Sozialistische Zeitung |
"Marcos, Marcos, Marcos" tönen die Sprechchöre der seit Stunden auf die Ankunft der Zapatistas Wartenden. Sie werden lauter,
rhythmischer, begeisterter, je mehr sich der Konvoi dem Kundgebungsort nähert.
Im Mittelpunkt steht Subcomandante "Marcos", der eloquent, selbstironisch und sich
doch selbst inszenierend, die Pfeife rauchend oder nur auf dem Mundstück kauend, das Gewehr durch das Handy und den Patronengurt durch eine
Stabtaschenlampe ersetzend, auf der Bühne auf seinen Einsatz als Schlussredner wartet konfrontiert mit seinem eigenen Bild in
Übergröße über ihm, neben oder hinter ihm, wie auch jetzt am Sonntag auf dem Zócalo, dem Zentralplatz vor dem
Präsidentenpalast in Mexiko-Stadt.
Ihm und nicht den 23 zapatistischen Comandantes wurden bei den verschiedenen Zwischenstationen
auf dem 3000 km langen Marsch durch 12 der insgesamt 31 Bundesstaaten aus der Selva nach Mexiko-Stadt die Geschenke übergeben; er und nicht die anderen
Comandantes erhielt den bastón de mando (den Befehlsstab), das Zeichen der Autorität der verschiedenen Indígena-Völker.
Erst im letzten Teil der "Zapatour", unmittelbar im Herkunftsland von Emiliano Zapata,
versuchte Marcos in verschiedenen Teilen seiner Rede in Tepoztlán zum faktischen Personenkult Stellung zu beziehen: "Marcos existiert nicht. Er ist ein
Schatten, eine Art Fensterrahmen."
"Die da oben hoffen, dass wir müde werden und keine Lust mehr haben, an den
verschiedenen Veranstaltungsorten auch von euch über die zahllosen vor Ort bestehenden Probleme informiert zu werden. Sie hoffen, dass sich alles auf eine
Person, eine Persönlichkeit konzentriert, damit wir nicht mehr auf das hören, was auf dem Spiel steht: die Stimme und Forderungen der Indígena-
Völker. Deshalb danken wir euch für eure Geduld, allen zuzuhören", sagt er etwas später, als die "Marcos"-Rufe lauter
wurden, doch noch etliche RednerInnen, darunter mehrere Comandantes, auf der Redeliste standen.
Die Wochenzeitschrift Proceso hatte bereits vor Wochen auf der Titelseite auf das mediale
"Duell" zwischen dem neuen Präsidenten Vicente Fox und dem "Sub" hingewiesen, mit einer Fotomontage, die beide wie auf
Bildern aus der Marlboro-Reklame auf ihren jeweiligen Pferden über eine saftiggrüne Wiese reitend zeigt.
ChiaPAZ das Wortspiel mit dem Namen des südöstlichen mexikanischen
Bundesstaats Chiapas bestimmt seit Wochen das außergewöhnlich große und durch den neuen mexikanischen Präsidenten
unterstützte und geförderte mediale Interesse. PAZ = Frieden, "unidos por la PAZ" vereinigt für den Frieden bzw.
"für den Frieden in Chiapas" lauten die Überschriften von Unterschriftensammlungen und Konzerten, die von den beiden größten
Fernsehsendern inszeniert wurden, aber auch von den in allen Medien geschalteten Anzeigen der Regierung. In den Hintergrund gedrängt wurden die
Äußerungen und Drohungen der Gegner der Zapatistas, die vor dem Beginn der "Karawane für die indigene Würde" die Medien
füllten:
Alberto Fernández Garza, Präsident des Unternehmerverbands Coparmex, nannte als
Gründe für die Verelendung der Indígenas Alkoholismus und fehlende Liebe. Es müssten "Strafmaßnahmen" in Form der
Todesstrafe gegen die Zapatistas ergriffen werden, meinte Ignacio Loyola, Gouverneur von Querétaro, dessen Familie Besitzer eines der wichtigsten
Beerdigungsinstitute dieses Bundesstaats ist.
