Sozialistische Zeitung |
Die "Krieger der Menschenrechte" wechseln das Objekt ihrer Feldzüge wie das Hemd. Das Prädikat
"Terroristen" ist dabei wohl das niederschwelligste, das sie zu vergeben haben, um eine militärische Intervention zu rechtfertigen; eine Steigerung
wäre etwa "Schurkenstaat", und wenn der Appell zur Kriegsbereitschaft ganz tief unter die Haut gehen soll, muss "Hitler" her.
Für die UÇK-Guerilla, die derzeit in Makedonien versucht, die Rechte der albanischen
Bevölkerung mit Waffengewalt durchzusetzen, reicht im Augenblick noch der Begriff "Terroristen"; aber er reicht zur Rechtfertigung: "Mit denen
verhandelt man nicht" (Javier Solana, als NATO-Generalsekretär oberster Feldherr im Kosovo-Krieg, als jetziger EU-"Außenminister"
oberster Stratege einer militärischen Intervention "neuen Typs").
An weiteren Begründungen wird noch gearbeitet: Die Chefanklägerin am Haager
Kriegsverbrechertribunal, Carla del Ponte, die bis gestern ihre ganze Energie darein setzte, den vormaligen "Hitler" Milosevic vorzuladen und zu verurteilen, hat
ihn auf einmal "vergessen" und konzentriert sich jetzt mit demselben Eifer auf die Frage, ob die Albaner nicht auch Massaker im Kosovo und in
Südserbien begangen hätten.
Milosevic hat sie vergessen, weil die USA in ihrem Arrangement mit dem neuen Regime in Belgrad die
Forderung nach seiner Auslieferung haben fallen lassen (Abkommen vom 6.März) soviel zur Unabhängigkeit dieses Gerichts und zum
"Wert", den die Menschenrechte für die sog. "internationale Gemeinschaft" haben, nämlich den einer Tauschmünze, deren
Gegenwert ausschließlich der politische Nutzen des Augenblicks ist.
"Neue Terroristen" sind die Männer von der UÇK nicht deshalb, weil sie die Ortschaft
Tetovo beschossen haben (die übrigens überwiegend von Albanern besiedelt ist), sondern weil ihre Aktion eine Dynamik birgt, die die NATO und die EU auf
keinen Fall dulden wollen: die Herstellung eines zusammenhängenden Gebiets unter albanischer Verwaltung.
Diese Dynamik ist zwar real, weil auf albanischer Seite nationale Unterdrückung ebenfalls mit
nationalen und nationalistischen Strategien beantwortet wird. Das ändert jedoch nichts daran, dass die bestehenden Grenzen willkürlich sind und keine, die sich
die ortsansässige Bevölkerung ausgesucht hat; an ihnen ist nichts zu verteidigen.
Die Kritik dieser Dynamik übergeht im Übrigen systematisch die Forderung der albanischen
Parteien nach einem binationalen Makedonien; die Regierung in Skopje lehnt diese Position jedoch strikt ab und lässt sich auch auf solche Verhandlungen nicht ein.
Der Westen führt den Kampf für die "Unverletztlichkeit der Grenzen" im Namen
des Multikulturalismus, des friedlichen Zusammenlebens mehrerer Völker in einem Staat. Davon kann weder in Serbien/Jugoslawien, noch in Makedonien, noch in
Albanien noch in anderen Staaten des Balkans die Rede sein überall handelt es sich um National-Staaten, die auf der Vorherrschaft einer Volksgruppe
aufgebaut sind, der sich die anderen unterzuordnen haben, denen gleiche Rechte vorenthalten werden.
Die Albaner lebten vor der Zerschlagung Jugoslawiens zwar aufgeteilt auf verschiedene Republiken und
Provinzen, aber es waren jugoslawische Staatsbürger wie die anderen auch, zu Titos Zeiten zudem mit Autonomierechten ausgestattet. Familiär, kulturell und
wirtschaftlich bildeten sie zwischen dem Kosovo und Westmakedonien eine Einheit.
Nun sind sie per Dekret von oben auf verschiedene Nationalstaaten aufgeteilt, in denen die vorherrschende
Nationalität ethnisch begründet ist (serbisch oder makedonisch): Im Grenzgebiet zum Kosovo leben 300000 Albaner immer noch ohne makedonische
Staatsangehörigkeit, obwohl sie der Regierung in Skopje gehorchen sollen. Im restlichen Makedonien leben sie als Staatsbürger mit minderen Rechte, obwohl
sie offiziell ein Viertel der Bevölkerung stellen.
Sie haben zwar eine Partei in der Regierung, aber sie haben über wichtige Teile des Staatsapparats
keine Kontrolle (Polizei, Armee, Bildungswesen). Im Juni letzten Jahres lehnte die Makedonische Akademie der Wissenschaften einstimmig das albanische Begehren ab,
eine albanische Universität in Tetovo zu eröffnen. Die Nation sei makedonisch, die offizielle Sprache habe daher das Makedonische zu sein, ein Unterricht in
der Sprache einer Minderheit sei Ausdruck der Absicht, "die Integrität des makedonischen Staates zu brechen". Wie "in jedem zivilisierten
Staat" sei es auch in Makedonien "nötig, über das Bildungswesen einen makedonischen Patriotismus aufzubauen".
Das Problem, das es zu beheben gilt, liegt also in Skopje begraben, nicht in den Bergen von Tetovo. Es
liegt darin, dass die wirtschaftliche Perspektive, die der Westen den Balkanvölkern bietet Wohlstand durch private Bereicherung in Ländern, in
denen es kein entwickeltes Privatkapital gibt, nur mit Hilfe des Staatsapparats möglich ist.
Damit wird dessen Kontrolle zum entscheidenden Faktor in der Konkurrenz um Ressourcen und
Märkte. Und in Ermangelung anderer, interkultureller Solidarstrukturen wird dieser Kampf eben auf der Grundlage verwandtschaftlicher und somit auch ethnischer
Strukturen organisiert.
So liegen die Probleme, so werden sie im "Westen" aber nicht gesehen; NATO und EU sind
auch nicht an ihrer Lösung interessiert dazu sind sie unfähig; was sie interessiert, ist einzig deren Beherrschbarkeit in Sinne ihrer globalen
geostrategischen Interessen.
Hierfür werden die Karten in diesem fünften Balkankrieg nach 1989 gerade neu gemischt:
Serbien avanciert nach der Beseitigung Milosevics zum neuen Alliierten der USA und der EU. Es ist trotz aller Zerstörungen immer noch die militärisch
stärkste Republik des ehemaligen Jugoslawien, allerdings mit dem Nachteil, dass seine Beziehungen zu den Nachbarn durch die Kriege der letzten zehn Jahre belastet
sind.
Die Erfahrungen mit der UN-Verwaltung im Kosovo haben NATO und EU andererseits gelehrt, dass sie
sich mit einer direkten Ausübung ihrer Herrschaft mehr Probleme schafft, als sie löst. Deshalb richtet sie ihr Bestreben nun darauf, auch Staaten wie Bulgarien,
Rumänien, Griechenland und sogar die Türkei in die Kontrolle über die Region einzubinden.
Die diplomatischen Initiativen und militärischen Verbindungen gehen derzeit in die Richtung einer
Regionalisierung des Konflikts. Der Preis dafür ist, dass er sich von den Bergen des Kosovo auf die gesamte Südregion des Balkans ausdehnen wird.
Angela Klein
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