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Das Thema Zwangsarbeit reflektiert ein durch und durch gesamtdeutsches Problem, und dies aus drei Gründen:
Erstens sind die 14 bis 15 Millionen Zwangsarbeitskräfte, die während des Zweiten
Weltkriegs nach Deutschland verschleppt wurden, in allen Regionen des Landes und in allen Lebensbereichen eingesetzt worden, nicht nur in der Rüstungsindustrie,
sondern auch in der Landwirtschaft, in den kommunalen Betrieben der Städte und Gemeinden, in den privaten Haushalten bis hin zur "Zwangsarbeit im
Kinderzimmer".
Zweitens wurden bis 1990 in keinem der beiden deutschen Staaten weder in der Alt-BRD noch in
der DDR ernsthafte Anstrengungen unternommen, für eine Entschädigung jener Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu sorgen, die nach dem
Kriege (wieder) im Ausland lebten bzw. dorthin auswanderten.
Drittens ist der ganz überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung sowohl in den alten als
auch in den neuen Bundesländern kaum daran interessiert, wenigstens jetzt, 56 Jahre nach Kriegsende, sich aktiv für anständige und schnelle
Entscheidungen auf diesem Gebiet einzusetzen.
Der erste Punkt der Auflistung bedarf an dieser Stelle und an diesem Orte wohl kaum einer näheren
Erläuterung; die beiden anderen Punkte jedoch bedürfen einer solchen, und dies um so mehr, als sich hinter dem, oberflächlich betrachtet, gleichartigen
Verhalten der beiden deutschen Staaten gravierend unterschiedliche Bestimmungsgründe verbergen, wohingegen das gleichartige Verhalten der beiden
Bevölkerungen nach 1990 wohl aus einander ziemlich ähnlichen Motiven gespeist ist.
Die herrschenden Kreise in der Alt-BRD haben von allem Anfang an die fälligen
Entschädigungszahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeitskräfte hintertrieben. Zwar nicht endgültig, aber doch auf lange Zeit gebannt wurde die Gefahr,
Entschädigungen zahlen zu müssen, durch das 1953 verabschiedete Londoner Schuldenabkommen, in dem die Regierung der Alt-BRD mit den Regierungen
von 33 sich 1945 im Kriegszustand mit Deutschland befindlichen Staaten vereinbarte, dass die Alt-BRD zunächst einmal die auf sie entfallenden Vorkriegsschulden
sowie die Nachkriegsverbindlichkeiten zu begleichen habe, wogegen die Prüfung der aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen bis zur im Rahmen
eines Friedensvertrags erfolgenden "endgültigen Regelung der Reparationsfrage" zurückgestellt wurde.
Für die DDR waren Entschädigungszahlungen an ausländische
Zwangsarbeitskräfte ebenfalls kein Thema, allerdings aus anderen Gründen. Da in der Sowjetunion all jene, die Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit im
faschistischen Deutschland überlebt hatten, nach ihrer Repatriierung als der Kollaboration verdächtig im GULag verschwanden, hätte sich die DDR-
Führung, selbst wenn sie das gewollt hätte, nicht für Zahlungen an sowjetische Opfer einsetzen können; dementsprechend unterblieben auch
Zahlungen an Opfer aus anderen osteuropäischen Staaten.
Die Situation änderte sich grundlegend mit dem Abschluss des 2+4-Vertrags, der allgemein als
Äquivalent für einen Friedensvertrag gewertet worden ist. Damit standen all die Fragen, die von der Alt-BRD im Londoner Schuldenabkommen ausgeklammert
worden waren, erneut auf der Tagesordnung, und da die von der ganz überwiegenden Mehrheit der DDR-Bevölkerung gewählten Volksvertreter den
Beitritt der DDR zur BRD beschlossen hatten, war dies die Tagesordnung der Neu-BRD und ihrer Regierung.
Allerdings wurde der veränderten Lage von den allermeisten der Verantwortlichen in der Weise
Rechnung getragen, dass sie weiter alle Verpflichtungen von sich wiesen und, wo das nicht möglich war, möglichst geringfügige Zahlungen leisteten. Erst
die ökonomischen Folgen, die im Ausland angestrengte Gerichtsverfahren möglicherweise nach sich ziehen könnten, bewogen die herrschenden Kreise in
der Neu-BRD, eine neue Strategie für die Durchsetzung der alten Ziele zu entwickeln. Für die Rechtssicherheit der deutschen Wirtschaft, und nicht für
die Entschädigung beanspruchenden Opfer, sind Staat und Wirtschaft bereit zu zahlen, notfalls auch an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.
