Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.07 vom 29.03.2001, Seite 3

‘Handelspolitik ist nicht Sozialpolitik‘

Neuer BDI-Chef entdeckt die Antiglobalisierungsbewegung

Im Vergleich zu den Kapitalfraktionen des europäischen Auslands, aber auch denen in Nordamerika haben sich die deutschen Wirtschaftskapitäne lange Zeit gelassen. Nun hat auch einer ihrer Vertreter den Versuch unternommen, die "Antiglobalisierungsbewegung" in sein politisches Koordinatensystem einzuordnen. Michael Rugowski, Politologe und seit Beginn des Jahres neuer Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), nimmt im jüngsten Jahresbericht des Verbands vom 12.März erwartungsgemäß die Politik der Welthandelsorganisation (WTO) vor ihren Kritikern in Schutz.
Die späte Reaktion der deutschen Wirtschaft auf ein gesellschaftspolitisches Phänomen, das seit den massiven Protesten gegen die WTO-Ministerrunde 1999 in Seattle von der internationalen Bühne nicht mehr wegzudenken ist, könnte auch der bisher vergleichsweise schwachbrüstigen Bewegung gegen den globalen Kapitalismus in Deutschland geschuldet sein. Lediglich die Gegner der neoliberalen Politik der Europäischen Union hatten anlässlich des Kölner Regierungsgipfels 1999 ihre Mobilisierungsfähigkeit unter Beweis gestellt — allerdings auch nur mit tatkräftiger Unterstützung aus dem europäischen Ausland.
Die Frankfurter Rundschau präsentierte das rugowskische Elaborat ganzseitig und etwas großspurig als "Analyse". Doch wenn der BDI-Präsident auch einige Punkte richtig benennt, ist sein Beitrag vielmehr ein neoliberales Glaubensbekenntnis, als dass er ernsthaft auf die Kritik an der kapitalistischen Globalisierung eingehen würde.
"Globalisierung ist keine Naturgewalt", sagt Rugowski. Da hat er Recht und grenzt sich von Wirtschaftspolitikern und Gewerkschaftsfunktionären ab, die mit Vorliebe von "Sachzwängen" reden, wenn Politik gemeint ist. Für ihn ist Globalisierung vor allem Interessenpolitik, von der "nicht alle in gleichem Maß profitieren".
Sein etwas undifferenzierter Anfängerblick auf die "Antiglobalisierungsbewegung" macht pauschal die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als Adressaten seiner Kritik aus. Ihnen wirft er vor, dass sie sich die "angebliche" Abwesenheit von Eigeninteressen "auf die Fahnen geschrieben haben" und auftreten, als würden sie universelle "Werte und Ideale" verkörpern.

Moralische Appelle

Nichts gegen universelle Werte und Ideale, deren zugrundeliegendes egalitäres Menschenbild Bestandteil aller sozialistischen Gesellschaftskonzeptionen ist. Rugowski unterschlägt bei seiner Argumentation eine wesentliche Schnittmenge: Das "Eigeninteresse" stimmt bei der Bewegung gegen den globalen Kapitalismus weitgehend mit universellen Werten und Idealen überein — mit Ausnahme rechtsextremer Trittbrettfahrer und protektionistischer Forderungen der Gewerkschaften in den Industrieländern. Das "Eigeninteresse", das sich Rugowski auf die Fahnen schreibt, dient hingegen nicht dem "Allgemeinwohl", sondern den Ambitionen seines einflussreichen Verbands.
Doch das zu erkennen — damit tun sich viele NGOs schwer, deren moralische Appelle an die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger bisher wenig gefruchtet haben. Allzu oft benutzen sie die von Rugowski zitierten "Werte und Ideale" gleich einer Nebelbombe, die den Politikern und Wirtschaftskapitänen schmeichelt und deren Gegner verwirrt. Die NGO-Ignoranz gegenüber konkreten Klasseninteressen, die sich auch in allen aus diesem Milieu favorisierten Konzepten zur global governance widerspiegelt, kaschieren ihre Protagonisten mit einem Humanismus, der keine tiefgreifenden Interessengegensätze in der kapitalistischen Weltordnung zu erkennen vermag. Stattdessen will die NGO-Gemeinde den Tiger reiten, die Finanzmärkte einer "demokratischen Kontrolle" unterwerfen und hofft auf die Einsichtsfähigkeit der Global Players, die trotz aller freundlichen und unfreundlichen Appelle in ihrer Logik der Profitmaximierung verhaftet bleiben wollen und müssen.
Diesen double-bind und Rugowskis Auslassungen sollten die NGOs ernst nehmen. Die Legitimationskrise der supranationalen Finanz- und Handelsinstitutionen ist ihm bewusst. Dennoch will er das Scheitern der neoliberalen Politikkonzepte nicht einfach stehen lassen, sondern mahnt deren konsequente Umsetzung an, damit sie ihre volle Wirkung enfalten können. Er schwingt sich regelrecht zum ideelen Gesamtkapitalisten auf, der sogar die protektionistischen Privilegien einiger Branchen in den Industriestaaten in Frage stellt — nur das Weltwirtschaftssystem mit seiner Exportorientierung soll keinen Schaden erleiden.
Um zu beweisen, dass seine Globalisierung so schlecht nicht ist, bemüht er sogar dubiose Untersuchungen ohne Quellennennung, die zum Ergebnis kommen, "dass das internationale Einkommensgefälle in den letzten dreißig Jahren kontinuierlich abgenommen hat". Damit zweifelt er an, "ob im Zuge der Globalisierung die Schere zwischen armen und reichen Ländern wirklich größer geworden ist". Die der breiten Öffentlichkeit und gewiss auch Rugowski zugänglichen Zahlen der Vereinten Nationen sprechen eine andere Sprache.

