Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 10.05.2001, Seite 4

Entschuldigungsmarathon

PDS strebt in die Mitte

Der Vorstoß in Sachen Geschichte geschah zwischen zwei anderen, die gleichermaßen von keinem Parteitagsbeschluss gedeckt waren: dem eigenmächtig von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch am 10.April bekanntgegebenen Entwurf einer Wahlstrategie und dem am 27.April verkündeten neuen Parteiprogramm.
Im Entwurf einer Wahlstrategie wird die Schröder-SPD zum konkurrierenden Partner umbenannt, mit dem schon nächstes Jahr koaliert werden könnte. Der von Prof. Klein und den Brüdern Brie stammende Programmentwurf zielt einem Autor zufolge auf die "Öffnung der PDS in die Gesellschaft". Er enthält u. a. die Feststellung: "Unternehmertum und betriebswirtschaftliches Gewinninteresse sind wichtige Bedingungen von Innovation und Effizienz."
Zwischen beiden Papieren veröffentlichten am 18.April die PDS-Vorsitzende Gabriele Zimmer und ihre Stellvertreterin, MdB Petra Pau, ihre Erklärung, die einem 55 Jahre zurückliegenden Ereignis, der Vereinigung von SPD und KPD 1946, gilt. Darin heißt es, auf dem Sonderparteitag Ende 1989 habe sich die SED beim DDR-Volk dafür entschuldigt, "dass die ehemalige Führung der SED unser Land in eine existenzgefährdende Krise geführt hat". Aus heutiger Sicht meine man: "Dies sollte die Vereinigung von KPD und SPD einschließen. Denn die Gründung und Formierung der SED wurde auch mit politischen Täuschungen, Zwängen und Repressionen vollzogen. Wir erwarten übrigens von der Sozialdemokratie keine Abbitte für Handlungen, mit denen sie der deutschen Linken Schaden zugefügt hat."
Die Deklaration wurde fünf Monate lang erwogen. Sie sucht entgegengesetzte Tatbestände unter einen Hut zu bringen. So erinnern die Autorinnen an Noskes Verantwortung für den Mord an Luxemburg und Liebknecht, die unter SPD-Regierungen in der Weimarer Republik inhaftierten Kommunisten und den Blutmai 1929. Wie die Sozialfaschismusthese der KPD unterlägen diese Beispiele "verschiedenen Bewertungen", wobei die SPD nichts "abzubitten" habe.
Folgt der Versuch, die heutige "Entschuldigung" in die von 1989 zu projizieren. Jedoch galt die Entschuldigung von 1989 einem aktuellen Ereignis und der Verantwortung der gestürzten Führung dafür — ein berechtigtes Anliegen oppositioneller SED-Mitglieder. Heute soll eine andere Partei sich für Vorgänge entschuldigen, die 44 Jahre vor ihrer Geburt geschahen.
Mit gleichem Recht könnte von "den Franzosen" verlangt werden, sich für die Bartholomäusnacht, die Revolutionen, die Dreyfus-Affäre und Vichy zu eskulpieren, bzw. von "den Russen", für Oktoberrevolution und Stalinismus das gleiche zu tun. Die Liste "der Deutschen" würde u.a. beide Weltkriege enthalten. Jede Nation und Partei, besonders die sozialistische, ist zu verantwortungsvollem Umgang mit der Geschichte und Fehlerkorrekturen verpflichtet. Doch ist es abgeschmackt und kindisch, dem mit "Entschuldigungen" nachkommen zu wollen.
Auch die Verfasserinnen räumen dies ein: "Geschichte lässt sich nicht gegeneinander aufrechnen. Ablassrituale machen sprachlos, sie haben nichts mit historischer Aufarbeitung zu tun." Statt sich aber an die eigene Erkenntnis zu halten, wenden sie weiter die alte Methode an. Die SED-Gründung bezeichnen sie zutreffend als historisch erklärbar und "von vielen gewollt", während andere, Sozialdemokraten wie Kommunisten, ihr gegenüber der Erfahrungen vergangener Zeiten wegen Bedenken hegten.