Die deutschen Konzerne und ihre Regierung könnten niemals mit einer solchen Unverfrorenheit
vorgehen, wenn es in diesem Lande eine Bevölkerungsmehrheit geben würde, die erklärt: Schluss jetzt mit diesem würdelosen Gezerre auf Kosten
der Opfer, diese verdammte Industrie soll endlich zahlen. Aber es ist eine verschwindende Minderheit, die so denkt und es dann auch noch sagt. Die ganz
überwiegende Mehrheit will endlich einen "Schlussstrich unter die Vergangenheit", sie sagt: Was kann ich für das, was meine Eltern oder
Großeltern getan haben... So gern sie das vom Großvater gebaute Haus erben, so ungern treten sie das historische Erbe an, das ihnen ihre Eltern und
Großeltern in Gestalt unbezahlter Rechnungen, darunter nicht gezahlter Entschädigungen, hinterlassen haben.
Diese nahezu vollständige Abwesenheit antifaschistischen Bewusstseins in der deutschen
Bevölkerung ist es, die den deutschen Konzernen und ihrer Regierung ein derartiges Vorgehen ermöglicht. Dabei scheint das Interesse an dem Thema in den
neuen Bundesländern (NBL) noch geringer zu sein. Diese furchtbare Tatsache bedarf der nüchternen Analyse, gerade von seiten der PDS, deren Basis nach wie
vor in den NBL verankert ist.
Erstens hat sich der Antifaschismus in der Alt-BRD, gerade weil er in der Bevölkerung so wenig
verbreitet gewesen ist, stets aktiv und konkret gegenüber der herrschenden Ideologie der Beschönigung, der Vertuschung und der Gleichgültigkeit
behaupten müssen. Dagegen war er in der DDR zwar Staatsideologie, aber eben deshalb wurde der Bevölkerung zumeist kein aktives und konkretes
Engagement abverlangt, und dementsprechend fehlt es auch heute. Die wenigsten im parlamentarischen wie im außerparlamentarischen Bereich
fühlen sich aufgerufen, konkrete Aktionen zu organisieren und an ihnen teilzunehmen.
Damit im Zusammenhang steht ein zweites Moment: Der Kampf um ein antifaschistisches Bewusstsein
wurde in der DDR zwar gepredigt, aber er wurde nicht gelernt. Jene, die sich dort allein aus Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit der Staatsideologie des
Antifaschismus angepasst hatten, haben das nach der "Wende" genauso getan nur ist die Staatsideologie der alten wie der neuen BRD nicht die des
Antifaschismus. Im Gegenteil, die Staatsideologen der Neu- BRD haben sogar die antifaschistische Forderung "Nie wieder Auschwitz" als Propagandalüge
für den Krieg im Kosovo missbrauchen dürfen.
Als drittes Moment wirkt immer noch der einst staatsoffiziell geförderte Irrglaube nach, dass
"die" Nazis ja alle "in den Westen gegangen" seien und dort in hohen Positionen säßen, während "bei uns" nur noch
die "Sieger der Geschichte" säßen und überhaupt keine Nazis mehr vorhanden seien.
So richtig und wichtig es war und weiterhin ist, die Tatsache zu betonen, dass alte Nazis in der DDR keinen
Einfluss auf die Staatspolitik erlangen konnten, ganz im Gegensatz zu den Globke, Kiesinger, Maunz usw. in der Alt- BRD, so wenig darf übersehen werden: Gerade
weil es den Verantwortlichen in der SBZ/DDR beim Aufbau der antifaschistisch-demokratischen (später "realsozialistischen") Ordnung darum ging,
"die Masse der Mitläufer des Naziregimes zu integrieren und nicht durch die wache Erinnerung an ihre Verbrechen zu verunsichern", konnten an die
Stelle des Kampfes das Lippenbekenntnis und das Gedenktheater treten.
Symptomatisch hierfür war, dass der Dokumentarfilm Der gewöhnliche Faschismus des
sowjetischen Regisseurs Michail Romm nach nur wenigen Aufführungen aus den Filmtheatern der DDR verschwand; ganz offenbar störte er das Wunschbild
der Herrschenden von "ihren" Mitläufern.
Ein integraler Bestandteil dieses dritten Moments ist die immer noch weit verbreitete Ideologie, dass
"wir" ja schließlich die Reparationen an die Sowjetunion geleistet hätten und nun (endlich) "die Wessis" dran wären. Abgesehen
davon, dass bei einer solchen Argumentation staatliche Verbindlichkeiten (Reparationen für materielle Kriegszerstörungen) und privatrechtliche
Schuldverhältnisse (Entschädigungen für geleistete Zwangsarbeit) in einen Topf geworfen und überdies von der Alt-BRD erbrachte Leistungen
völlig in Abrede gestellt werden, ignorieren die so Argumentierenden beharrlich die Tatsache, dass dieses "Wir" sich vor elf Jahren mit großer
Mehrheit dafür entschieden hatte, ohne Wenn und Aber der Alt-BRD beizutreten, also auch deren Schulden mit übernommen hat. Ihren Gipfelpunkt erreicht
diese Ignoranz in der Argumentation, die "West-Firmen" müssten zahlen, aber doch nicht "unsere im Osten".
