Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.07 vom 29.03.2001, Seite 6

IG Metall

Zukunftsdebatte soll Schwung bringen

Mit einer großangelegten "Zukunftsdebatte" will die IG Metall bis zum Jahr 2003 für neue Mitglieder attraktiver werden, Die IG Metall will sich nach den Worten ihres Vorsitzenden Klaus Zwickel einer "tabulosen Zukunftsdebatte" öffnen. Ziel sei es, in der Tarifpolitik und in den Betrieben weiterhin schlagkräftig zu sein und gesellschaftspolitisch handlungsfähig zu bleiben. Wenn die Gewerkschaften mit den Umwälzungen der vergangenen Jahre Schritt halten wollen, müssten sie sich verändern, sagte Klaus Zwickel. Nicht ohne hinzuzufügen: "Ich will keine weichgespülte IG Metall."
Die IG Metall hatte Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre schon einmal Zukunftsveranstaltungen organisiert. Im Jahre 1988 versammelten sich im Frankfurter Flughafenhotel 1000 Personen, die Foren waren mit hochkarätigen Wissenschaftlern, Zukunftsforschern und Politikern besetzt.
Unter ihnen war damals Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter, der später 60000 Arbeitsplätze vernichtete. Reden konnte auf diesem Kongress Kurt Biedenkopf, der damals schon den Umbau des Sozialstaats und ein anderes Rentensystem forderte. Reden konnte auf diesem Kongress auch der ehemalige CDU-Ministerpräsident Lothar Späth, der für eine Differenzierung und Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen eintrat.
Das soll jetzt anders werden. Im Zentrum der neuen Zukunftsdiskussion sollen unmittelbar die Interessen der Mitglieder stehen. Es solle "keine Zukunftsdebatte über den Wolken" geführt werden, sagte Zwickel. Die IG Metall will vielmehr Mitgliedern und Nichtmitgliedern eine Plattform für die Diskussion der Zukunftsfragen geben, die auf den Nägeln brennen.
Nachdem Klaus Zwickel "grünes Licht" für eine neue Zukunftsdebatte gegeben hat, haben Klaus Lang, "Zwickels rechte Hand", und Jupp Legrand in einer Ausgabe der Frankfurter Rundschau ein ganzseitiges Strategiepapier veröffentlicht.
In dem Strategiepapier heißt es: Die Mitgliedschaft der IG Metall spiegele die Beschäftigungsstrukturen der 70er und 80er Jahre wieder. Das müsse sich ändern, damit die Gewerkschaft wieder in die Offensive komme. Mit der breit angelegten Zukunftsdebatte, die in den nächsten Jahren ein "identitätsschaffender" Schwerpunkt für die IG-Metall-Arbeit werden solle, müsse dieses Ziel erreicht werden.
Umfangreiche Befragungen von Mitgliedern und Nichtmitgliedern sollen die Wünsche der Basis ermitteln und aus Betroffenen Beteiligte machen. Bis zum Jahr 2003 soll die aufwendige Kampagne das Image der Metall-Gewerkschaft gründlich aufpolieren. Klaus Lang nennt in der Veröffentlichung die Themen, es geht um Zukunft der Arbeit, Zukunft der Gewerkschaft, Zukunft der Wirtschaft, Zukunft der Gesellschaft und Zukunft der Politik.
In der Veröffentlichung werden die Strukturen und Phasen der Zukunftsdebatte genannt, die da lauten: Mitglieder und Unorganisierte beteiligen — gesellschaftliche Debatten aufgreifen — wissenschaftliche Erkenntnisse auswerten. Dazu will die IG Metall auch Wissenschaftler und gesellschaftliche Gruppen für die Zukunftsdiskussion gewinnen.
Kernstück ist eine breit angelegte Mitgliederbefragung im Organisationsbereich der IG Metall. Zunächst werden 2500 Mitglieder und Funktionäre mündlich befragt. Die Befragung hat das Ziel, ein differenziertes Meinungsbild einzuholen.
Die erste Diskussionsrunde soll im April des kommenden Jahres abgeschlossen werden. Die sich aus der Diskussion ergebenen Erwartungen an die IG Metall, an die Politik und an die Gesellschaft sollen in einem Zukunftsmanifest zusammen gefasst werden.