Materielle Interessen

Um falschen Erwartungen vorzubeugen, gibt sich Rugowski als Purist. "Handelspolitik ist nicht Sozialpolitik", meint er und erteilt den von vielen Nord-NGOs und Gewerkschaften favorisierten Sozial- und Umweltstandards in der WTO eine klare Absage. Die Tagesordnung der ohnehin schwierigen WTO- Ministerkonferenz in Qatar, einem Kleinstaat am Golf, dürfe "nicht überfrachtet werden".
"Prioritäten und Interessenausgleiche in armen Ländern sehen anderes aus als bei uns. Im Zweifel wird man dort eben nicht die höchsten Umweltstandards importieren, sondern lieber billiger produzieren, um mehr Wirtschaftswachstum zu schaffen", argumentiert Rugowski. "Ist das verwerflich? Wohl kaum." Mit diesem einfachen rhetorischen Schlenker wischt der BDI-Präsident die Asbest-, Dioxin- und Pestizidskandale der letzten Jahre, an denen auch deutsche Firmen wie Bayer beteiligt waren, von der Bildfläche.
Am deutschen Wirtschaftswesen soll die Welt genesen, glaubt Rugowski und führt als Beleg deutsche Warenexporte und Direktinvestitionen an, die "immer auch hohe Standards mit in die ausländischen Märkte" transportierten. So exportiere die deutsche Wirtschaft auch "Standards für Arbeitsbedingungen, z.B. bei der Sicherheit am Arbeitsplatz, und stärkt die Qualifikation der Menschen vor Ort, ganz abgesehen davon, dass sie Arbeitsplätze in den Gastländern schafft".
Wer so viel Gutes beschert, der braucht wahrlich keine sanktionsfähigen Regelungen in der WTO oder anderswo, sondern lediglich "freiwillige Selbstverpflichtungen", die "Unternehmen moralisch binden". Rugowski und der BDI wollen sich dieser "Verantwortung stellen". Und natürlich wollen sie auch die NGOs und Gewerkschaften von ihrem Konzept der Selbstverpflichtung im "Dialog" überzeugen. "Die Globalisierungsbefürworter sind gut beraten, ihn zu führen, auf allen Ebenen, an runden Tischen, aber auch öffentlichkeitswirksam", sagt Rugowski. In Zeiten der Legitimationskrise braucht man verständnisvolle Bündnispartner, und die wollen umworben sein.
Aber wehe denen, die dann immer noch nicht verstehen, dass von der kapitalistischen Globalisierung letztendlich alle profitieren. Sie werden die harte Rute der Repression zu spüren bekommen. Schon zur Regierungskonferenz in Nizza im Dezember hatte die französische Verwaltung wegen "Gefährdung der öffentlichen Ordnung" die Grenze zu Italien abgeschottet und Grenzkontrollen wiedereingeführt. Auf dem World Economic Forum in Davos haben sich die Größen der internationalen Politik und Wirtschaft militärisch eingeigelt.
Sollte bei den italienischen Parlamentswahlen im Mai die Partei von Silvio Berlusconi, Forza Italia, das Rennen machen, hat sein Anwärter auf das Innenministerium schon mal angekündigt, anlässlich des G7-Gipfels Ende Juli in Genua eine harte Linie gegen die "Globalisierungsgegner" zu fahren, die sich mit mehr als 100000 Demonstrierenden angekündigt haben. Die "Freizügigkeit" in der EU, so viel steht heute schon fest, wird mit massiven Grenzkontrollen wieder eingeschränkt werden.

Gerhard Klas

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