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In den 60er Jahren entstand das geflügelte Wort, wonach es in der BRD unmöglich sei, nicht von der FDP regiert zu werden.
Und in der Tat hat jene Partei, deren Stimmenanteil bei Bundestagswahlen zwischen 12,8% (1961) und 5,8% (1969) schwankte, länger als jede andere in Bonn in der
Regierung gesessen. Zunächst seit 1949 unter Adenauer und Erhard mit der Unterbrechung der Jahre 19571961, als die Union über die absolute
Mehrheit verfügte und einige FDP-Minister zur CDU überwechselten , dann, nach den für die FDP sehr schwierigen Jahren der Großen
Koalition von 19661969, von 1969 bis 1982 im Bündnis mit den Sozialdemokraten, und schließlich ab 1982 wieder zusammen mit der Union, diesmal
unter deren Parteichef Kohl. Als einzige überlebte sie die Umarmungsversuche von Adenauer, die im Laufe der 50er Jahre zur Integration aller relevanten rechten
Kräfte in die Union führten.
Die FDP war nie eine Programmpartei, sofern man ihr Credo "Marktwirtschaft über
alles" nicht allein schon als Programm ansehen will. Ihre Funktion lag in der Rolle eines Scharniers, des "Mehrheitsbeschaffers" für die große
bürgerliche Partei, die Union, in Sonderfällen aber auch für die SPD. Diese Rolle vermochte sie zu spielen, weil sie sich immer als Sachwalterin der
Interessen von Unternehmertum und liberalem Mittelstand betrachtete, die von keinem "sozialen Korrektiv" gebremst wurde. Als die Union sich in der Frage
der Beziehungen zum Osten und der DDR in ihrer starren Ablehnung eines "Tauwetters" verrannt hatte, vereinbarten Scheel und Genscher mit der SPD die
Bildung der sozialliberalen Koalition.
Doch spätestens seit den 90er Jahren hat die FDP ein Problem: Durch die Grünen und die
PDS ist ihr im Bundestag und vielen Landtagen eine Konkurrenz entstanden, wodurch sie aus ihrer Scharnierrolle verdrängt wurde. Die Ablösung von Wolfgang
Gerhardt, der sich ziemlich bedingungslos auf eine "bürgerliche Koalition" festgelegt hatte, durch den früheren Generalsekretär Guido
Westerwelle bedeutet zunächst einmal, dass es die Mehrheit der FDP für unwahrscheinlich hält, in Bälde mit der Union wieder im Bund an die
Regierung gelangen zu können.
Daher muss sich die von Mitgliederverlusten geplagte und wegen der fehlenden
"Regierungsverantwortung" finanziell dahinsiechende FDP neu positionieren, wenn sie nicht Gefahr laufen will, im Orkus der Geschichte zu verschwinden. Dies
ist nicht unbedingt eine Frage von Inhalten, denn die FDP wollte immer "marktwirtschaftliches Korrektiv" sein, also Union und Sozialdemokraten von
Staatseingriffen möglichst abhalten, oder, wenn es nicht anders ging, ihrer Klientel, den "Besserverdienenden" zumindest einiges zuschanzen.
Westerwelle und Möllemann sind sich, bei allen persönlichen Animositäten, somit
einig, dass eine neue Strategie gefunden werden muss, damit die FDP erneut zum "Juniorpartner der Macht" aufsteigen kann. Besonders den gewendeten
Grünen soll scharfe Konkurrenz erwachsen.
Wege und Abwege der Liberalen
Der deutsche Liberalismus war im Gegensatz zu seinen westlichen Vorbildern nie aufmüpfig oder gar revolutionär ausgerichtet. Die ihn
begründenden Kreise einer akademisch gebildeten Beamtenschaft und von gut situierten Mittelständlern waren fast immer Teil des Establishments. Vor allem
im deutschen Südwesten hatten die Liberalen große Ähnlichkeit mit dem Schweizer Freisinn, "Kantönligeist" eingeschlossen.
