Sozialistische Zeitung |
Seit Mitte März sind sie im Netz der Netze und mit den Castor-Transporten kam das große Coming-out: Indymedia.de, die
deutsche Sektion eines internationalen und "multimedialen Netzwerks unabhängiger und alternativer Medien" hat sich ganz dem Widerstand gegen
Kernenergie, Faschismus, Rassismus und Globalisierung verschrieben.
Werbebanner gibt es keine und das wäre auch nicht mit ihrem Selbstverständnis in
Einklang zu bringen. Demnach sind sie nämlich Teil der genannten Bewegungen und fördern bewusst eine subjektive Berichterstattung, die Bestandteil
ihres Konzepts von Gegenöffentlichkeit ist. Von "wirtschaftlichen Interessen gefärbte Informationen", eine Folge der ausufernden Werbe- und
Anzeigenwirtschaft, kritisiert Indymedia.de als wesentlichen Bestandteil der "Zusammenballung etablierter Medienmacht". Ganz allgemein und
überhaupt geht es Indymedia.de nicht um "objektiven Nachrichtenjournalismus, sondern um subjektive persönliche Stellungnahmen verschiedenster
Menschen auf der Straße".
Indymedia.de will politisch Aktiven die Möglichkeit geben, ihre Texte, Bilder, Tondateien und
Videos einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und im Idealfall zu ihrer besseren Koordinierung beitragen. Doch mit Lenins "kollektivem
Organisator" hat Indymedia.de wenig gemein. Wie ihr Vorbild aus den USA in Seattle wurde anlässlich der Proteste gegen die
Welthandelsorganisation 1999 das erste Independent Media Center gegründet sind sie eher von der dezentralen Struktur des Internets fasziniert.
Ebenso wie die mexikanischen Zapatisten und ihr Subcomandante Marcos sehen sie den
technologischen Wandel auf dem Gebiet der Telekommunikation nicht nur als Möglichkeit zur Etablierung neuer Herrschaftsformen, sondern auch als neuen
Spielraum des Widerstands. Hinter Indymedia.de steht nach eigenen Angaben weder eine Partei noch eine homogene Organisation. Die Berichterstattung entspricht
vielmehr dem bunten Bauchladen des politischen Aktivismus.
Seit Ende 1999 ist Indymedia.de einer der nichtkommerziellen Shootingstars in den schier
unendlichen Weiten des Internets. Mittlerweile gibt es 60 Independent Media Centers (IMC) weltweit, die meisten davon in den USA und Kanada, im April kamen
Neugründungen in Japan, der Türkei und Bolivien hinzu. Seit dem 4.April wird via Satellit nun auch das erste IMC-TV ausgestrahlt und in einigen
Ländern sollen "IMC-Fernsehstuben" eingerichtet werden.
Schreiben, senden und veröffentlichen darf jede und jeder. "Jede Person, die diese Seite
besucht und mitkommuniziert ist eigentlich schon Teil des Ganzen", erklärt "Mr.Burns", einer der Mitbegründer von Indymedia.de, der
nicht mit seinem richtigen Namen zitiert werden möchte. Dass dieses "open posting" zu Problemen führen kann, wussten auch die zumeist
zwischen 20 und 30 Jahre alten Teilnehmenden des Gründungstreffens Mitte Januar in Hamburg und haben sich für eine "eingeschränkte
Moderation" entschlossen. D.h., alle können im "open posting" schreiben. Die dort eingegangenen Beiträge werden von den knapp 30
ehrenamtlichen Mitarbeitern, unter ihnen auch einige Medienprofis, gesichtet und einige davon auf der Startseite unter Themenschwerpunkten rubriziert.
Erst "zwei oder dreimal" hätten Neonazis in den ersten Wochen die
Publikationsmöglichkeit bei Indymedia.de genutzt, sagt Mr.Burns. Ihre Beiträge verschwinden umgehend im "Müllarchiv", das nur auf
gesonderte Anfrage an die Moderatoren zu beziehen ist. Gemessen an den fast im Minutentakt eingehenden Beiträgen von Castor-Gegnern während des
Atommülltransports eine bescheidene Anzahl.
Sorge machen Mr.Burns schon eher übereifrige Beamte. "Die Polizei kann es sich nicht
nehmen lassen, uns mit Texten zu überhäufen", so der Medien-Aktivist, "einer von denen schickte uns während des Transports am Tag
80100 Mitteilungen meistens als Kommentar". Nicht alles davon verschwindet im Müllarchiv, denn "Selbstentlarvung" wird
nicht gelöscht. "Sollen wir euch von den Gleisen streicheln … oder erwartet ihr vielleicht auch noch, dass wir euch feiern für den ganzen Mist, der
teilweise von autonomer Seite gelaufen ist" fragt "ein grüner Mann" auf der Indymedia.de-Homepage. Solche Anmerkungen gehörten noch
zu den "gemäßigten Postings", erklärt Mr.Burns. Einige Beamte beschimpften bei Indymedia.de die "Demodeppen" und ihre
"lächerlichen und unsinnigen" Anliegen. "Einige meinten auch irgendwas von Kniescheibe brechen und dass der Castor über uns rollen
solle", sagt Mr.Burns.
Manchmal verlassen diese Attacken auch den virtuellen Raum. Das mussten nicht nur viele der
Demonstranten auf der Straße spüren. Auch eines der drei Infomobile des spendenfinanzierten Indymedia.de-Netzwerks, als Presseauto gekennzeichnet und
während der Transporte im Wendland unterwegs, wurde am 28.März Opfer eines Polizeiangriffs. "Ich konnte meinen Augen kaum trauen, ich sah
mehrere Polizisten um ein deutlich als Presseauto erkennbaren Wagen stehen und mit Knüppeln darauf einprügeln", berichtet ein Augenzeuge aus
Dahlenburg in seinem Bericht an Indymedia.de. Beamte hätten versucht, den Fahrer aus dem Wagen zu ziehen. Nach Ansicht von Indymedia.de gab es
"keine Rechtfertigung für einen derartigen Eingriff in die vom ‚Staat versicherte Pressefreiheit". "Wir verurteilen diese, scheinbar nur
aus Frust ausgeübte Beschränkung des Presserechts", heißt es bei Indymedia.de.
Während der Castortransporte besuchten bis zu täglich 8000 User die Indymedia.de-
Homepage und konnten diese Nachrichten verfolgen. Zur Zeit hat sich die Besucherzahl auf 4000 eingependelt. Die wenigsten von ihnen schreiben dort auch etwas
nieder. Bis zur Aufhebung der "Trennung zwischen MacherInnen und KonsumentInnen", einem erklärten Anliegen von Indymedia.de, ist es also noch
ein weiter Weg.
Gerhard Klas
Siehe auch: http://de.Indymedia.org/
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