Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 23.05.2001, Seite 4

Denunziation mit Etikett

Im Spiegel vom 14.Mai wird Dietmar Bartsch, seines Zeichens Bundesgeschäftsführer der PDS, interviewt. Es geht um die Programmdiskussion, und Bartsch wird gefragt, ob er "den Gegenentwurf von Wolf schon gelesen" habe. Gemeint ist der Bundestagsabgeordnete der PDS Winfried Wolf, der mit anderen PDS-Linken zusammen um die Vorlage eines Gegenentwurfs zum offiziellen Entwurf bemüht ist. Bartsch antwortet darauf. "Ich bin kein solcher Anhänger des Trotzkismus, dass ich das selbst lesen muss." Probleme habe er, Bartsch, nicht damit, dass es Gegenentwürfe gibt, sondern mit der "Selbsttitulierung" der Linken als links.
Obwohl Bartsch und die selbsternannten "Reformer" in der PDS eigentlich alles Interesse daran haben müssten, den "brutalstmöglichen" Bruch mit dem Stalinismus zu demonstrieren, haben wir sie hier wieder, die alte dshugaschwilische Masche. Das Etikett "Trotzkismus" draufkleben reicht. Dann braucht man nicht lesen und nicht zuhören. Zwar haben Bartsch und die Seinen noch nicht die Mittel zum Verbieten "trotzkistischer" Schriften und zur Liquidierung von "Trotzkisten" — doch handelt es sich bereits wieder um den altbekannten Ungeist.
Das Ganze ist kein Ausrutscher, sondern offenbar die neue Linie der Parteiprominenz. Auch Gregor Gysi, in seinem neuen Buch Ein Blick zurück, ein Schritt nach vorn (Hamburg 2001) widmet (S.325) dem Scheusal ein paar Zeilen: "Wolf ist Trotzkist und kämpft seit längerer Zeit darum, der PDS ein anderes Profil zu geben." Folgt die an den Haaren herbeigezogene Behauptung, Winfried Wolf habe nach dem Parteitag von Münster (wo die Parteivorstandsmehrheit in der wichtigen Frage der UNO-Einsätze eine Abfuhr erlitt) vor allem gehofft, es würden nun die einen abgewählt und die anderen gewählt und er spreche den "Reformern" in der PDS ab, "sozialistisch" zu sein. Die Linke, meint Gysi, "denunziere" statt zu diskutieren. Was schert es Gysi, dass Winfried Wolf, der ihn seinerzeit gegen die Denunziation Stasi-IM verteidigte, lediglich seine Meinung einbringt und sich im übrigen selbst nicht als "Trotzkist" versteht?
Es ist eben keine "Denunziation", die Gefahren der Anpassung an das Bestehende aufzuzeigen (insbesondere, wenn die Partei als Juniorpartner der SPD das System mitverwaltet), und schon in den finsteren 30er Jahren war die Anpassung an das weltweit Bestehende (der Verzicht auf die weltrevolutionäre Perspektive) der eigentliche Grund für die "antitrotzkistischen" Exzesse.

Manuel Kellner

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