Im Himmel der Ideen standen die Liberalen für eine selbstverantwortliche bürgerliche
Öffentlichkeit möglichst ohne Staatseingriffe, doch auf Erden akzeptierte man die Rolle des Staates als Motor der Modernisierung. Die Marktgesellschaft war
den deutschen Liberalen nie recht geheuer, denn man sah in ihr auch eine Gefahr für die eigene mittelständische Existenz und wollte vom Manna der
Subventionen profitieren.
Dieser Widerspruch zwischen den hehren programmatischen Grundsätzen und der politischen Praxis
der Liberalen zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Geschichte: Nicht umsonst hießen sie, seitdem Erich Mende trotz aller gegenteiligen Wahlversprechungen 1961
wieder zu Adenauer ins Koalitionsbett kroch, die "Partei der Umfaller".
Im preußischen Verfassungskonflikt gelang es Bismarck, die Liberalen eben an der Frage
"Treue zur Nation" oder Treue zu den eigenen Grundsätzen, in diesem Fall die Verfassung, zu spalten: Die "nationalliberale" Mehrheit in
Preußen entschied sich für den Verfassungsbruch.
Auch in den Kämpfen, die Bismarck nach der Reichseinigung 1871 zunächst gegen die
"ultramontanen" Katholiken (Kulturkampf) und dann gegen die Arbeiterbewegung (Sozialistengesetze) ausfocht, stimmten beide liberale Parteien mit Bismarck
und betrieben diesen Kampf mit allergrößtem Eifer.
Daraus entwickelte sich die spezifische Identität der deutschen Liberalen (auch ihres linken
Flügels): Sie waren deutschnational, antiklerikal und antisozialistisch. Diese Einstellungen überdauerten Kaiserreich und Weimarer Republik und spielten bis
Anfang der 70er Jahre in der BRD eine Rolle. Erst der Zusammenbruch der alten Lager und das Eindringen von Teilen der Studentenbewegung brachte die FDP auf einen
anderen Kurs.
Das typische Milieu, in dem sich in Deutschland der Liberalismus ausbreiten konnte, war seit der
Reichsgründung das protestantisch-nationalistische Kleinbürgertum, welches in erheblichem Maße das weit verbreitete Vereinwesen prägte. Dabei
gab es je nach historischer Tradition Unterschiede zwischen der eher "sozialliberal" (im alten Wortsinn) gestimmten Anhängerschaft im deutschen
Südwesten und den Hansestädten und den nationalliberalen Regionen in Franken, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Besonders in diesen Regionen wurden die Anhänger des Liberalismus, zumal Händler,
Handwerker und Bauern, schon vor 1933 fast vollständig von den Nazis aufgesogen. Der Parteienforscher Peter Lösche schreibt: "Sozial- und
mentalitätsgeschichtlich wurde die NSDAP zur Nachfolgepartei des Liberalismus." Nur im Südwesten und in den Hansestädten begaben sich eine
Reihe von Führungspersönlichkeiten in die "innere Emigration" (Heuss, Maier) oder gingen außer Landes.
Die Neugründung der FDP 1945 wurde zunächst durch die letzteren vorgenommen, doch bald
traten die Vertreter eines nationalistischen Kurses wieder auf den Plan. Sie wollten keine Partei der Mitte, sondern eine rechte Massenpartei ("Volkspartei")
aufbauen.
Die Chancen für ein solches Unternehmen standen Anfang der 50er Jahre ziemlich gut, denn die
Frustrationen von großen Teilen der (Klein-)Bourgeoisie waren erheblich: Man schimpfte auf die Alliierten und deren Entnazifizierungsprogramme, beklagte den
Verlust der Ostgebiete und jammerte über das Elend der Vertriebenen.
