Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 10.05.2001, Seite 7

Betreuungsobjekt Frau

Zur Kritik westlicher Familienplanung in Afrika

B.Knieper, Zur Kritik einer westlichen Familienplanung in Afrika, Münster (Westfälisches Dampfboot) 2000, 48 Mark.

EntwicklungshelferInnen kennen das nur zu gut: Ein Projekt kommt in einem afrikanischen "Zielland" nicht in die Gänge, monatelang türmen sich bürokratische Hindernisse auf, verantwortliche Beamte werden versetzt. EntwicklungshelferInnen wollen allerdings selten die mit diesem Verhalten verbundene Botschaft zur Kenntnis nehmen: Widerstand derer, die "entwickelt" werden sollen. Leiser, aber ausdauernder und penetranter Boykott ist häufig die Antwort der Afrikaner auf Fremdbestimmung und Bevormundung.
Die europäischen "Helfer" reagieren dann häufig mit dem "Argument", die Einheimischen seien entweder unfähig oder sie wüssten nicht, was sie wollen. Diese Erfahrung machte auch Barbara Knieper mit einem Projekt zur Familienplanung in der Zentralafrikanischen Republik in den 80er Jahren. Aber sie ließ das Scheitern nicht auf sich beruhen, sondern ging dem Widerwillen und der Wut der Afrikanerinnen auf den Grund. Was sie herausgefunden und in einem Buch niedergelegt hat, stellt die gängigen Konzepte der westlichen Familienplanung so stark in Frage, dass Barbara Knieper am Ende mit ihrem Gegenentwurf an der Arroganz und Ignoranz der deutschen Geberorganisation gescheitert ist.
Schritt für Schritt nimmt die Autorin die gedanklichen Voraussetzungen und grundlegenden Werte westlicher Familienplanung auseinander: Sie kritisiert die Modernisierungstheorie, die den europäischen Fortschrittsgedanken auf die afrikanische Realität "als zu formendes Material" überträgt und die Afrikaner diskriminiert. Sie beschreibt die daraus abgeleitete aggressive Bevölkerungspolitik als gewalttätig, totalitär und dogmatisch.
"Sie dient nicht den Frauen, ihrer Gesundheit und ihrer Sexualität, sondern ganz im Gegenteil werden gerade jene Verhütungsmittel verstärkt eingesetzt, die sich der Kontrolle der Frauen entziehen, die den Willen der Afrikanerinnen ausschalten und gewissermaßen selbsttätig wirken, wie Spiralen oder injizierbare Verhütungsmittel und dies ungeachtet der gesundheitlichen Risiken. Verstärkt wird diese Tendenz zusätzlich durch eine Bevölkerungspolitik, die die Vergabe von Krediten und Hilfen an eine wirkungsvolle Geburtenkontrolle knüpft."
Knieper fordert, die Familienplaner müssten sich von westlichen Mustern und Zielen verabschieden und sich "afrikanischer Aufklärung" und afrikanischen Deutungen öffnen.
Barbara Knieper setzte bei der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) ein neues Projekt durch: Zusammen mit der zentralafrikanischen Frauenvereinigung sollten die Grundlinien einer Sexualerziehung in der Schule formuliert werden. Das sei nur möglich, so ihre Überzeugung, wenn die Frauen, "die traditionell die Hüterinnen und Wächterinnen der afrikanischen Familienplanung waren" und die dieses Recht und diese Pflicht nicht aufgeben wollten, beteiligt wären.
So geschah es, und siehe da — die Maßnahme wurde schnell und unbürokratisch von der afrikanischen Seite aufgenommen, demokratisch mit einem öffentlich zugänglichen "Nationalen Komitee" versehen und die ganze Zeit über "mit Effizienz und Ausdauer betreut".

