Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.07 vom 29.03.2001, Seite 14

Das Experiment

BRD 2001, Regie: Oliver Hirschbiegel; Buch: Mario Giordano, Christoph Darnstädt, Don Bohlinger; mit Moritz Bleibtreu, Christian Berkel, Edgar Selge, Andrea Sawatzki, Maren Eggert, Justus von Dohnanyi u.a. (Kinostart: 8.3.2001.)

Wie weit darf wissenschaftliche Experimentierfreude gehen? Hierzulande sind schon Tierversuche äußerst umstritten. In dem Film Das Experiment, ein Kinodebüt von Oliver Hirschbiegel, geht es sogar um Menschenversuche. Das reale Vorbild dieses Experiments fand 1971 in den USA an der Stanford-Universität in Palo Alto (Kalifornien) statt.
Hirschbiegel und sein Drehbuchautor Mario Giordano haben die Handlung nach Köln an eine nicht näher benannte Hochschule verlegt. Ein Team von WissenschaflerInnen sucht 20 Männer für ein psychologisches Experiment. Sie setzen eine entsprechende Anzeige in die örtliche Tageszeitung, die auch dem Taxifahrer, Ex-Journalisten und abgebrochenen Studenten Tarek Fahd auffällt. Er beschließt, sich auf diese Anzeige zu melden. Ihn locken aber nicht nur die 4000 Mark, die allen, die das Experiment durchstehen, versprochen werden. Er wittert auch die Chance auf eine gute Story, die ihm den Wiedereinstieg in den Journalistenberuf bringen soll. Tatsächlich gelingt es ihm, seinem ehemaligen Chef die Geschichte für 10000 Mark zu verkaufen. In der Nacht vor dem "Einstellungstest" an der Hochschule lernt er durch einen Verkehrsunfall eine Frau kennen und verliebt sich.
Das Experiment beginnt recht seriös. Das Wissenschaftsteam wird ein wenig klischeehaft als Ansammlung von völlig rationalen, fast schon gefühlskalten Kopfmenschen eingeführt. Das ist aber auch beruhigend. Denn niemand käme auf die Idee, dass solchen Leuten etwas aus dem Ruder laufen könnte. Nach dem Abschluss des Tests sind schließlich 20 Männer ausgewählt, denen nunmehr Sinn und Zweck des Vorhabens erläutert wird: Es handelt sich um ein Gefängnisexperiment. Von den 20 Personen werden 8 zu "Wärtern" und 12 zu "Gefangenen". Nach der Einkleidung der Probanden wird den "Gefangenen" die Gefängnisordnung bekannt gemacht, wonach u.a. "Wärter" mit "Herr Strafvollzugsbeamter" und Gefangene nur mit ihrer Nummer anzureden sind.
Was sich danach im Experimentierknast abspielt, sollten sich nur Leute mit starken Nerven ansehen. Es kommt zu einer sich in ungeheurem Tempo steigernden Eskalation. Was als Machtspiel zwischen einem "Gefangenen" und einem "Wärter" anfängt, entwickelt sich zu einer planmäßigen und zunehmend sadistischen Unterdrückung und Demütigung der "Gefangenen" durch die "Wärter". Der Film geht dabei über sein reales Vorbild hinaus, indem er das Experiment über den Punkt hinaustreibt, an dem es in Palo Alto abgebrochen wurde. Am Schluss gibt es zwei Tote und mehrere Schwerverletzte, von den psychischen Schäden gar nicht zu reden. Auch die WissenschaftlerInnen geraten schließlich in die Maschinerie des von ihnen konzipierten "Versuchs".
Stilistisch ist der Film insofern interessant, als dass es neben der "allwissenden" Filmkamera noch zwei andere Perspektiven gibt: die Überwachungskamera des wissenschaftlichen Teams und — ein bisschen James Bond muss sein — die Kamera, die sich der Journalist Tarek in eine Spezialbrille einbauen ließ. Der Film gewinnt dadurch eine beklemmende Authentizität.
Auch die Handlung ist durchweg glaubwürdig, auch wenn man sich die Darstellung an einigen Stellen etwas subtiler gewünscht hätte. Es gelingt dem Regisseur sogar in Gestalt eines Elvis-Presley-Imitators unter den "Wärtern" ein wenig Humor in die Handlung einzubauen. Die DarstellerInnen überzeugen durchweg.
Oliver Hirschbiegel ist ein überzeugendes Kinodebüt gelungen. In Zeiten, in denen bürgerliche und sozialdemokratische Politiker "law and order" und "zero tolerance" propagieren und gesellschaftliche Probleme zunehmend durch Repression "gelöst" werden sollen und in denen es darüber hinaus einen erstarkenden Faschismus gibt, ist das Thema von bedrückender Aktualität. Insofern kann man den Umstand, dass einer der "Wärter" am Ende des Films von der Polizei in Haft genommen wird, auch als besondere Ironie verstehen.

Andreas Bodden

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