Besonders bekämpfte die FDP die Kritik an Wehrmacht und Soldatentum und verkündete den
Stolz auf die eigene Nation. Hessen und teilweise Nordrhein-Westfalen wurden zu Pionierländern der von Frontsoldaten geführten nationalen Sammlung. Auf
den Parteitagen in München 1951, Bad Ems 1952 und Lübeck 1953 waren die vom Kölner Freiherr von Rechenberg und dem Düsseldorfer
Middelhauve, der sein bei den Nazis abgeschriebenes "Deutsches Programm" gerne zum Parteiprogramm gemacht hätte, geführten Rechten
durchaus in der Mehrheit. Bezeichnenderweise sangen die meisten Delegierten alle drei Strophen des Deutschlandlieds mit. Der rechte Flügel verzichte damals jedoch
auf eine Kampfabstimmung, weil diese zu einer Spaltung der Partei und den Austritt der FDP-Minister aus Adenauers Kabinett geführt hätte.
Nachdem die Briten eine Reihe von Mitgliedern der NRW-Zentrale wegen nazistischer Umtriebe
verhafteten, gelang es Parteichef Blücher, die Zügel wieder in die Hand zu bekommen. Aber weiterhin, zumal unter dem Parteivorsitzenden und
"Ritterkreuzträger" Erich Mende, der die Partei zwischen 1960 und 1968 führte, bevölkerten zahlreiche Alt- und Jungnazis die
Mitgliedsränge der FDP.
Erst mit den Wahlerfolgen der NPD und vor allem, als sich auf dem Freiburger Parteitag 1971 die
"Linksliberalen" um Flach, Maierhofer, Hirsch und Baum durchsetzen konnten, verließen diese Gruppen die Partei. Aus diesen Gründen wurde es
für die FDP auch nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition 1982 unmöglich, den Weg der FPÖ zu gehen, sonst wäre eine Haiderisierung eine
durchaus mögliche Perspektive für die FDP geworden. Derartige Ansätze etwa Brunner und von Stahl blieben somit auf Randgruppen
beschränkt.
Traditionell waren die Mitglieder liberaler Parteien in Deutschland von starkem Individualismus bis hin zur
Egomanie und von der Mentalität, zur "besseren Hälfte" der Gesellschaft zu gehören, geprägt. Ihre Opferbereitschaft für die
Zwecke und Ziele der Partei war immer höchst begrenzt.
Bei den Mitgliedern der Weimarer DVP (Deutsche Volkspartei) oder DDP (Deutsche Demokratische
Partei) handelte es sich in der Regel um Honoratioren, die kaum willens waren, ihre Partei finanziell nennenswert zu unterstützen, sondern ihre Parteikarriere
häufig eher als Möglichkeit zur persönlichen Bereicherung begriffen.
Zu jeder Zeit gab es viele Seiteneinsteiger, die rasch Karriere machen konnten. Daher war es für
beide Flügel der Liberalen immer von entscheidender Bedeutung, an Gelder von Interessensverbänden zu gelangen, ja im Vorstand von solchen
Verbänden zu sitzen. So hatte z.B. der "Reichsverband der deutschen Industrie" in der DVP das Sagen und der Vorsitzende des "Reichsbundes der
höheren Beamten" war viele Jahre lang ihr Fraktionsvorsitzender.
Die zur "Weimarer Koalition" (SPD und Zentrum) gehörenden
"Linksliberalen" von der DDP waren ebenfalls fast völlig auf Spenden von Vereinigungen und Industrie angewiesen. Dadurch wurde eine Tradition
begründet, die auch in der Bonner Republik gang und gäbe war: die meisten FDP-Abgeordneten verstanden sich auch als Verbandsfunktionäre.
Beispiele hierfür sind Friderichs, der nach seiner Ministerkarriere Chef der Dresdner Bank wurde,
der Versicherungslobbyist Graf Lambsdorff oder die Pharmalobbyistin Irmgard Schwätzer. Ein Blick auf die bundesdeutschen Wirtschaftsminister der letzten 25 Jahre
bestätigt diese Einschätzung. Martin Bangemann wechselte aus dem Parteivorsitz zur EU nach Brüssel, um seinen Aufstieg schließlich mit einem
Posten im Management der spanischen Telefonica-Gesellschaft zu krönen.