Im Mai 200l werden die Aktivitäten zu "Wochen der Beteiligung und Aktivierung" verdichtet. Es geht im Kern darum, dass jede Verwaltungsstelle ein Programm mit vielfältigen Aktionen zur Unterstützung der Befragung durchführt. Das kann eine öffentlich wirksame Veranstaltung etwa zum Thema "fairteilen" sein. Aber auch eine lokale Fortsetzung der Jugendkampagne "Her mit dem schönen Leben" ist zu denken.
Die IG Metall will unter Beweis stellen, dass es ihr weder an guten Ideen zur Mitgliederbeteiligung mangelt, noch dass ihr die praktischen Vorschläge für effektive Mitgliederwerbung ausgehen. Das alles klingt sehr optimistisch, aber ob sich dieser Anspruch einlösen lässt, bleibt abzuwarten.
Inzwischen sind mehrere Veröffentlichungen über den Zukunftskongress erschienen, darunter wieder eine ganze Seite in der Frankfurter Rundschau, verfasst von Ludger Hinse, Bevollmächtiger der IG Metall in Bochum, und G.Schreiber, dem Bevollmächtigten der IG Metall in Münster.
Die Autoren machen Vorschläge zur Tarifpolitik der IG Metall: Unverkennbar, dass wichtige Säulen der bisherigen sozialen Sicherungssysteme instabil werden. Langfristig sei das derzeitige System der solidarischen Rentenversicherung nicht zu halten. Eine tarifpolitische Herausforderung bestehe darin, über Pensionsfonds einen wirkungsvollen Beitrag zur sozialen Sicherung im Alter zu leisten.
Und sie schreiben weiter: Wenn in der Wissenschaftsgesellschaft der Zugang zur Ausbildung entscheidend für soziale Gerechtigkeit ist, warum fordert die IG Metall nicht die Bildung eines Tariffonds zur finanziellen Absicherung der Hochschul- und Berufsausbildung ihren Mitglieder bzw. ihrer Kinder? Wenn die Pflegeversicherung in erhebliche finanzielle Turbulenzen geraten wird, warum strebt die IG Metall mittelfristig nicht Tariffonds zur Absicherung ihrer Mitglieder an?
Also Tariffonds für die Hochschulausbildung, Tariffonds für die Pflegeversicherung und dann noch zunächst 1% bis zu 4% jährlich für Riesters Altersabsicherung. Was bleibt dann noch vom Lohn, bei steigenden Preisen?
Noch einmal Hinse und Schneider. Sie schreiben: Insgesamt sei die Tarifpolitik der IG Metall sehr erfolgreich gewesen. In der Wissensgcsellschaft sei eine Öffnung der Tarifpolitik hin zu anderen Einkommensmöglichkeiten unabdingbar. Daraus resultiere, tarifliche Regelungen anzustreben, die Eckpunkte für die Ausgabe von Belegschaftsaktien und Unternehmensbeteiligungen setzen. Die zukünftige Arbeitnehmerexistenz wird auch von Kapital- und Aktienbesitz und Immobilien abhängig sein.
Dazu hat Klaus Zwickel schon einmal vorgeschlagen, dass künftig ein Teil des Lohns in Aktien anzulegen ist: Die Einstellung der Bevölkerung zur Aktie habe sich geändert. Für breite Arbeitnehmerschichten seien Belegschaftsaktien seit Jahren eine Selbstverständlichkeit. Und an anderer Stelle sagt Zwickel: Für viele junge Leute scheint ein Aktiendepot wichtiger als der Mitgliederausweis der IG Metall.
Wenn jetzt Teile von Lohnerhöhungen in Aktien angelegt werden sollen und wenn nach den Vorstellungen von Hinse und Schreiber auch noch Lohnerhöhungen in die verschiedenen Fonds eingezahlt werden sollen, dann stellt sich die Frage, wie es um die Stärkung der Massenkaufkraft bestellt ist, einem Argument, welches jahrelang von der IG Metall propagiert wurde, um Lohnerhöhungen zu begründen.
Der Kauf von Aktien ist jedoch private Angelegenheit und hat mit Lohn und Vermögensbildung nichts zu tun. In der Metallindustrie verdienen ja nicht alle Beschäftigten 4250 DM brutto im Monat, eine Zahl, die Riester für seine Rentenberechnung anführt, sondern viele kämpfen Monat für Monat darum, dass sie ihre Mieten und andere notwendige Ausgaben bezahlen können.
In Sprokhövel fand im November des Jahres 2000 die 17.Konferenz der IG-Metall-Vertrauensleute statt. In seinem Referat zum Thema Gegenmacht und Gestaltungskraft hat Klaus Zwickel auch übcr den Zukunftskongress und von der demokratischen Zivilgesellschaft gesprochen. In dem Strategiepapier von Klaus Lang ist die Rede von der zeitgemäßen Stärkung der Demokratie durch die Belebung der Zivilgesellschaft.
