Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.06 vom 15.03.2001, Seite 15

Das waren die Grünen?

*Jutta Ditfurth, Das waren die Grünen. Abschied von einer Hoffnung, München (Econ) 2000, 388 S., 16,90 DM.

Die neuen sozialen Bewegungen und der parteipolitische Aufstieg der Grünen markieren einen der großen und nachhaltigen Brüche innerhalb der Entwicklung der westdeutschen Linken. Als Reaktion auf die Dogmatisierung der Neuen Linken der 70er Jahre und das Aufbrechen neuer Widersprüche im Spätkapitalismus entstanden, wollten sie weder links noch rechts, sondern vorn sein. Das machte sie lange Jahre nicht nur unberechenbar für die veröffentlichte Meinung, sondern auch für viele der alten Linken der 60er und 70er Jahre.
Als kunterbuntes Bündnis von konservativen Bauern, unauffälligen BürgerInnen, engagierten Christen und abgefallenen SozialdemokratInnen mit Feministinnen, linken Freaks, Kadern und Spontis erstritten sie einen Paradigmenwechsel für mehr Ökologie und weniger Repression, für mehr Toleranz, Geschlechtergleichheit und weniger Gewalt, für mehr Internationalismus und Solidarität, für mehr basisdemokratisches Engagement und weniger Funktionärstum.
Außer DKP und einigen sich verbarrikaridierenden Kleinstgruppen und Individuen saugten die Grünen die linke Post-68er Szene umfassend auf und wurden trotz ihrer Heterogenität eine überwiegend linke, gesellschaftsoppositionelle Kraft. Waren es anfänglich Rudi Dutschke und Rudolf Bahro, die in den ersten Jahren für die linke Identität sorgten — der eine starb, bevor es richtig losging, der andere entwickelte sich zunehmend ins Esoterische —, so verbanden sich die linken Hoffnungen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre mit den Namen von Thomas Ebermann, Rainer Trampert und Jutta Ditfurth.
Doch Anfang der 90er Jahre kam es mit der nachhaltigen Veränderung der Republik (Anschluss der DDR und neoliberaler Durchmarsch) zum Exodus auch der linken Grünen. In Schüben verließ ein Großteil von ihnen die mit viel Energie und Identität aufgebaute Partei.
Doch eine umfassende und selbstkritische Bilanz dieses linken Projekts haben sie alle bisher nicht geleistet. Ebermann und Trampert kündigten zwar eine solche 1990 an, doch daraus wurde bekanntlich nichts. Stattdessen veröffentlichten sie fünf Jahre später ein Buch, das mehr ihren eigenen politischen Bankrott als den der Grün-Alternativen dokumentiert.
Nun, weitere fünf Jahre später und unter dem Eindruck der rosa-grünen Regierungsübernahme, hat auch die dritte im Bunde, Jutta Ditfurth ein Buch zur Bilanz der Grünen vorgelegt.*
Sie unterscheidet sich dabei wohltuend von Ebermann/Trampert, weil sie sich weder von der Politik als solcher, noch vom alten ökologischen Antikapitalismus verabschiedet hat. Als streitbare Publizistin und Frontfrau der Ökologischen Linken erinnert sie uns mit viel Feuer im Herzen an die Gründungsgeschichte der historischen Ausnahmepartei, die es immerhin schaffte, bürgerliche Schichten mit radikalen Linken organisatorisch und politisch für einige Zeit zusammenzuschweißen und u.a. eine Bevölkerungsmehrheit für den Ausstieg aus der Atomenergie zu gewinnen.
Und Ditfurth wird nicht müde, zu betonen, dass dieser politische Erfolg auf ebenso fantasievolle wie militante Weise, vollständig außerparlamentarisch und gegengesellschaftlich, d.h. gegen sämtliche politische Repräsentationsorgane und gegen die gesamte bürgerliche Öffentlichkeit errungen wurde.
