Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.09 vom 25.04.2001, Seite 4

Mehr Lehrer in Nordrhein-Westfalen?

Schulpolitik

Nicht erst seit Mitte der 90er Jahren ist bekannt, dass infolge der Altersstruktur der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Geburtenentwicklung in Nordrhein-Westfalen sowohl in der Primarstufe als auch aufsteigend im Bereich der Sekundarstufe mit einem Mangel an geeignetem Lehrpersonal zu rechnen war.
Trotzdem hat das Düsseldorfer Schulministerium seit Jahren nicht mehr für ein Lehramt geworben und damit den Eindruck erweckt, dass die Einstellungschancen sehr gering seien. Zudem wurde die Attraktivität der Lehrberufe weiter eingeschränkt durch die Kürzung der Anwärterbezüge in der 2.Phase der Ausbildung und die Absenkung der Eingangsgehälter.
Die Arbeits- und Lernbedingungen haben sich in den letzten Jahren laufend verschlechtert. Durch die sukzessive Heraufsetzung der Schüler-Lehrer-Relation sind in den Schulen des Landes die Klassenstärken stetig angestiegen und das, obwohl Kinder und Jugendliche aufgrund ihrer veränderten Lebenswelt nicht weniger, sondern mehr Betreuung brauchen.
Seit Jahren beträgt die Stellenbesetzung nur auf dem Papier 100% , in der Schulwirklichkeit liegt die Besetzung mit mindestens 3—4% darunter, an manchen Schulen bis zu 15%. Die Steigerung der Arbeitsbelastung lässt seit einigen Jahren den Krankenstand hochschnellen, die vorzeitigen Pensionierungen nehmen überproportional zu.
Zusätzlich wird die Arbeit durch ungepflegte, belastete oder marode Schulbauten und nicht zeitgemäße Unterrichtsmittel erschwert. So hat die Landesregierung die Budgets bei den Schulbüchern sukzessive gekürzt, so dass häufig veraltete und verschmutzte Bücher als wenig motivierendes Lernmittel konträr stehen zur schönen neuen Medienwelt.

Trend zur Privatisierung

Diese zunehmende Verschlechterung der Lernbedingungen hat einen deutlichen Trend zur Privatisierung von Bildung zur Folge. Private Nachhilfeinstitute schießen wie Pilze aus dem Boden. 14% aller Viertklässler erhalten inzwischen Nachhilfeunterricht. Auch die Privatschulen verzeichnen steigende Schülerzahlen. Konkret heißt das: jeder sechste Gymnasiast besucht eine Privatschule.
Die staatlichen Schulen wiederum sind gezwungen, durch Aufbau eines Sponsorings die dringend benötigten, aber fehlenden öffentlichen Gelder wenigstens teilweise hereinzuholen. In diesem Zusammenhang wird auch über Werbung in den Schulen offen diskutiert.
So hängt die Qualität der Schullaufbahn wieder verstärkt vom Sozialstatus und der Finanzkraft des Elternhauses ab. In letzter Konsequenz bedeutet das u.a., dass Arbeiterkinder an weiterführenden Bildungsanstalten unterrepräsentiert sind.
Weder die Gewerkschaften noch andere Parteien oder Institutionen beziehen in der Öffentlichkeit klare Positionen. So hat sich beispielsweise die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bereits auf einen Kompromiss über die Zulassung von Werbung an den Schulen eingelassen.
Wenn die GEW doch Kritik übt, bringt sie diese nicht öffentlichkeitswirksam an. Kritik erscheint nur in den gewerkschaftseigenen Publikationen und ist so geartet, dass sie der Landesregierung möglichst wenig weh tut.
Nur die Arbeitsgemeinschaft junger Lehrer und Lehrerinnen in der GEW (AjLE) prangert den Bildungsnotstand sehr deutlich an. Im Rahmen des Gewerkschaftstages wurden öffentlichkeitswirksam 44000 Papierschiffe mit den Forderungen für eine bessere Schule am Innenhafen vor dem Landtag in den Rhein gelassen.
Von Schulministerin Gabriele Behler (SPD) wurde diese Aktion scharf verurteilt. Die Plakataktion "Bildung geht baden" und das Falten von Papierschiffchen durch Kinder war für die Ministerin Anlass, gleich von "Instrumentalisierung der Schülerinnen und Schüler" zu sprechen.

