Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 23.05.2001, Seite 14

Lieber weniger, aber besser

Plädoyer für eine SoZ als Monatszeitung

I. Waren die 80er und beginnenden 90er Jahre für die SoZ Jahre der Expansion und der politischen Hoffnung, so ist seit der ersten Hälfte der 90er und verstärkt in den letzten Jahren ein konstanter, langsam vor sich gehender, sich aber auch stetig akkumulierender Abwärtsdruck, ein substanzieller Auszehrungsprozess an Auflage, Geldressourcen, technischer Ausstattung, MitarbeiterInnen und Stimmung festzustellen. Die Druckauflage der SoZ hat sich von anfangs über 2500 auf nur mehr ca. 1200 mehr als halbiert.
Von einer konstanten Verbesserung der SoZ-Form (Layout, Seitenzahl, redaktionelle Professionalität) in den ersten 5—10 Jahren ist es in den letzten 5 Jahren zu einer konstanten Verschlechterung gekommen: Nicht nur gibt es keine Rotform mehr, auch generell macht die SoZ einen unstrukturierteren und wenig ästhetischen Eindruck. Damit zusammenhängend sehe ich einen Verlust an thematischer Breite, politischer Zuspitzung und Pluralität bei der SoZ. Die Zeitung scheint mehr dadurch geprägt, was ihre Macher zur Zeit gerade spannend finden, als dadurch, was den (realen und potenziellen) LeserInnen auf den Fingern brennt. Die Zahl der bezahlten Redakteure hat sich halbiert, die Beschäftigungsverhältnisse stark prekarisiert. Die alte Struktur einer erweiterten Redaktion ist weitgehend zerfallen, eine personelle Erneuerung wird wegen des Zerfalls des alten VSP-Milieus immer schwieriger.
Dieser Auszehrungsprozess wird, wenn er so weiter geht, in ein bis drei Jahren das definitive Aus für die SoZ bedeuten.

