Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 10.05.2001, Seite 1

Armut — Reichtum

Klassenkampf von oben

Ende April veröffentlichte die Regierung in Berlin den ersten regierungsamtlichen "Armuts- und Reichtumsbericht" für Deutschland. Seit Jahren schon fordern insbesondere Sozialverbände und Kirchen, die selber schon mehrmals Armutsberichte vorgelegt haben, eine Einbeziehung des Reichtums in die Untersuchungen zur Armut. Die "rot-grüne" Regierung hatte dies zu Beginn ihrer Tätigkeit zugesagt. Arbeits- und Sozialminister Walter Riester legte nun einen Bericht vor, der allerdings nur die Verhältnisse bis 1998 betrachtet — also ohne die Regierungszeit von Schröder.
Dem Bericht zufolge bezieht fast jeder dritte Haushalt ein Einkommen, das geringer ist als die Hälfte des Durchschnittseinkommens: Erst durch staatliche Maßnahmen, sog. Transfereinkommen wie Sozialhilfe oder Arbeitslosenunterstützung, erreicht ein Teil dieser Haushalte eine höhere Einkommensgruppe. Arbeitslosigkeit und Kinderreichtum: Armutsrisiken erster Klasse in einem reichen Land.
Gleichzeitig gab es 1995 in Deutschland rund 13000 Einkommensmillionäre. Die "Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen" sind in den letzten neun Jahren allein um rund 40% gestiegen, deren Nettoeinkommen sogar noch stärker um 43%. Die Einkommen der Arbeitnehmer stiegen dagegen brutto um 25%, netto nur um 12,5% — eine Folge der Steuer- und Abgabenbelastung der abhängig Beschäftigten und eine Folge der Umverteilung durch steuerpolitische Maßnahmen der Kohl-Regierung.
Natürlich ist nicht alles nur eine Verteilungsfrage, die sich durch eine stetige Neuverteilung — z.B. über Besteuerung und Transfer — ändern ließe. Wenn über Einkommen und Vermögen geredet wird, sollte über die Produktion des Reichtums — wer ihn erarbeitet, woher die Zinsen und Geldvermögen stammen — nicht geschwiegen werden. Darüber ist aber in dem Bericht nicht die Rede — die Regierung Schröder hat im Gegenteil das Vorwort als Lobhudelei auf ihre Politik angelegt.
Wenn Riesters Bericht hauptsächlich die Regierungszeit Kohls umfasst, lässt sich daran zeigen, wie Steuerpolitik und Wirtschaftspolitik die Einkommens- und Vermögensverteilung beeinflussen. Sinkenden Steuer- und Abgabensätzen bei Unternehmen stehen höhere Abgaben der abhängig Beschäftigten gegenüber, die Übernahme der DDR gehört ebenfalls in die Bereicherungsgeschichte.
Die Umverteilung von unten nach oben wird durch eine Senkung der direkten Steuern auf Einkommen und Vermögen hin zu indirekten Steuern auf den Konsum gefördert. Und die Schulden der öffentlichen Hände, die zu steigenden Zinseinnahmen der Privaten (dazu gehören natürlich auch Banken und Unternehmer) führen, dürfen ebenfalls nicht vergessen werden.
Im Gegensatz zu den Ankündigungen der Regierung im Vorwort der Studie gibt es seit 1998 keinen Politikwechsel, wie ihn Rot-Grün vor den Wahlen an die Wand gemalt hat. Zu den schärfsten Kritikern des Regierungskurses gehört unter anderem die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Memo-Gruppe), die in ihrem Alternativen Wirtschaftsgutachten von Ende April mit der Fortsetzung der neoliberalen Politik durch die Schröder-Regierung abrechnet.
Insbesondere an der Steuerreform wie an der Rentenreform äußern sie zu Recht deutliche Kritik. Unter der Überschrift "Geschenke an die Finanzkonzerne" schreiben die alternativen Wirtschaftswissenschaftler: "Auf den ersten Blick scheint sie eine gleichmäßig kräftige Entlastung aller Einkommensschichten zu bringen . Bei genauerer Betrachtung erweist sich die Steuerreform jedoch vor allem als Projekt, das in besonderer Weise die Reichen und die Unternehmen bevorzugt und somit den Kurs der Umverteilung von unten nach oben fortsetzt. Denn insbesondere für die unteren Einkommensgruppen werden die steuerlichen Entlastungen weitgehend kompensiert oder sogar überkompensiert durch verschärften Sozialabbau . Dauerhaft entlastet . werden dagegen die oberen Einkommensgruppen sowie Kapitalgesellschaften . Damit wird die Tendenz zu wachsender Ungleichheit bei der Einkommens- und noch stärker der Vermögensverteilung nicht gestoppt oder gar korrigiert, sondern fortgesetzt."
Insbesondere die Senkung der Körperschaftsteuer von 45 auf 25% hat "den ruinösen internationalen Steuerwettbewerb weiter angeheizt", und damit "wurde die Erosion der Steuerbasis und die Verschiebung der Steuerlasten zu Ungunsten der ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen beschleunigt".
Die Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften führt ab 2002 zu einem Einnahmeausfall des Staates von mehr als 10 Mrd. Mark. Eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer ist überhaupt nicht vorgesehen. Die Frankfurter Rundschau schreibt, dass Arbeitsminister Riester auf entsprechende Fragen "ins Schwimmen" kam — die naheliegendste Reaktion auf den Armut-Reichtum-Bericht soll dringend vermieden werden.
Natürlich ist eine andere Verteilungs- und Steuerpolitik nicht die Lösung der Armutsfrage. Das behaupten auch die alternativen Wirtschaftswissenschaftler nicht, und eine Kritik an der Schröder-Regierung darf nicht dabei enden. Aber erneut wird der Nachweis durch das Memorandum erbracht, dass zumindest eine andere Politik möglich wäre, die eine fortschrittlichere Regierung betreiben könnte. Die Besteuerung des Reichtums stünde dann an erster Stelle, nicht das Pflasterkleben bei den Armen.

Rolf Euler

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