Ende des Genscherismus
Mit der deutschen Vereinigung schien für die FDP eine neue große Zeit gekommen. Nicht nur gewann sie bei den Bundestagswahlen 1990 11% der
Stimmen und ein Direktmandat in Halle, sondern auch 140000 neue Mitglieder und das beträchtliche Vermögen der eingegliederten Liberal-Demokratischen
Partei Deutschlands (LDPD).
Doch das Jahrzehnt nach Genscher, der faktisch 20 Jahre lang die Marschrichtung vorgegeben hatte,
beutelte die Liberalen kräftig: Die Mitgliedszahlen sanken wieder auf die üblichen 70000 bis 80000, wobei v.a. im Osten der größte Teil der
LDPD-Mitgliedschaft wegbrach. Seit 1993 scheiterte die FDP bei den meisten Parlamentswahlen, ausgenommen die Bundestagswahlen, an der 5%-Hürde und flog
aus den Länderparlamenten. Auch in den Kommunen bietet sie mittlerweile ein tristes Bild. Inhaltlich und personell ist sie ausgezehrt.
Die FDP hatte schon schwere Krisen durchzustehen vermocht, v.a. 1969 bis 1972 nach dem
Koalitionswechsel zur SPD und 1982/83 beim Wechsel zur Union, als es zu Massenaustritten kam, doch angesichts der weltweiten Umbrüche steht sie heute ziemlich
nackt da: Weder kann sie sich als Hüterin der Ost-West-Entspannungspolitik gerieren, noch als rechtsstaatliche Gegnerin des bösen Franz-Josef Strauß
und Konsorten profilieren. Ihre Parolen von der notwendigen "Steuersenkung", "Entbürokratisierung", "Privatisierung" oder
"Umbau des Sozialstaats" klingen angesichts der ideologischen Vorherrschaft des Neoliberalismus nicht besonders originell.
Die durch den Machtverlust, vor allem aber durch den Spendenskandal in der CDU ausgelöste Krise
brachte Westerwelle auf die Idee, die ältere Führungsgeneration um Gebhardt abzuservieren. Mit mausgrauen Mittelstandsfunktionären oder
schwäbelnden Geheimdienstbeamten lässt sich eben kein Blumentopf gewinnen, vor allem nicht in den allabendlichen Talkshows der Privatsender oder bei Big
Brother. Sie sind einfach langweilig.
Meinungsforscher bestätigten dem Jungtürken Westerwelle, dass er als einer der wenigen
FDPler professionell mit den Medien umgehen kann. So wurde das FDP-Logo gleich dem Zeitgeist entsprechend "internetfähig" gemacht und ziert den
Hintergrund seiner Auftritte. The medium is the message.
Die FDP muss sich unbedingt junge Wählerschichten erschließen und diese dauerhaft der
Union und den Grünen abjagen, wenn sie eine Überlebenschance haben will. Angesichts des geringen politischen Bewusstseins hierzulande versucht sie, sich als
Reklamegag (18%) zu verkaufen: Spaß haben und FDP wählen das ist ihre Devise.
Da es mit Apparat und Organisation bei der FDP schon immer nicht zum besten stand, sie aber heute
geradezu zerbröselt, setzt Westerwelle voll auf Medienpräsenz, um das Publikum, das er vor allem ansprechen will, zu agitieren: Die jungen, BMW-fahrenden
Aufsteiger in Dior-Brille und Armani-Anzug, die die heutigen Reklamewelten bevölkern oder aber jene, die gerne in solchen Welten leben würden.
Plastic people in der Spaßgesellschaft eben. Der Nullpunkt der Politik ist nicht mehr fern.
Paul Kleiser
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
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