Afrikanische Aufklärung

Die Frauen gingen anders vor als die westlichen Experten. Weil sie sich auf die afrikanische Denkweise und auf die Tradition einließen, haben sie die üblichen Fehler von Anfang an vermieden. Statt mit standardisierten Fragebögen nur scheinbar objektive und statistisch gesicherte Einstellungen zu Schwangerschaft und Verhütung abzufragen, wurden die Afrikanerinnen als "Zeuginnen" behutsam und sensibel zum Erzählen ermuntert.
Denn die Frauen reden nicht "einfach" über Sexualität und Verhütung, schon gar nicht mit Fremden im weißen Kittel in der einschüchternden Atmosphäre einer Gesundheitsstation. Auch wurde ihnen nicht "einfach" eine Verhütungsmethode verordnet und diktiert. "Die Frauen waren bis dahin nur 'benannt‘ oder allenfalls als Opfer erfasst und beschrieben worden. Ihr Leben, ihr Können und Wirken im Bereich der traditionellen Familienplanung blieb stets im Dunkeln verborgen, in der Nichtbeachtung ihrer besonderen Existenz vergessen, die sich nun machtvoll zeigte und nach einer Bestätigung und 'Vergewisserung‘ verlangte."
Die Zeuginnenaussagen förderten Ergebnisse zutage, die bislang in der westlichen, "technischen" Familienplanung keinerlei Rolle gespielt hatten, ja, die den meisten Planern gänzlich unbekannt sein dürften: Der Tradition zufolge sichert ein Kind die Lineage der Großfamilie und dient als zukünftige Arbeitskraft dem Überleben des Clans. Es stellt die Verbindung zur Vergangenheit und zum Jenseits dar, weil in ihm ein Ahn zurückkehren kann. Das Kind wird von Anbeginn der Schwangerschaft verehrt. Es werden ihm der Willen und der Verstand eines kleinen Erwachsenen zugeschrieben. Sexualität ist heilig und verehrenswert, denn sie dient der Zeugung eines Kindes.
Die schwangere Frau ist geheiligt und unantastbar. Ihr Ansehen wächst. Sie wird endgültig in die Familie aufgenommen, denn nun bestimmt auch ihr Blut die Lineage. Auch der Vater steigt in eine bedeutendere Altersklasse auf; er wird Vater aller Kinder des Dorfes, das als ganzes und durch die Dorfältesten die Schwangerschaft überwacht.
Strikte Regeln und Gebote schützen Schwangere und Kind in ihrer Verletzlichkeit. Dabei spielt die Schwiegermutter eine herausragende Rolle. Sie begleitet und beschützt die Frau die ganze Zeit hindurch und bespricht mit ihr jede kleinste leibliche Äußerung und Störung. "Beide wissen, dass sie alles tun müssen, um den kleinen Erwachsenen zu überzeugen, dass sein Platz auf dieser Welt ist. Beide fürchten, dass man ihn nicht verlocken kann, seinen einmal begonnenen Weg fortzusetzen."
Die Schwangerschaft ist eine prekäre und gleichzeitig geheiligte Zeit. Die ältere Frau, die selbst Mutter ist, kennt die besten Nahrungsmittel, Medizinen und Regeln der Hygiene, um die Schwangerschaft zu einem guten Ende zu führen.
Barbara Knieper arbeitet heraus, wie weit die afrikanische, auf die Autorität der erfahrenen Frau gestützte Schwangerschaftsberatung von der europäisch-mechanistischen entfernt ist. "Das wahre Wissen kann nicht abstrakt berichtet oder vermittelt werden. Die wirkliche Erkenntnis bezieht sich auf das leiblich Erlebte.
Die Enthüllung des Wissens im Erlebnis führt dazu, dass die Wissensvermittlung niemals ungeeignet, niemals zu früh oder zu spät erscheint. Sie ist immer dem Bedürfnis gewidmet, stets konkreter Rat und nicht allgemeine Ausführung oder abstraktes Prinzip."
Ebenso verhält es sich mit der traditionellen Familienplanung. Die Afrikanerin wird erst wieder schwanger, wenn das letzte Kind auf eigenen Beinen steht und laufen kann. Während der ersten zwei Jahre bleibt die Frau enthaltsam; der Mann wendet sich in der polygamen Ehe seinen anderen Frauen zu. Zusätzliche "Sicherheit" bietet die temporäre Unfruchtbarkeit durch das Stillen sowie magische Mittel wie Fetische oder Gürtel.