‘Vorrang für Bildung‘?

"6100 zusätzliche Lehrstellen bis 2005", "30000 junge Lehrerinnen und Lehrer kommen in die Schulen", "Zwei Milliarden Mark für Investitionen im Schulbereich": Mit solchen Schlagzeilen wirbt das Wissenschaftsministerium für seinen Stufenplan "Verlässliche Schule 2001—2005".
Doch bei näherem Hinsehen entpuppen sich die Maßnahmen allzu oft als Tropfen auf den heißen Stein (siehe Kasten). So reichen die 300 Stellen zur Förderung benachteiligter Schülerinnen und Schüler keineswegs aus.
Dass 30000 neue Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden, liegt vor allem daran, dass rund 25000 Lehrerinnen und Lehrer in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen werden. Die Wiederbesetzung dieser Stellen ist somit nicht mehr als eine Aufrechterhaltung des Status quo.
Grundsätzlich ausgenommen sind die Grundschulen, von der Einführung des Fachs Englisch einmal abgesehen, das für viele Kinder mehr Belastung als Gewinn sein wird. Stattdessen wird der gemeinsame Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder in seiner Qualität weiter eingeschränkt, weil die zur Verfügung gestellten Stellen für Sonderschullehrinnen und -lehrer nicht entsprechend der steigenden Zahl an Förderkindern aufgestockt werden. So erhält das einzelne Kind immer weniger an notwendiger Förderung.
Auf der landesweiten Einstellungsliste für die Primarstufe stehen 6500 Lehrerinnen und Lehrer, die sich um eine Einstellung in den Schuldienst bewerben. Nur etwa 300 haben eine reale Chance, obwohl der Bedarf viel höher ist.
Gleichzeitig erhalten diese 300 nur dann eine Einstellungszusage, wenn sie erstens mit einer Dreiviertel- Stelle einverstanden sind und zusätzlich bereit sind, mindestens 2 Jahre im Vertretungspool zu arbeiten, also als Springer von Schule zu Schule, wenn eine Lehrkraft durch Krankheit ausfällt.
Mittlerweile gibt es einen kaum noch zu übersehenden "grauen Markt" an Beschäftigungsverhältnissen im Schulbereich, der von kurzfristigen Einstellungen über Vorgriffseinstellungen, Erziehungsurlaubsverträgen bis zu 630-Mark-Verträgen und Arbeitsbeschäftigungsmaßnahmen reicht.
Es fehlt die für eine verantwortungsvolle pädagogische Arbeit notwendige langfristige Perspektive. So werden diese Kräfte vertröstet mit halben Versprechungen, bleiben ohne soziale Absicherung, haben häufig Stundenverträge, die nicht zum Lebensunterhalt reichen.
Natürlich wechseln sie dann schnell in andere Beschäftigungsverhältnisse, wenn sie ein besseres Angebot erhalten. So erzeugt diese unsoziale und unsinnige Einstellungspolitik viel Wechsel, wo Kontinuität nötig wäre.
Im Sonderschulbereich zeichnet sich bereits heute vor allem bei den Schulen für Lernbehinderte ein steigender Mangel an ausgebildeten Lehrkräften ab, die auch in den nächsten Jahren nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen werden.
Trotzdem wird die Ministerin nicht müde, immer neue Programme aufzulegen: Mit dem Programm "Schule von 8 bis 13 Uhr" sollen die Kinder beaufsichtigt werden, wenn kein Unterricht stattfindet.
Geleistet werden soll die Arbeit von Arbeitskräften ausschließlich mit 630-Mark- Verträgen. Für sozialpädagogische Fachkräfte in festen Beschäftigungsverhältnissen wird kein Geld zur Verfügung gestellt.
Die 2,2 Milliarden Mark, die das Programm "Vorrang für Bildung" kostet, fehlen außerdem an anderer Stelle. Gespart werden soll u.a. bei der Jugendförderung, Behindertenprogrammen oder bei Ausländerprojekten.
So ist die Schulpolitik der Landesregierung gekennzeichnet durch Konzeptionslosigkeit, Mängelverwaltung, Flickschusterei und Schnellschüsse. Gleichzeitig betreibt die rot-grüne Koalition Augenwischerei, wenn es um die Information der Öffentlichkeit geht, was die Missstände an den Schulen betrifft.

Larissa Peiffer-Rüssmann

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