Ein viertes Moment ist die sog. Ausländerfeindlichkeit, bei der es sich in Wahrheit stets um
Fremdenfeindlichkeit handelt, denn ein Blick auf die Opfer zeigt, dass "deutsch" bzw. "arisch" aussehende Ausländerinnen und
Ausländer, z.B. aus Nordeuropa, kaum angegriffen werden, um so häufiger aber "fremd" aussehende Deutsche, von denen viele, entweder selber
oder deren Elternteil(e), aus der Dritten Welt in die DDR, die Alt-BRD oder die Neu-BRD gekommen und dort ansässig geworden sind.
Fremdenfeindlichkeit ist eine Erscheinungsform des gewöhnlichen Faschismus, und in seinem Geiste
wird entweder festgestellt, dass die meisten der ehemaligen Zwangsarbeitskräfte aus Osteuropa stammen, also "sowieso bloß Russen und Polacken"
sind, oder aber es wird einfach behauptet, dass das "alles Juden" sind (wobei insbesondere auf die "jüdischen" Anwälte der
Opferorganisationen verwiesen wird, zumeist ohne sich darüber im klaren zu sein, dass alle diese Zuordnungen auf den rassistischen "Nürnberger
Gesetzen" basieren, mithin ein Indiz für deren Fortwirken im Alltag auch der Neu-BRD darstellen).
Die Rolle der Fremdenfeindlichkeit belegt auch durch eine Umfrage, wonach fast 60% aller PDS-
Wähler der Meinung sind, es gäbe in Deutschland zu viele "Ausländer" kann nicht erstaunen, schon gar nicht bei der
Bevölkerung der NBL, die in der DDR zwar Reden über Völkerfreundschaft zu hören, aber selten "Ausländer" zu sehen
bekamen, noch seltener welche, mit denen sie im Alltag außerhalb der Arbeit zusammentreffen konnten.
Der erlebte Gegensatz von Reden und Tun hat mit dazu beigetragen, dass einfachste menschliche Regungen
unterbleiben und wegen fehlender Zivilcourage unterdrückt werden, denn "eigentlich" muss man keinen Grundkurs in Anthropologie und Geschichte
absolvieren, ja nicht einmal eine Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus besuchen, um zu wissen, dass das Totschlagen von Menschen ein Verbrechen ist,
dem Einhalt zu gebieten ist.
Diese vier Momente zusammengenommen betrachtet, ist es kein Wunder, dass Zwangsarbeit für das
Gros der Bevölkerung auch in den NBL kein Thema ist oder allenfalls eines, über das in uralthergebrachter, dem gewöhnlichen Faschismus verhafteter
Weise am Stammtisch schwadroniert wird. Das letztere zu bemerken ist wichtig, widerlegt es doch die ideologische Wunschvorstellung, "unsere" Menschen
seien wegen ihrer schwierigen sozialen Lage und den daraus resultierenden Problemen an einer Auseinandersetzung mit diesem Thema "nicht so interessiert".
Teilweise sind sie es durchaus, nur eben in anderer, nicht gerade antifaschistisch zu nennender Weise...
Dem wird seitens der PDS in so ungenügender Weise entgegengearbeitet, dass sich gar nicht wenige
in ihrem eben skizzierten Verhalten bestätigt fühlen können. Selbst der damalige Fraktionsvorsitzende der PDS ein studierter Jurist, der es
besser wissen sollte behauptete in seiner Rede zum Entschädigungsgesetz im Bundestag am 6.April 2000, es habe sich um "staatlich angeordnete
Zwangsarbeit" gehandelt, und bedankte sich "ganz ausdrücklich" bei Herrn Lambsdorff und "den Verantwortlichen in der Wirtschaft"
für das Zustandekommen des vorgelegten Gesetzentwurfes. Wie mir ein westdeutscher Genosse dazu schrieb, sei er "doch immer wieder aufs neue
erschüttert, wie schnell das alles geht, wenn man im Westen, d.h. im Schoß der deutschen Kriegsverbrecher, ankommen will". Was ist da von den sog.
einfachen Mitgliedern und dem "Wahlvolk" zu erwarten?
Einzelne, übrigens nicht nur in der PDS, versuchen immer wieder und werden auch weiterhin
versuchen, die antifaschistische Aktion gegen die Stammtischparolen des gewöhnlichen Faschismus auch auf diesem Feld zu organisieren (sie sitzen übrigens
nicht nur im Parlament, sondern auch in Redaktionsstuben und Betriebsräten, in örtlichen Initiativen und Antifagruppen). Es bleibt zu wünschen, dass
aufgrund ihrer Aktivitäten auch zu diesem Thema ein "Münsteraner Parteitag" stattfindet, der dem Gros der Verantwortlichen den Marsch
bläst. Antifaschismus als Programm ja, aber bitte nicht nur auf dem Papier, sondern auch als Aufruf zu konkreter Aktion.
Thomas Kuczynski
Der Artikel erschien ursprünglich in den Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS.
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