Und wie könnte es anders sein, auch der Bundeskanzler spricht in Reden und anderen Verlautbarungen immer wieder von der Zivilgesellschaft und von der Eigenverantwortung des Bürgers. Sie wollen es nicht aussprechen, aber sie meinen den Rückzug des Wohlfahrtstaats.
Unter Eigenverantwortung versteht der Bundeskanzler, dass dem Bürger immer mehr Lasten aufgebürdet werden. Nach der nächsten Bundestagswahl 2002 will der Bundeskanzler die Krankenkassen radikal kurieren. Der Bürger soll sich stärker an den Kosten beteiligen, wie bei den Renten. Das Prinzip der paritätischen Finanzierung durch Unternehmer und Beschäftigten wird also nicht nur bei der Rentenberechnung aufgegeben sondern auch bei der Krankenversicherung.
Intern haben sich SPD-Führung und Regierungsspitze längst festgelegt. Zwar soll es bei der Grundversorgung bleiben, für die Unternehmer und Beschäftigte zu gleichen Teilen Beiträge abführen. Doch wer stärker abgesichert sein will, muss privat vorsorgen oder die Kosten bei einer Behandlung selber tragen. Wie die "Eigenverantwortung" genau organisiert wird, ist noch nicht entschieden. Neben der Selbstzahlung sind auch private Zusatzversicherungen möglich, die die Beschäftigten allein finanzieren müssen.
Klaus Ernst, Bevollmächtigter der IG Metall der Verwaltungsstellen Schweinfurt, schreibt in einem Artikel "Eine Anmerkung zur Zukunftsdebatte": Obwohl wir den Sozialstaat verteidigen wollten, haben wir den DGB nicht daran gehindert, seine volle Unterstützung für die Rentenreform zu signalisieren, die — trotz aller Fortschritte gegenüber der ursprünglichen Planung — den Anforderungen an eine sozialstaatliche Rentenreform nicht entspricht. Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern.
In den veröffentlichen Papieren zu dem Zukunftskongress ist die gesellschaftspolitische Analyse sträflich unterbelichtet. Es sind viele Allgemeinplätze aufgeschrieben worden, die jeder unterschreiben kann, die aber in Wirklichkeit von einer ernsthaften und kritischen Debatte wegführen.
Zum Thema "Bündnis für Arbeit" schreibt Klaus Lang: Sehr strittig sei innerhalb der Gewerkschaften das Verhältnis von Kooperation und Konflikt im Umgang mir Regierung und Arbeitgebern. Dies kristallisiere sich einerseits in den Debatten um die Art und Weise von Tarifverhandlungen, anderseits in der Kontroverse um das Bündnis für Arbeit. Ist zum Bündnis für Arbeit nicht mehr zu sagen, angesichts der "tabulosen" Diskussion von der Zwickel gesprochen hat?
Die Schröder-Regierung hat sich des "Bündnisses" längst bemächtigt, um unter Einbindung der Gewerkschaften die Regierungsziele durchzusetzen und den Widerstand der IG Metall zu kanalisieren. Ein weiteres Beispiel ist die Lohnnebenkostendebatte.
Wenn die IG Metall eine Senkung der Lohnnebenkosten zum Zweck der Leistungskürzung ablehnt, im "Bündnis" aber das Ziel einer Senkung auf unter 40% akzeptiert, ist dies charakteristisch für die Mechanismen des "Bündnisses".
Was bisher schriftlich und öffentlich zur Zukunftsdebatte bekannt wurde, erweckt den Eindruck, dass die bislang geführte Diskussion nur von Funktionären geführt wird. Doch dann wird es kaum eine "tabulose" Diskussion geben.
Derzeit finden in den Verwaltungsstellen der IG Metall Veranstaltungen zum Thema Zukunftskongress statt. In Gelsenkirchen z.B. haben inzwischen zwei Veranstaltungen stattgefunden, an denen aber keine Personen aus der Wissenschaft teilgenommen haben, sondern Arbeitende und Angestellte, die in einer tabulosen Diskussion die unzureichenden Tarifpolitik der IG Metall kritisierten und die sich dafür aussprachen, dass die IG Metall aus dem Bündnis für Arbeit austritt und der Widerstand gegen den weiteren Abbau von sozialen Leistungen energisch geführt wird.

Willi Scherer

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