Marcos sei "ein armer Teufel", äußerte der Bischof von Ecatepec, einem
der Anhänger der theologischen Strömung "für die Reichen". Die Gesetzesinitiative der parlamentarischen
Versöhnungskommission COCOPA bringe dem Land nichts, sagt Enrique Jackson, Fraktionschef der langjährigen Regierungspartei PRI im Senat.
Marcos und die zapatistische Karawane schafften es vielleicht, durch die große
Eingangstür in den Bundesstaat zu kommen. Marcos würde ihn allerdings nur im Sarg verlassen können, denn es stünden
Heckenschützen bereit, um ihm das Ende zu bereiten, "das er verdient", drohte das mittlerweile ausgeschlossene Mitglied der Regierungspartei
PAN.
Mit der seit dem Beginn der Karawane am 24.Februar offiziellen Politik der Umarmung soll der
Druck auf die Zapatistas verstärkt werden, einen Friedensvertrag zu unterschreiben, obwohl grundlegende Bedingungen noch längst nicht erfüllt
sind.
Noch sind die drei Minimalforderungen der EZLN für die Wiederaufnahme des
Friedensdialogs nicht, bzw. nur unvollständig erfüllt: das Militär wurde erst aus vier der insgesamt sieben geforderten Militärpositionen in
der Konfliktzone abgezogen, noch befinden sich dutzende zapatistische politische Gefangene in den Gefängnissen, und die Abkommen von San Andrés,
die die Rechte und die Kultur der Indígena-Völker beinhalten, wurden noch nicht in der Verfassung verankert. Fox ist nur für die erste
Minimalforderung uneingeschränkt zuständig. Die Freilassung der politischen Gefangenen untersteht nur zum Teil seinen Kompetenzen und die
parlamentarische Verankerung der Indígena-Rechte ist nun Aufgabe des Parlaments, nachdem der Präsident den Gesetzesentwurf dort zur Diskussion und
Verabschiedung vorgelegt hat.
Die am 11.März mit einer Großkundgebung in Mexiko-Stadt zu Ende gegangene
Karawane für die indigene Würde war Teil der zapatistischen Mobilisierungsstrategie. Gemeinsam mit den zahlreiche Unterstützern bei den
Zwischenkundgebungen wollte die EZLN auf die Notwendigkeit für eine verfassungsmäßige Verankerung der kulturellen und rechtlichen
Autonomie der Indígenas durch das Parlament in den kommenden Tagen aufmerksam machen. Die Indígenas wollen so lange in der Hauptstadt bleiben,
bis diese Forderung Wirklichkeit wird.
Die Einladung des mexikanischen Präsidenten zu einem Gespräch im
Präsidentenpalast lehnte Marcos vor wenigen Tagen als "Falle" ab. Marcos kritsierte gleichzeitig Vicente Fox und die "politisch herrschende
Klasse" als unfähig, die von der EZLN in den vergangenen Wochen lancierten Signale richtig zu interpretieren. "Wir sind bereit, die
Klandestinität zu verlassen", warten jedoch noch immer auf die Erfüllung unserer Minimalforderungen vom Dezember, so Marcos.
Die nächsten Tage und Wochen vielleicht auch Monate werden über
die Lösung des Chiapas-Konflikts, aber auch über die politische Glaubwürdigkeit der mexikanischen Regierung entscheiden. Keine der drei
großen politischen Parteien hat im Parlament die für die verfassungsmäßige Verankerung der Indígena-Rechte benötigte
absolute Mehrheit. Und die Gegner der Verfassungsreform sind sowohl in der Regierungspartei PAN, aber auch in Teilen der früheren Staats- und jetzigen
Oppositionspartei PRI relativ stark. Auch Teile des Militärs, das seit 1994 eigene äußerst "profitable" Interessen, u.a. durch die
Kontrolle des Waffen- und Drogenhandels in Chiapas entwickelt hat, widersetzen sich einer friedlichen Lösung.
Jutta Klaß
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