Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 25.04.2001, Seite 2

‘Befreit Amerika — verkauft Bush‘

Zehntausende protestieren gegen Gipfel in Québec

Vollmundig begrüßte Kanadas Premier Jean Chrètien die 33 Staats- und Regierungschefs, die zum Gipfel ins frankophone Québec angereist waren. Das neue Freihandelsabkommen FTAA (Free Trade Area of the Americas) solle eine "Aera des Wohlstands und eine Hemisphäre der Freiheit" schaffen. Mehrere zehntausend Demonstranten in Québec und anderen Städten des Kontinents hatten allerdings eine Ahnung davon, dass ihre Freiheit und ihr Wohlstand nicht gemeint sein konnten. In Anspielung auf den Promotoren der Freihandelszone, der in Québec sein Auslandsdebüt hatte, wählten die von Ralf Nader, dem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten der Grünen, und Subcomandante Marcos unterstützten Demonstranten ihr Motto: ‘Free America — Trade Bush‘ (Befreit Amerika — verkauft Bush).
1994 verhandelten die Regierungen der beiden Amerikas erstmals über FTAA. Seitdem — und das ist einer der vielen Kritikpunkte der Gegner des Abkommens — sind die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen verlaufen. Der Vertragstext ist bisher nicht veröffentlicht. Erst kurz vor dem Québecer Gipfel sind Teile des Entwurfs, der sich an dem schon bestehenden Freihandelsvertrag NAFTA, der seit 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko in Kraft ist, an die Öffentlichkeit gelangt.
Die darin enthaltenen Abschnitte zum Schutz ausländischer Investoren bestätigen die schlimmsten Befürchtungen der Demonstranten. "Jede Partei verpflichtet sich, Investoren einer anderen Partei oder den Investitionen der Investoren einer anderen Partei keine weniger vorteilhaften Bedingungen einzuräumen, als den eigenen Investoren", heisst es u.a. in dem Entwurf. Im Klartext: die heimische Wirtschaft darf nicht geschützt werden.
Kritiker weisen darauf hin, dass ähnliche NAFTA-Regelungen bereits dazu geführt haben, dass eine ganze Reihe von Umwelt- und Arbeitsschutzbestimmungen ausgehebelt wurden. Trotz zunehmenden Widerstandes sowohl gegen NAFTA als auch das neue Abkommen hoffen die beteiligten Regierungen, dass die Freihandelszone ab 2005 stehen wird.
Entsprechend heftig war der Protest gegen den Gipfel in Québec. Mehr als 30000 Menschen, unter ihnen US-amerikanische und kanadische Gewerkschafter, Menschenrechtler, Frauenorganisationen und Umweltschützer, gingen am Samstag allein in der kanadischen Provinzhauptstadt auf die Straße. Rund 3000 von ihnen hatten in den Tagen vor dem offizellen Treffen an einem Gegengipfel teilgenommen. Um Offenheit zu demonstrieren, hatte die kanadische Regierung diese Veranstaltung gesponseert. Die Übertragung einer Podiumsdiskussion zwischen den Gegnern und Regierungsvertretern hatte sie jedoch abgelehnt. Zu heftigen Auseinandersetzungen kam es vor allem, als eine Gruppe von ca. 2000 Menschen versuchte, die vier Kilometer lange und drei Meter hohe "Mauer der Schande" zu überwinden, mit der der Tagungsort und Teile der Innenstadt abgesperrt waren.
Auch in den Konferenzräumen gab es kritische Stimmen. Der Globalisierungsprozess dürfe nicht zu einem "unaufhaltsamen Abstieg zur kulturellen Homogenisierung" werden, meinte Brasiliens Präsident Cardoso. Vielmehr gelte es, eine tatsächliche Art "ungerechter Diversität" zu beseitigen: "die tiefe Ungerechtigkeit der Einkommen un der Lebensverhältnisse sowohl innerhalb der Länder wie auch zwischen den Ländern". Unter anderem forderte er einheitliche "Anti-Dumping-Regeln" und Korrekturen der "Asymmetrien" im Agrarsektor. Andernfalls sei die FTAA "irrelevant oder, im schlimmsten Fall, unerwünscht". Verständnis hatte er auch für die Protestbewegung. Die Demonstranten fürchteten "eine Globalisierung ohne menschliches Gesicht". Nur einer von Cardosos Kollegen erhob sich, um ihm zur Rede zu gratulieren: Venezuelas Präsident Hugo Chávez, der von der US-Regierung seit seinem Amtsantritt im vorletzten Jahr schon mehrmals misstrauisch beäugt wurde.
Auch in Lateinamerika regt sich erheblicher Widerstand gegen die Freihandelspläne. Bereits Anfang April gab es in Buenos Aires anlässlich eines Vorbereitungstreffen für den Quebcer Gipfel grosse Demonstrationen. Die brasilianischen Gewerkschaftsverbände, wie auch die Kanadas, Paraguays und Uruguays haben sich gegen die Freihandelszone ausgesprochen und bereiten landesweite Referenden vor.
Entsprechend beschränkten sich die Proteste nicht auf Québec. Vor allen in vielen Städten Nordamerikas gab es am Wochenende Demonstrationen, Blockaden und Happening gegen das Gipfeltreffen. In São Paolo (Brasilien) kam es zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei, als 1500—2000 Demonstranten auf der Avenida Paulista, der brasilianischen Wall Street, gegen FTAA protestierten. Nach Angaben des brasilianischen Unabhängigen Medienzentrums gab es eine dreistündige Straßenschlacht. In den USA beteiligenden sich tausende an Demonstrationen. Auch die berühmten Longshoremen, die Gewerkschaft der Hafenarbeiter an der nordamerikanischen Westküste, beteiligt sich aktiv an der Mobilisierung gegen FTAA.
"Wir fordern die Verantwortlichen in Québec auf, die so genannte Freihandelspolitik aufzugeben und statt dessen eine Politik des fairen Handels einzuführen, die lokale wirtschaftliche Entwicklung fördert, mit anständigen Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen für die Arbeiter, umweltfreundlicher nachhaltiger Produktion und interkulturellem Verständnis und Frieden zwischen den Handelspartnern", bringen sie die Forderungen der Freihandelsgegner auf den Punkt.
Nicht eingeladen zu dem Gipfel war übrigens als einziges Land der westlichen Hemisphäre Kuba, und zwar weil dort eine Diktatur herrsche. Weniger störte die Gipfelteilnehmer die Anwesenheit des haitianischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, der wegen Wahlmanipulationen und Menschenrechtsverletzungen schon mehrmals im Blickpunkt der öffentlichen Kritik stand. "Kuba unterstützt euch, umarmt euch und grüßt euch", sagte Castro an die Adresse der Demonstranten und kritisierte den kanadischen "Polizeistaat". Er drückte denen seine Bewunderung aus, die "gegen die Verbrechen an den politischen und wirtschaftlichen Rechten der lateinamerikanischen Nationen" auf die Straße gingen.

Wolfgang Pomrehn/Red.

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