II. Auch die politische Situation hat sich im Vergleich zur zweiten Hälfte der 80er Jahre dramatisch zu unseren Ungunsten verändert. Die Jahre 1989—1991 markieren eine epochale Niederlage nicht nur, aber vor allem der deutschen Linken.
Die alte linksgewerkschaftliche, sozialistische 68er und Nach-68er Linke ist personell gesehen nachhaltig ausgedünnt und politisch weitgehend zerfallen. Überall gibt es noch Organisationsrudimente und einzelne Individuen, aber von einem entsprechenden Milieu lässt sich kaum mehr reden. Auf der Linken herrschen die PDS auf der einen (inkl. ihrer diversen Fraktionen wie bspw. KPF und junge Welt) und die diversen, sich mehr oder weniger bekämpfenden Strömungen der neuen zynischen Linken andererseits (konkret, jungle world etc.) vor.
Zeitungen wie ak oder express hängen, wie die SoZ irgendwo dazwischen, ohnmächtig und auf der Suche nach einer neuen politischen Identität. Eine Vereinigung der radikalen, revolutionären Linken, so wünschenswert sie auch weiterhinprinzipiell sein mag, ist auf absehbare Zeit nicht nur nicht realistisch, sie wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt geradezu sinnlos, da sie programmatisch vollkommen in der Luft hinge. Auch entsprechende Versuche zur publizistischen Vereinigung haben sich — vielleicht weil es nicht ernsthaft versucht wurde — als unrealistisch erwiesen.
Die neue innenpolitische Situation eines — wenn nichts Unvorhergesehenes passiert — auf mehrere Jahre stabilen, grün angehauchten Sozialliberalismus der repressiven Toleranz markiert dabei einen nachhaltigen, von vielen Linken noch gar nicht wahrgenommenen Paradigmenwechsel und signalisiert, dass es neuer radikal-linker Bewegungen, Methoden und Inhalte bedarf, um wieder in die Offensive zu kommen. Die absehbare und kaum aufzuhaltende (wenn auch trotzdem zu bekämpfende) Transformation der PDS in einen bestenfalls klassisch sozialdemokratischen Anhang des Establishments wird die linke Katerstimmung in der nächsten Zeit eher noch vertiefen. Die neuen sozialen Bewegungen (ich meine nicht die alten grün- alternativen, sondern die neuen internationalistischen Graswurzelbewegungen) bieten zwar ein neues Bewegungsmilieu, das Hoffnung und Appetit auf mehr macht, lassen jedoch politisches Profil und politische Strategie weitgehend vermissen.
Für die politische Tradition, in der die SoZ steht, bedeutet dies, dass wir auch in der nächsten Zeit wesentlich auf propagandistische Arbeit am linken Rand beschränkt sein werden. Es geht bei dieser Arbeit um die Sicherung und Überlieferung alter Traditionsbestände, um die Propaganda der Notwendigkeit organisierter politischer Arbeit in der Arbeiterklasse wie in den sozialen und politischen Bewegungen sowie um die theoretische Arbeit an neuen programmatischen (Übergangs-)Forderungen und Vorstellungen.
III. Will die SoZ die ernsthafte und schwierige Existenzkrise offensiv wenden, so sollte sie sich von der alten Devise "Lieber weniger, aber besser" leiten lassen. Nennenswerte Rationalisierungsreserven hat der SoZ-Betrieb nicht mehr. Vielfältige, kleine Verbesserungen (am Bürobetrieb, an der Werbung, am Layout und am Inhalt) sind durchaus denkbar. Doch wieso sollten sie in der heutigen Situation bessere Ergebnisse zeigen, als in den vielen Jahren zuvor? In meinen Augen stehen weder Expansion und Verzettelung auf der Tagesordnung, noch ein Beharren in der Illusion, mit ein paar Verbesserungen hier und dort auf bessere Zeiten warten zu können. Es sollte statt dessen wesentlich um Konzentration und Bündelung gehen, um sichtbare Einschnitte, die ein weniger an SoZ-Quantität mit einer Verbesserung ihrer Qualität verbindet.
Die SoZ verstand sich seit ihren Anfängen als eine praktisch-politisch eingreifende Agitations- und Propagandainstitution, die in Struktur, Aussehen und Sprache an der breiten Bevölkerung orientiert und auf Verteilung/Verkauf vor Betrieben, bei Demonstrationen, Veranstaltungen und linken Treffen ausgerichtet war. Deswegen der 14-Tages-Rhythmus, deswegen die thematische Breite und die verständliche Sprache, deswegen der Schwerpunkt auf kurzen Artikeln. So ehrenwert dieser Anspruch auch weiterhin ist, seit mindestens 10 Jahren ist er weitgehend ohne jede Realität. Die SoZ war schon immer schwerpunktmäßig und ist mittlerweile fast ausschließlich ein Abonnementsprodukt.