Entsprechend ist ihre Abrechnung mit den heutigen Grünen gnadenlos. Sie macht deutlich, warum die heutigen Bündnisgrünen personell und politisch nichts mehr gemein haben mit den Grün-Alternativen von vor 20 Jahren. Die Mehrheit der grünen Gründungsmitglieder habe die Partei verlassen. Etwa ein Viertel der Mitgliedschaft, rund 10000 zumeist linke Aktivistinnen und Aktivisten hätten sie Anfang der 90er Jahre verlassen, im letzten Jahrfünft nochmals die Hälfte. Zwei Drittel seien nach der Wende eingetreten.
Entsprechend kämpfen die Bündnisgrünen in der Bundesregierung nicht mehr gegen die Massenarbeitslosigkeit, tragen den Atomkonsens mit und üben keine Atomkraftkritik mehr. Sie unterstützen die Gentechnik und die Geheimdienste, verlangen keine Demokratisierung der Polizei, keine Abschaffung der Antiterrorgesetze mehr.
Die ehemals basis- und radikaldemokratischen Organisationsstrukturen sind geschleift und von nachhaltigen ökologischen und sozialen Reformforderungen ist nichts mehr zu sehen. Die Bündnisgrünen sind, so Ditfurth, nur mehr "Modernisierungsassistenten für das Kapital", "ein autoritärer, korrupter Haufen", der mit Fischer, dem "Flakhelfer" einer inhumanen Weltordnung an der Spitze, die Militarisierung der Menschenrechte betreibe.
Wer jedoch jenseits solcher doch überwiegend bekannten Invektiven nach einer wirklichen und linken Bilanz des grün-alternativen Projektes sucht, wird enttäuscht. Eine materialistische Analyse der grünen Partei und ihrer Dynamik im ersten Jahrzehnt ihrer Existenz findet schlicht nicht statt. Die ersten zwei bis drei Jahre übergeht Ditfurth vollends — genauso übrigens wie die 90er Jahre — und den Rest der 80er Jahre stellt sie als einen ausschließlichen Kampf der "Fischer-Gang" um die Macht in der Partei dar.
Sie malt das Bild einer umfassenden und erfolgreichen Verschwörung einer Handvoll von Politprofis, und weiß dabei, mit vielen Internas und sachkundigen Details aufzuwarten. Doch warum eine solch mächtige Bewegung das Opfer einer Handvoll Leute wird, warum sich ein kämpferischer ökologischer Antikapitalismus so übertölpeln ließ, diese Frage stellt sie sich nicht ernsthaft.
Irgendwann, so Ditfurth, drehte einfach der Wind des Zeitgeists in Richtung eines hemmungslosen Individualismus, verschob sich das gesellschaftliche Kräfteverhältnis, ließen die sozialen Bewegungen nach: "Wichtig wurde das Äußere, der Stil und das Design, der grenzenlose Konsum, kurz eine knallharte Ellbogen- und Angstgesellschaft. Sie verdrängte Solidarität und kollektives Handeln."
Doch: Warum und auf welchen Wegen ist es so gekommen? Wie sah das politische Leben der Parteimehrheit aus? Wie agierten die Linken in den Grünen? Was genau lief in der BRD der 80er Jahre gesellschaftspolitisch schief und welche Fehler machten dabei die Linken? Welche Lehren hat daraus eine erneuerte ökosozialistische Linke zu ziehen? Auf alle diese, für eine historische Einordnung der Grünen zentralen Fragen gibt Ditfurth keine Antworten. Sie gefällt sich stattdessen in einer personalisierenden Geschichtsschreibung, die mehr verklärt als erhellt. Zum über das Buch hinausgehenden Problem werden diese Leerstellen, weil sie auch die Glaubwürdigkeit des politischen Projekts beeinträchtigen, für das Ditfurth seit ihrem Austritt aus den Grünen wirbt.

Christoph Jünke

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