Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.07 vom 29.03.2001, Seite 13

Koreas neue Revolutionäre

Südkorea

Vor dem Hintergrund zunehmend militanter Arbeitskämpfe wie dem jüngsten Konflikt bei Daewoo (siehe SoZ 5/01) durchlaufen die revolutionären Sozialistinnen und Sozialisten in Südkorea einen Prozess der Neuformierung. Eine wichtige Kraft im Rahmen dieser Entwicklung sind die Genossinnen und Genossen der Organisation Power of the Working Class (PWC — Macht der Arbeiterklasse), die im August 1999 gebildet wurde. Der folgende Beitrag des US-amerikanischen Sozialisten Barry Sheppard über die radikale Linke Südkoreas beruht auf einem Gespräch, das dieser mit WON YOUNG-SU, dem internationalen Koordinator der PWC, im letzten Sommer in San Francisco geführt hatte.
Für die Einschätzung der Entwicklung der PWC sind einige Hintergrundinformationen von Nutzen. Das Ende des Koreakriegs 1953 resultierte in einer Pattsituation — es war der erste Krieg, den die USA nicht eindeutig gewinnen konnten. Die koreanische Nation blieb gespalten. Im Süden zerschlug eine ganze Reihe von Militärdiktaturen, die unter US-Besatzung von den USA installiert worden waren, jegliche Opposition. Die revolutionären Aktivistinnen und Aktivisten wurden vernichtet oder flohen in den Norden. Reisen südkoreanischer Bürger in andere Länder waren noch bis vor kurzem einer strengen Kontrolle unterworfen.
Unter der Oberfläche entwickelte sich jedoch eine massive Unzufriedenheit. 1979 wurde das Land durch die Ermordung des Diktators Park Chung-hee erschüttert. Die Bevölkerung der Stadt Kwangju — traditionell ein Zentrum eines radikalen Antiimperialismus — erhob sich und befreite die Stadt.
Eine breite Volksbewegung bewaffnete sich, bildete breite demokratische Bürgerkomitees und hielt die Armee zehn Tage lang in Schach. Das Patt wurde gebrochen, als ein von den USA gestützter Putsch General Chun Doo-hwan als neuen Diktator an die Macht brachte. Die US-Besatzungsstreitkräfte versprachen jeden weiteren Aufstand niederzuschlagen, und Chun sandte Panzer nach Kwangju, um den Aufstand blutig zu unterdrücken.
Der Aufstand und seine Niederschlagung hatten jedoch das gegenteilige Resultat von dem, was sich das herrschende Militär und die USA erhofft hatten. Unter der Jugend und den Studierenden entwickelte sich eine Massenradikalisierung. Es brach eine heftige Debatte über die Lehren aus der Niederlage aus, die von aus dem Ausland eingeschmuggelter sozialistischer Literatur genährt wurde.
Frühere studentische Aktive wandten sich der Arbeiterklasse zu und begannen in Industriebetrieben zu arbeiten. Sie wurden Opfer einer massiven Repression: tausende wurden in "Umerziehungslager" gesteckt. Doch die Radikalisierung der Studierenden vertiefte sich, und im Juni 1987 führten sie einen Massenaufstand mit breiter öffentlicher Unterstützung, der das Militärregime zum Rückzug zwang und zu weitgehenden politischen Reformen führte.

Aufschwung der Arbeiterbewegung

Diese demokratische Öffnung belebte die bis dahin unterdrückte Arbeiterklasse und resultierte in einer Streikwelle, in Betriebsbesetzungen und Straßendemonstrationen. 1987 wurden über 3000 neue Gewerkschaften gebildet. Mittlerweile war Südkorea zu einem der am stärksten industrialisierten Länder der Dritten Welt geworden und die Mehrheit seiner Bevölkerung bestand aus gut ausgebildeten Arbeiterinnen und Arbeitern, die in städtischen Zentren lebten.
In den folgenden Jahren fanden große Arbeitskämpfe statt. Bei Abwesenheit einer etablierten Gewerkschaftsbürokratie waren die Arbeitskämpfe für die Organisierung von Gewerkschaften durch die Militanz und die demokratische Organisierung der Belegschaften geprägt. Siege wurden errungen. Angestellte, die von der Bewegung der Industriearbeiter inspiriert worden waren, bildeten ebenfalls ihre eigenen Gewerkschaften.
Dieser Prozess gipfelte 1995 in der Bildung der Gewerkschaftsföderation KCTU (Korean Confederation of Trade Unions), die die seit 1987 neu formierten Gewerkschaften zusammenfasste. Die KCTU lieferte auch den organisatorischen Rahmen für die fortgeschrittensten Aktivistinnen und Aktivisten, einschließlich vieler, die während ihrer Studienzeit im Marxismus geschult worden waren.
Im Winter 1996/97 rief die noch illegale KCTU zu einem politischen Generalstreik auf, der die antidemokratischen Praktiken des Regimes, die sich gegen die seit 1987 gemachten Errungenschaften richteten, zur Zielscheibe hatte. Doch die Situation der organisierten revolutionären Linken hatte sich unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des sowjetischen Blocks verschlechtert, was wie auch in vielen anderen Ländern zu Demoralisierung und Verwirrung unter denen führte, die sich als Sozialisten betrachteten.
Die Aktivistinnen und Aktivisten verschwanden jedoch nicht. Durch die Beteiligung an der im Aufschwung befindlichen Arbeiterbewegung waren sie fähig zu überleben. Ein längerfristiges Resultat des Zusammenbruchs des Ostblocks war die Beseitigung des Stalinismus als ein Hindernis. Vielleicht ist das Auftauchen der PWC ein Zeichen für eine solche Erneuerung.
Die Wirtschaftskrise 1997/98 in Asien wirkte sich auf die Führung der KCTU desorientierend aus. Der neugewählte Präsident Südkoreas, Kim Dae-jung, war vor seiner Wahl ein Gegner der vom IWF gestellten Bedingungen, aber machte nach seinem Amtsantritt eine Kehrtwendung.
Kim wurde zum Befürworter des Neoliberalismus und strebte die Bildung einer Dreierkommission aus Regierung, KCTU und einer konservativeren, legalen Gewerkschaftsföderation an, um die Lohnabhängigen ruhig zu stellen. Die KCTU-Führung hatte keine klare antikapitalistische politische Strategie und stimmte im Februar 1998 für den Beitritt zu dieser Kommission. Ein starker Widerstand an der Basis der KCTU erzwang den Rücktritt der Führung, und ein außerordentliches Leitungskomitee wurde gebildet, um die Angriffe abzuwehren.
Leider schwankte auch dieses Komitee und blies einen geplanten Generalstreik ab. Es gab Kämpfe gegen die von der Regierung geplanten arbeiterfeindlichen Umstrukturierungen, aber die KCTU-Führung entwickelte sich zu einem reformistischem Block. Diese Entwicklung führte zur Bildung der sozialdemokratisch orientierten Demokratischen Partei der Arbeit seitens der Führung der KCTU im September 1999. Zwei Monate später legalisierte die Regierung die KCTU.

