2965 seit Sommer 1999 zugewiesenen Personen wurden tatsächlich 1144 in Maßnahmen vermittelt; das Spektrum reicht von regulären Berufsausbildungen bis hinunter zu den oben beschriebenen Praktika. 1139 Personen finden sich in der Rubrik: "Vermeidung des Sozialhilfebezuges durch Aktivierung von Selbsthilfepotentialen." Dass diese Kategorie eben so gut "aus den Augen, aus dem Sinn" heißen könnte, ist das niederschmetterndste Ergebnis der PDS-Anfrage — und war den etablierten Medien trotz mehrer Presserklärungen von MdB Ulla Lötzer und Ratsmitglied Sengül Senol keine Zeile wert. Wörtlich ist dort zu lesen: "Die bisherigen intensiven Bemühungen durch persönliche Briefe und Telefonaktionen Kontakt zu den nicht mehr erschienenen Jugendlichen aufzunehmen, haben nicht den gewünschten Erfolg gebracht, so dass hierzu noch keine Aussage getroffen werden kann." Sicher ist hingegen, dass die 1.139 Betroffenen weder Sozialhilfe noch Arbeitslosenhilfe bekommen und auch sonst nicht gefördert werden. Der sogenannte aktivierende Sozialstaat wirkt vordergründig als "abschreckender Sozialstaat".
Während die Regierung in NRW diesen Umgang mit Jugendlichen landesweit ausdehnen wird, hat der Rat der Stadt Köln gegen die Stimmen einzig der PDS beschlossen, dieses Vorgehen im Rahmen eines von der Bundesregierung geförderten Modellprojekts auf alle Bezieher von Sozial- und Arbeitslosenhilfe auszudehnen.
Dabei geht es der Stadt — entgegen allen öffentlichen Beteuerungen zum Trotz — vorrangig ums Sparen: In einer Anmerkung zum Haushaltsplan heißt es, dass vorrangig solche SozialhilfeempfängerInnen "beraten" werden sollen, die besonders hohe Sozialhilfekosten verursachen.
Widerstand gegen diese Projekte zu organisieren, war bislang in Köln nicht nur wegen des öffentlichen Schweigens kaum möglich. Zwar protestierten Euromarsch, von ABM-Kürzungen betroffene Träger wie das KALZ und auch die PDS, als Riester, und Lokalpolitiker im Sommer ‘99 die Festreden zur Eröffnung der JobBörse Junges Köln hielten und als eines der Ziele bereits die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe postulierten. Zwar publizierte die inzwischen an die GH Essen gewechselte Kölner FH-Professorin Helga Spindler in Fachzeitschriften überzeugende Nachweise, dass das Kölner Projekt elementare Grundrechte verletzt — öffentlich wahrgenommen wurde dies jedoch nicht. An die Betroffenen "heranzukommen" war für Initiativen ebenso unmöglich wie für das Arbeitsamt, so dass Musterklagen bislang nicht möglich waren. Der Kölner DGB trug das Projekt ebenso mit wie die größenteils durch lukrative Angebote in die Trägerstruktur der "JobBörsen" eingebundene Initiativenszene. Mindestens ebenso schwer wiegt die auf der Straße spürbare breite gesellschaftliche Akzeptanz des Projekts nach dem Motto "die sollen ruhig mal arbeiten gehen."

Einstieg in Niedriglohn

Faktisch wird damit in ganz NRW — zunächst auf Jugendliche begrenzt — die ohnehin löchrige Funktion der Sozialhilfe als wohlfahrtsstaatlichen Existenzminimums ebenso ausser Kraft gesetzt wie der versicherungsrechtliche Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ausgehöhlt. Diese im "Wohlfahrtsstaat" als durchlässige Sicherung des Existenzminimums wirkenden Transferleistungen verwandeln sich im Zuge des Übergangs zum "nationalen Wettbewerbsstaat" zu Druckmitteln zur Aufnahme jeder Arbeit zu jedem Preis, als Zwangsinstrument zum Einstieg in den von BDI u.a. seit langem geforderten Niedriglohnsektor.
Auf der gleichen Ebene liegt ein Beschluss des Bundesrats auf Antrag der Länder NRW und Schleswig Holstein für eine "konzertierte Aktion zur Überwindung von Sozialhilfebedürftigkeit". Unterhalb der legislativen Haupt- und Staatsaktionen wird dieser Entzug jeder staatlichen Unterstützung für sog. Arbeitsunwillige jedoch auf dem kalten Wege der Kooperation von Arbeits- und kommunalen Sozialarbeitern an den Betroffenen exekutiert — lange bevor politisch darüber entschieden wurde.
Die Forderung nach einem gesellschaftlich garantierten Existenzrecht für alle im Rahmen einer sozialen Grundsicherung ist und bleibt richtig; um sie gegen Stammtischparolen und Stimmungen auf der Strasse wirksam und offensiv vertreten zu können, sind aber Bündnispartner und zusätzliche Argumente erforderlich: Die Sensibilisierung der Gewerkschaften gegen eine auf die staatliche Förderung "annähernd existenzsichernder Einkommen" gerichtete Niedriglohnpolitik und der so ausgelösten Abwärtsspirale der Arbeitseinkommen gegen die neuen Spaltungslinien muss ein Kernbestandteil des Widerstands sein; zudem geht es bei der Arbeitslosenhilfe um einen Rechtsanspruch von Beschäftigten aus der Arbeitslosenversicherung.
Entscheidend wird aber werden, die Einsicht überzeugend in der Öffentlichkeit und in der Linken zu verbreiten: Zwang schafft keine Perspektiven. So bezeichnen die Sozialarbeitsprofessoren Wohlfahrt und Trube eine "aktivierende Sozialpolitik, die Maßnahmen ‚androht‘ und intendiert, mit Leistungsentzug die Probleme sozialer Ausgrenzung und individueller ‚Entmächtigung‘ zu lösen", als "dilettantisch": "Statt Kompetenzen zur Selbsthilfe mit Einzelnen individuell herauszuarbeiten … wird durch standardisierte Förder/Forderangebote oft noch größere Angst bzw. Abwehr administrativ erzeugt und ‚eskaliert‘." Auch hier sind Alternativen zur Ausgrenzungs- und Spaltungspolitik der neuen Mitte dringend erforderlich

Wolfgang Lindweiler

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