Zumutungen der Moderne

Nun mag der Leser langsam begreifen, welche Zumutungen die "moderne" Schwangerschaftsberatung und Familienplanung für die Afrikanerinnen bereithält. Zunächst droht eine Sanktion: Wenn sie die Gesundheitszentren nicht aufzusuchen, entfallen finanzielle Beihilfen. Also gehen sie in die Zentren, obwohl es dem afrikanischen Denken zutiefst widerspricht, die Sexualität in die Nähe der Medizin zu rücken, die für Krankheiten zuständig ist. (Das trifft auch auf die Verhütung durch Pillen zu.) Des Weiteren löst die Beratungssituation die Frau aus ihrem familiären Zusammenhang.
Es wird erwartet, dass sie wie eine westliche Frau individuell denkt, rational und kritisch analysiert, plant und organisiert. Die Schwiegermutter darf an dem Gespräch nicht teilnehmen. Die gestresste Hebamme hat meist nur wenig Zeit, stellt Standardfragen nach dem körperlichen Befinden und zwingt die Afrikanerin, preiszugeben, dass sie ein Kind erwartet. Denn traditionell wird die Schwangerschaft als Geheimnis behandelt. Sie wird im Dorf erst offiziell bekannt gegeben, wenn sie körperlich sichtbar ist. Auch das dient dem Schutz von Mutter und Ungeborenem vor schädlichen Einflüssen.
Die Hebamme tastet, misst Gewicht, Größe und Umfang des Bauches, macht Abstriche und nimmt Proben, sie hört Töne ab und stellt Prognosen. "Die Gynäkologie, die operationell verifizierbare Schwangerschaft gehört der Hebamme, der Ärztin oder dem Arzt, sie ist geschlechtsunspezifisch und nicht mehr wie ehemals in der Tradition das gehütete Geheimnis der Frauen, die ihre soziale Macht auf dieses Vermögen und Wissen gründeten."
Die Afrikanerinnen reagieren auf die medizinisch-technische Herangehensweise, die Knieper als psychische Vergewaltigung bezeichnet, indem sie sich den Untersuchungen auf vielfältige Weise entziehen. Sie kommen Monate zu spät zur Schwangerschaftsuntersuchung, sie beantworten Fragen gar nicht, nur halb oder bewusst falsch; im schlimmsten Falle verdächtigen und beschuldigen sie die Hebamme der Hexerei.
Das gleiche gilt für die Verhütung. In der traditionellen Familienplanung ist alles darauf angelegt, die Fruchtbarkeit der Frau zu fördern, zu bewahren und zu schützen — sie ist "wie ein gut tragendender Baum" oder "dem ergiebigen Boden vergleichbar" und ihre Entwicklung wird von der ganzen Dorfgemeinschaft begleitet. Moderne Verhütungsmethoden dagegen zielen auf die Unterdrückung der Fruchtbarkeit.
Und erzielen grandiose Misserfolge: Pillen werden unregelmäßig oder nur nach ungeschütztem Sexualverkehr genommen. Sie werden bei jeder kleinsten Ablenkung "vergessen" oder schlicht unters Kopfkissen gelegt. Drei Monats Spritzen lösen Beschwerden und im schlimmsten Fall Anämie aus; Spirale oder Diaphragma werden als gefährliche Fremdkörper erlebt, Kondome letztlich auch. Und zwar nicht weil die Afrikanerinnen "unfähig" sind, sondern weil die Vorstellung, dass die Fruchtbarkeit unterdrückt und langfristig gefährdet wird, Angst, Verwirrung und Widerstand auslösen.
"Jede Methode scheitert, die auf der systematischen Unterdrückung der Fruchtbarkeit basiert und eine zusätzliche Initiative der Frauen verlangt. Das merkwürdige Verhalten, unsinnige Maßnahmen oder schiere Vergesslichkeit, die Kette immer neuer phantasievoller Zwischenfälle und Fehlleistungen, die die Verhütung verhindern, gewinnen vor dem traditionellen Hintergrund die Bedeutung einer trotzig hilflosen Rückeroberung des alten Sinns."