Es gibt keinen politischen Grund, an den Stärken der SoZ (thematische Breite; verständliche Sprache; Mischung von kurzen und langen Artikeln; inhaltlicher Schwerpunkt auf Innenpolitik, Betrieb- und Gewerkschaft, Internationalismus) Änderungen vorzunehmen. Wohl aber an deren Form.
Die Substanz der SoZ war nie ihr Erscheinungsrythmus. Die Substanz war immer ihre politische Linie. Natürlich hat auch ein Erscheinungsrythmus seine identitätsstiftende Rolle und prägende Logik, doch wird dies in der Regel überbetont. Was Zeitungen wie Jungle World, Freitag, ak, konkret, express, Sozialismus usw. auszeichnet, ist nicht, dass sie wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich erscheinen, sondern dass sie verschiedene politische Milieus bedienen.
Die SoZ stand immer für einen von all diesen Zeitungsprojekten unterschiedenen undogmatischen revolutionären Sozialismus. D.h. eigenständige politische Organisation und politisches Eingreifen im revolutionären, nicht-reformistischen Sinne, verankert in der Arbeiterbewegung und den politischen und sozialen Bewegungen, aber politisch selbständig, grundlegend internationalistisch. Kein esoterisches Theorieorgan, sondern dem Anspruch und der Form nach ein Massenblatt. All dies sollte die SoZ bleiben, und sogar noch mehr als bisher, denn all dies ist in den eigenen Kreisen schleichenden Auflösungsprozessen ausgesetzt. Kurz gefasst sollte sich die SoZ stärker noch als bisher als ein offenes, plurales Organ der antagonistischen Linken verstehen.
IV.Konzentration und Bündelung, sowie politische Linie vor Erscheinungsrythmus — das übersetzt sich für mich in: Die SoZ erscheint in Zukunft wie bisher im sogenannten Berliner Format, aber nur noch monatlich. Sie erscheint dafür wieder in Rotform und beinhaltet statt der bisher 16 Seiten dann 20 oder 24 Seiten. Die jährliche Geldersparnis von grob geschätzt 10000—15000 DM fließt in die bessere Bezahlung der Redakteure, in technische Erneuerung, Verbesserung des Bürobetriebes, konzentriertere Werbung u.a. sowie in die politische Arbeit jenseits der Zeitungsproduktion. Die Seitenstruktur der SoZ wird im Wesentlichen beibehalten (Titel, Meinung, Thema, Innenpolitik, Internationales, Feuilleton, Magazin). Die B&G-Seiten sowie die Themaseiten Patriarchat, Ökologie, Ökonomie, Antifa werden formal integriert. Erweitert wird das Feuilleton, fest institutionalisiert wird eine Debattenseite, eventuell eine Seite Zeitgeschichte. Das bisherige SoZ-Thema in der Mitte des Heftes wird zum herausnehmbaren Dossier und dient vor allem längeren (kein Muss!), grundsätzlicheren oder theoretischeren Beiträgen.
Systematischer als bisher werden Beiträge aus der internationalen linken Debatte übernommen, nicht nur aus der trotzkistischen und über die üblichen Länderstudien hinaus. Die SoZ verfügt über genug qualifizierte ÜbersetzerInnen, könnte damit an Originalität gewinnen und ein deutliches politisches Zeichen gegen nationale Bornierung setzen.
Über die solcherart verbesserte Monats-SoZ hinaus wird als regelmäßige Beilage vor allem für die politische Bewegungskultur das soz-aktuell wieder eingeführt, zuerst viermal im Jahr. Das Erscheinen ist an Kampagnen oder bestimmte Daten (8.März, 1.Mai) orientiert. Das SoZ-Magazin wird nur noch zweimal im Jahr produziert, bekommt einen neuen Namen und wird stärker (nicht ausschließlich) als Theorieorgan genutzt, entweder in der DIN-A4-Form wie bisher oder als DIN-A5-Format. Es erscheint im Sommer und dokumentiert schwerpunktmäßig Beiträge aus der internationalen Debatte (ersetzt damit die SoZ-Bibliothek). Und es erscheint zu Weihnachten und hat einen schwerpunktmäßig essayistischen Charakter (wie bisher das SoZ-Magazin), der wesentlich von den eigenen intellektuellen Ressourcen dominiert werden soll.
Der hier skizzierte organisatorische und konzeptionelle Neuanfang der SoZ sollte offen und öffentlich diskutiert, in ein solides Konzept gegossen und im Herbst auf einer großen SoZ-Konferenz beschlossen werden. Die Umstellung sollte dann zum Jahreswechsel erfolgen und hat zum Ziel, die Absatzzahlen der SoZ innerhalb eines Jahres zu halten und zu stabilisieren und danach wieder zu steigern. Ihr primärer Sinn ist ein geordneter Rückzug, der die SoZ finanziell und personell nachhaltig entlastet und eine neue Gestaltungsoffensive erlaubt. Die Beibehaltung des jetzigen Charakters und v.a. des jetzigen Formats bietet dabei die Möglichkeit einer problemlosen Rückkehr zum 14-Tages-Rhythmus, wenn denn wieder neue Zeiten kämen!

Christoph Jünke

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