Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 07.06.2001, Seite 2

Kinder und (sozialistische) Narren

Als Harry Magdoff, der zusammen mit Paul Sweezy die älteste theoretische marxistische Zeitschrift der USA — Monthly Review — herausgibt, gefragt wurde, wie eine sozialistische Vision aussehen könnte, antwortete er: "Eine solche Vision muss natürlich je nach Ort und Zeit verschieden sein. Sie kann für die USA nicht so aussehen wie für Nigerien. Wenn aber heute über ‚Markt-Sozialismus‘ geredet wird, müssen wir doch zuerst danach fragen, wieviel und welche Art von Markt oder Plan nötig ist! Sowohl über die Ziele als auch über Methoden müssen die Menschen selbst mitbestimmen könen, um auch selbst Fehlentscheidungen zu korrigieren."
Für eine sozialistische Vision in den USA müssten klare Prioritäten gesetzt werden. An erster Stelle nannte Harry Magdoff das Wohnungsproblem. Hierbei gehe es nicht um Notbehelfe für Obdachlose. Es gehe um menschenwürdige, bezahlbare Wohnungen für alle. Um die Umwandlung von Slums. Marktmechanismen können das aber nicht leisten, solange der Boden eine Ware ist und die Spekulation den Preis bestimmt. Der Boden muss also "Gemeineigentum" — etwa der Kommunen — werden.
Diese Ansicht vertrat übrigens auch Hans-Jochen Vogel als er (von 1960 bis 1972) sozialdemokratischer Oberbürgermeister von München war. Als er dann Bundesminister für Raumordnung und Bauwesen (1972—1974) wurde, muss er das schlicht vergessen haben.
In Frankfurt am Main gibt es ein großes Gelände — nicht weit vom Hauptbahnhof entfernt —, das der Eisenbahn-Immobilien-Management gehört, einer der Nachfolgefirmen der Deutschen Bundesbahn. Dort soll das neue Europaviertel entstehen. Bei der Bevölkerung geht nun die Angst um, auch hier könnten moderne Glas- und Betonbauten hochgezogen werden.
100 Schülerinnen und Schüler der sechsten Klassen der Paul-Hindemith-Schule haben deshalb das "Projekt Neuland" entwickelt. Die Elfjährigen dieser Gesamtschule im Gallusviertel, das mit sozialen Problemen zu kämpfen hat, wollen "keine großen Parkplätze" und auch keine hohen Häuser auf dem Gelände, das sie täglich aus den Fenstern ihres Klassenzimmers sehen. Sie wünschen sich, was in dem auch "Kamerun" genannten Viertel als Infrastruktur fehlt: Cafés, Kinos und ein Internet- Café. Zudem viel Grün, "Parkbänke für ältere Menschen" und Wasser, Flüsse, Seen, ein Schwimmbad mit Becken im Freien etwa, großzügig angelegt und behindertenfreundlich.
"Die Vorschläge sind ernst gemeint. Lange bevor die Kinder dieser sechsten Klasse geboren wurden, suchten die Arbeiterfamilien aus dem ‚Kamerun‘ auf den Quäkerwiese ein wenig Erholung. Doch die fiel einem Erweiterungsbau zum Opfer. Ein kleiner Grünstreifen ist übrig geblieben — für 27.000 Bewohnerinnen und Bewohner des Gallus." So die Frankfurter Rundschau.
Die Kinder haben mit Hilfe von Architekten der Technischen Universität Darmstadt ein Modellhaus aus Ton auf Platten hergestellt: Bäume ragen in die Höhe, Spielplätze sind neben kleinen Häusern und Hütten, Badeseen und Flussläufe zu sehen.
Nur wissen sie offenbar noch nicht, dass sie eine sozialistische Vision entworfen haben, die solange nicht verwirklicht werden kann, wie der Boden kein kommunales Gemeineigentum, sondern eine Ware ist, deren Preis von der Spekulation bestimmt wird.
Ob es sie trösten wird, wenn wir ihnen sagen, dass eben nur Kinder und sozialistsiche Theoretiker die Narren sind, die von solchen Visionen auch in Zeiten neoliberalen Profitdenkens zu träumen wagen…

Jakob Moneta

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