Sozialistische Zeitung |
Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Asyl beantragt haben und auf den Ausgang ihres Verfahrens warten, dürfen ihren
Landkreis nicht ohne ausdrückliche Genehmigung der Behörden verlassen. Gegen diese sog. Residenzpflicht regt sich seit längerem Widerstand von
Flüchtlingen und Migrantenorganisationen.
The Voice Africa Forum, eine Initiative von Flüchtlingen, hat nun zusammen mit
Flüchtlingshilfsorganisationen wie der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, der Flüchtlingsinitiative Brandenburg und dem
Berliner Bündnis gegen die Residenzpflicht drei Aktionstage in der Bundeshauptstadt durchgeführt, um für die Abschaffung des Residenzpflicht zu
demonstrieren, die sie als "staatlichen Rassismus", so ein Sprecher von The Voice, brandmarkten.
Rund 1000 Teilnehmende hatten die veranstaltenden Organisationen zur Abschlusskundgebung am 19.Mai
erwartet doch schließlich kamen mehr als 4000 Menschen, unter ihnen viele Flüchtlinge, die mit ihrer Reise nach Berlin selbst gegen die
Residenzpflicht verstießen.
"Die Aufenthaltsgestattung ist räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde
beschränkt, in dem die für die Aufnahme des Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt", heißt es in §56 des
Asylverfahrensgesetz. So sind Asylbewerber de facto an den Landkreis gefesselt, dem sie für die Dauer ihres Asylverfahrens zugeteilt wurden. Schon Genehmigungen
für den Besuch etwa von Verwandten in einem anderen Bundesland oder nur einer andere Stadt sind für die Flüchtlinge oft schwer zu bekommen.
Für politische Veranstaltungen erteilen deutsche Behörden allzu oft gar keine Reisegenehmigung.
Wer trotzdem den Landkreis verlässt und somit gegen die Residenzpflicht verstößt,
dem drohen Strafen von bis zu 5000 Mark. Dabei müssen Asylbewerber mit 80 Mark pro Monat auskommen. Können sie die Strafe nicht bezahlen,
müssen sie Sozialarbeit leisten oder eine Gefängnisstrafe absitzen.
Zu einer Geldstrafe von 600 Mark wurde auch einer der Mitbegründer von The Voice, Cornelius
Yufanyi, verurteilt. Trotz Residenzpflicht war Yufanyi im Mai letzten Jahres zu einem bundesweiten Flüchtlingskongress nach Jena gefahren. In dem Verstoß
gegen die Residenzpflicht sieht er einen Akt des zivilen Ungehorsams, die er wie viele Flüchtlingsorganisationen als eindeutigen Verstoß gegen
Menschenrechte ansieht.
Durch die Residenzpflicht seien Bewegungsfreiheit, Meinungs-, Rede- und Vereinigungsfreiheit der
Flüchtlinge eingeschränkt. Außerdem würden die Flüchtlinge kriminalisiert, kritisieren viele Flüchtlings- und Migrantorganisationen.
Grund genug für sie, nach dem Flüchtlingskongress in Jena und einer Demonstration vor der Weltausstellung Expo in Hannover nun auch am Regierungssitz in
Berlin auf die Straße zu gehen.
Die Aktionstage in Berlin hatten am 17.Mai mit einem Marsch zum Bundestag begonnen, wo ein
Memorandum zur Abschaffung der Residenzpflicht überreicht wurde. Die "rassistische Praxis" im Asylrecht solle beendet werden, forderten die
Unterzeichnenden in dem Memorandum. Auf dem Schlossplatz in Berlin-Mitte fanden nun drei Tage lang Workshops, Filmvorführungen und Diskussionen statt.
Am 17.Mai, dem zweiten Aktionstag, besetzten rund 70 AktivistInnen der Organisation "Kein
Mensch ist illegal" eine Ausländerbehörde in Berlin. Die Besetzung endete nach wenigen Stunden, als die Polizei eingriff und mehrere BesetzerInnen
verhaftete. Dem Leiter der Behörde hatten die ProtestlerInnen eine Erklärung vorgelegt, die dieser unterzeichnen sollte. Danach hätte er seine
Mitarbeiter angewiesen, die Residenzpflicht zugunsten der Flüchtlinge auszulegen. Dieser lehnte jedoch nach einstündiger Diskussion ab.
Dirk Eckert
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