Militante Alternative

Marxistische Aktivistinnen und Aktivisten hatten sich gegen den Kurs der KCTU gewandt. Durch diesen Kampf erkannte ein Kern von ihnen die Notwendigkeit einer "revolutionären politischen Partei, die Klarheit und eine Führung liefern kann", so Won Young-su. "Gegenwärtig denken wir an die Einheit aller Linken, der revolutionären Strömungen in der Arbeiterbewegung, d.h. aller, die gegen die Sozialdemokratie sind."
Während sie am Projekt einer neuen Partei arbeiten, kämpfen die Mitglieder der PWC aktiv in der KCTU. "Die meisten unserer Mitglieder arbeiten in der KCTU. Ich selbst arbeite im Institut der Arbeit, das gemeinsame Projekte mit der KCTU durchführt", sagt Won.
Die Aktiven der PWC kommen auch aus einer Strömung, die sich weigerte, der Linie der nordkoreanischen Führung zu folgen. "Während es einige gibt, die völlig dieser Linie folgen, so gibt es andere, die sich zwar an Nordkorea orientieren, aber nicht völlig untergeordnet sind. Alle, die als pro-nordkoreanisch gelten, können zu langen Gefängnisstrafen verurteilt werden. Wir sind selbstverständlich für die demokratischen Rechte aller und verurteilen die Gesetze, die eine solche Verfolgung erlauben", so Won.
"Bis zu den 60er Jahren hatte die nordkoreanische Führung einige korrekte Positionen, doch dann vertrat sie zunehmend einen Personenkult um Kim Il-sung. In Bezug auf seine Gegnerschaft zur Arbeiterdemokratie und zu einer proletarischen politischen Strategie ist es eines der schlimmsten stalinistischen Regime.
Sie verstehen z.B. nicht, dass Südkorea kapitalistisch ist. Sie verstehen nicht, dass der Hauptkampf in Südkorea sich gegen den Kapitalismus und die ganze Kapitalistenklasse richten muss, sondern sie orientieren auf einen mythischen Kampf gegen den Feudalismus und behaupten, dass Südkorea halbfeudal sei.
Wir würden gerne Kontakt zu Werktätigen in Nordkorea haben, aber es gibt keine dissidenten Gruppen revolutionärer Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Dissidenten, die es dort gibt, haben keine Basis in der Arbeiterklasse. Und die Werktätigen werden von der Partei total kontrolliert."
Ein wichtiges Arbeitsfeld der PWC ist der Kampf gegen Südkoreas Gesetz zur nationalen Sicherheit. "Dies ist ein antikommunistisches Gesetz, das gegen alle Dissidenten gerichtet ist", erklärt Won. "Sie wollen keine Opposition gegen die Regierung zulassen. Es gab 1998/99 einen großen Kampf gegen dieses Gesetz, mit über einer Million gesammelter Unterschriften, mit Demonstrationen, Kundgebungen usw., aber das Gesetz ist weiter in Kraft. Die Regierung hat angesichts der Massenbewegung einen gewissen demokratischen Spielraum gewährt, aber dieser Raum kann jederzeit wieder geschlossen werden."
Laut Won Young-su ist die PWC tatsächlich ein Organisationskomitee, von "ungefähr 200 Aktiven". "Aber wir glauben, dass wir wachsen werden. Wir befinden uns im ersten, vorbereitenden Stadium. Wir wollen bald eine achtseitige zweiwöchentliche Zeitung herausgeben und eine Webseite in englischer Sprache einrichten, damit Menschen in der ganzen Welt unsere Entwicklung verfolgen können."

Barry Sheppard

Aus: Against the Current (Detroit), Nr.87, Juli/August 2000.



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