Ebenfalls zu Recht verweisen sie darauf, dass Gegner des Zusammenschlusses Repressionen ausgesetzt waren. Ihre Formulierung jedoch: "Viele . bezahlten das mit ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit, nicht wenige mit dem Leben", ist ahistorisch übertrieben. Die Autorinnen verbinden sie mit Hinweisen auf die Stalinisierung ab 1948, bei der Sozialdemokraten und Kommunisten verfolgt wurden. Indes ist diese nicht mit der Vereinigung identisch.
Innerhalb der PDS hat die Erklärung meist Gegner gefunden. Deren Stellungnahmen reichen von Erinnerungen an eigene, sie begeisternde Erlebnisse bei der Vereinigung über Proteste dagegen, dass die Mitgliedschaft erneut von der Parteispitze überrumpelt wurde, Parteiaustritte, Ruhenlassen der Mitgliedschaft und Rücktritt eines Landesvorstandsmitglieds bis zum Negativ-Urteil von Bundesvorstandsmitglied Wagenknecht, die "Enschuldigung" treffe die Mitglieder ins Mark, mit ihr werde das Parteiprogramm umbewertet und die Geschichte umgedeutet, und zur Verbalattacke von Prof. Nick, der Auftritt Zimmermann/Pau sei "erbärmlich" gewesen.
Kritische Stellungnahmen liegen ferner vom PDS-Ehrenvorsitzenden Modrow, von der Kommunistischen Plattform, dem Schriftsteller Erik Neutsch, der DKP und deren ehemaligem Vorsitzenden Mies vor. Teilnehmer der erregten Debatte erinnerten daran, dass als erster der PDS-Vorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, Partei-Rechtsaußen Helmut Holter, SPD-Forderungen entsprechend die "Zwangsvereinigung" von 1946 verurteilte.
Gregor Gysi forderte weitere Schritte zur "historischen Aufarbeitung". Er argumentierte, in den 50er Jahren sei in der SED "das sozialdemokratische Element personell, aber auch inhaltlich völlig liquidiert" worden. Doch blieben Grotewohl, Ebert, Mückenberger usw. der Partei auf hohen Posten erhalten, herrschte im SED-Apparat je nach Lage mal Radaukommunismus, mal aus schlechtester SPD-Tradition herrührender rechter Opportunismus vor.
Im Leitartikel vom 19.April kommentierte die Berliner Zeitung die Zimmermann/Pau-Erklärung mit den Worten: "Die PDS ist ministrabel". Der einstige Regierende Bürgermeister Momper (SPD) äusserte sich gleichermaßen euphorisch. Er strebt in Berlin ein Bündnis mit der PDS zwecks Ablösung der skandalumwitterten CDU an. SPD-Generalsekretär Müntefering nannte die Deklaration einen "Schritt in die richtige Richtung", allerdings müsse die PDS noch ihr Verhältnis zur Marktwirtschaft, zur Eigentumsfrage und zur internationalen Rolle Deutschlands klären, wozu auch das zu Kriegsabenteuern zählen dürfte. Zimmer trage dazu bei, "dass die PDS Teil unserer Demokratie werden und sich bewähren kann".
Als die Parteichefin mit Rücksicht auf die eigene Parteibasis verlautbarte, Sozialdemokraten sollten sich nicht süffisant über die PDS- Vergangenheitsdiskussion mokieren, auch sie hätten "Leichen im Keller", z. B. die antikommunistischen Berufsverbote für Lehrer, warf Müntefering Zimmer nunmehr "üble Verleumdung der SPD" vor.
Im Streben nach Anerkennung als "normale Partei" gleich den etablierten plant die PDS-Spitze weitere Ruhmestaten. Zum 40.Jahrestag des Mauerbaus im August 2001 soll Abbitte für DDR-Repressionen gegenüber der Bevölkerung und für die Tötung von Grenzverletzern geleistet werden. Für Ereignisse also, die die Partei wieder nicht verschuldet hat, die auch an Grenzen "freiheitlicher" Staaten geschehen und denen gegenüber sachliche Analysen, nicht weinerliche "Entschuldigungen" geboten sind.
Später soll eine Entschuldigung für Stalins (von den Westmächten mitverursachte) Westberlin-Blockade 1948/49 nachgeschoben werden. Das Drängen in die rechte, laut vorgegebenem Sprachgebrauch allein politikfähig machende "Mitte" hält an. Es sollte zum Nutzen der PDS durch Intervention der Basis gestoppt werden.

Manfred Behrend

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