Projekt der Frauen

Wesentliche Erfolge erzielte die Hebamme in Kniepers Projekt, indem sie die traditionellen Elemente in ihre Beratung einbezog und betonte. Klar war aber auch, dass eine Lösung nicht die bloße Rückkehr zur Tradition bedeuten konnte, dass vielmehr jegliche Einübung neuer Verhütungsmethoden auch außerhalb der Gesundheitszentren durch zusätzliche Aufklärung begleitet werden muss.
Zum Beispiel in den Schulen. Die Frauen der Maßnahme haben Jugendliche interviewt und ihre Konflikte eines Lebens zwischen Tradition und Moderne aufgenommen. Denn unaufhaltsam ist die Tendenz, dass afrikanische Jugendliche mit westlicher Erziehung und "modernen" Werten konfrontiert werden und diese auch adaptieren. Es wurden Prinzipien entwickelt, nach denen eine schulische Sexualerziehung verfahren müsste: Die Tradition muss ihr Schweigen brechen und sich erklären, damit die nachwachsende Generation die eigenen Konflikte überhaupt begreifen kann.
Sodann wäre darüber zu sprechen, wie die traditionellen Familienstrukturen durch den ökonomischen Wandel (z.B. Abwanderung in die Städte) erodieren, um dann in einem dritten Schritt die Einschränkungen der medizinischen Schwangerschaftsberatung und Familienplanung in Gesundheitszentren verständlich zu machen: die beschränkte Rolle der Hebamme, die Wirkungsweise von Medikamenten, die praktische Einübung in Verhütungspraktiken — die allesamt keine seelische Begleitung vorsehen.
Die Maßnahme "wurde das Projekt der Frauen". Nach der erste Phase begrüßte das "Nationale Komitee" weitergehende Vorschläge und reichte einen Antrag auf Fortsetzung des Projekts bei den deutschen Geldgebern ein. Aber schon im Vorverfahren "wurde der traditionelle Ansatz von der deutschen Seite beseitigt, obwohl alle Anwesenden und jeder einzelne gegen diese Säuberung ausführlich, aber ungehört in einer Note protestierten. Die Maßnahme wurde im Sinne der modernen Familienplanung gesprengt."
Barbara Knieper führt den deutschen Widerstand gegen die Aufnahme traditioneller Auffassungen von Familienplanung darauf zurück, dass das wesentliche, jeder Entwicklungshilfe zugrunde liegende ideologische Element zu radikal in Frage gestellt wurde: die Propagierung des autonomen, kohärenten, selbstbestimmten, rationalen Individuums, das über eine selbstbewusste Sexualität verfügt.
"Die Experten kämpfen nicht nur um ihre übergeordnete geistige Position, die sie in der Verneinung des anderen zu wahren trachten, sie kämpfen vor allem um das 'Objekt‘ ihrer Betreuung. Sie fordern einen Körper, der sich aller Ideologie zum Trotz nicht einfach finden lässt und den es nun in der Entwicklungshilfe gewaltsam herzustellen gilt." Obwohl doch auch längst die Philosophen in unseren Breiten dieses "Subjekt" als Illusion entlarvt haben. Das Frauenprojekt wurde in die altbekannten standardisierten Bahnen der Familienplanung zurückgelenkt, eine einmalige Chance der Verständigung vertan.
Barbara Kniepers 320 Seiten starkes Buch ist ohne Zweifel ein wichtiges Buch. Leider ist es in Teilen nur schwer zu lesen. Vor allem die theoretisch-philosophischen Kapitel über die Bedingungen eines Verständnisses zwischen Europäern und Afrikanern sind ausschweifend, abstrakt und unangenehm vom Stil der Frankfurter Schule durchdrungen. So empfiehlt es sich, die zweite Hälfte vor der ersten zu lesen: zuerst das konkrete Projekt kennen zu lernen, bevor man sich der beredten und arg zelebrierten theoretischen Selbstreflexion zuwendet.
Trotz dieser Einschränkung: das Buch gehört in die Reihe der grundsätzlichen und gründlichen, weil aus konkreter Praxis erwachsenen, entwicklungskritischen Veröffentlichungen.

Birgit Morgenrath (Rheinisches JournalistInnenbüro)

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