Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 31.08.2001, Seite 4

Zuwanderung

Was steckt hinter Schilys Vorschlag?

Deutschlands wichtigste Wahl kündigt sich an: 2002 wird der Bundestag neu gewählt. Die politischen Parteien sind in Alarmbereitschaft, die Politiker führen einen Medienkrieg und sogar die Nichtregierungsorganisationen und autonomen Menschenrechtsorganisationen bleiben nicht außen vor. Über die Vorschläge Innenminister Otto Schilys zur Einwanderung werden seit Wochen Tinte (in den Zeitungen), Speichel (von Politikern) und Tränen (von den Immigranten) vergossen, aber sie werden von fast allen im Bundestag vertretenen Strömungen als "Diskussionsgrundlage" gewertet.
Laut Schily ist das "Hauptziel" der Vorschläge, die "Einwanderung einzuschränken", in zweiter Linie natürlich, "Asylmissbrauch zu reduzieren". Faktisch aber, so die übereinstimmenden Analysen, bereiten sie technisch die graduellen Aufhebung des Asylrechts in Deutschland vor.
Ein Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das das bestehende BAFL ablöst, soll die Zuwanderung entsprechend den Tendenzen und Bedürfnissen des Arbeitsmarkts regulieren. Dieses Amt wird eng mit dem Arbeitsamt zusammenarbeiten. Gleichzeitig wird das Amt die Aufgabe haben, diejenigen zu deportieren, "die nicht gebraucht werden". Schließlich wird es in Deutschland nur noch zwei Formen der Aufenthaltsberechtigung geben: eine begrenzte und eine unbegrenzte. Alle anderen Formen des Aufenthalts, von der "Duldung" bis zur "Aufenthaltsberechtigung" werden abgeschafft. Damit wird die Zielsetzung dieses Gesetzes deutlich.
Die neuen Regelung im Arbeitsförderungsgesetz seit Januar 2001, wonach ein Asylbewerber nach einem Jahr Aufenthalt eine Arbeitsgenehmigung erhalten kann, scheint vollständig in Frage gestellt zu werden. Zukünftig wird die Vergabe der Arbeitserlaubnis direkt mit dem Aufenthaltsstatus verknüpft sein. Das heißt, dass eine Person im laufenden Asylverfahren nicht mehr das Recht hat zu arbeiten, auf Sozialhilfe angewiesen ist und sich ihren Bedingungen unterwerfen muss. Sie wird also weder ihre Verteidigung im Asylverfahren, noch politischen Aktivitäten finanzieren können. Geschweige denn eine mögliche Familienzusammenführung.
Auch die Regelungen für die Familienzusammenführung werden strenger. Schon jetzt war dies für Flüchtlinge nicht einfach. Denn sie konnten nur solche Familienangehörige nachziehen lassen, die sie bei ihrem Asylantrag angegeben hatten. Nun weiß man, dass die psychische Bedingungen bei der Einreise dergestalt sind, dass Asylbewerber oft nicht in der Lage sind, ihre wirkliche Geschichte zu erzählen, und wichtige Details über ihre Familienverhältnisse vergessen. Doch selbst wenn die Familienmitglieder von Anfang an angegeben werden, versuchen die Behörden, eine Zusammenführung zu verhindern.
Wie wird es für die Flüchtlinge erst mit den neuen Regeln sein, die das Zuzugsalter der Kinder begrenzen und Bedingungen stellen wie "ein Vorliegen ausreichender deutscher Sprachkenntnisse"? Das Recht auf die Familie wird damit weiter ausgehöhlt.
Die humanitäre Form der Tolerierung von Menschen durch ihre "Duldung" verschwindet im Gesetz. Außer wenn Institutionen wie die Kirche nach Verweis auf "besondere humanitäre Interessen" den Fall aufgreifen. Was steckt hinter diesen "besonderen humanitären Interessen"? Vielleicht ökonomische Bedürfnisse!
Der Logik der Aussonderung entsprechend haben die neuen Regeln die "Geduldeten" bereits in Schubladen eingeteilt: diejenigen, "die nicht zurückkehren können", und diejenigen, "die nicht zurückkehren wollen". Bei letzteren handelt es sich um Personen, die sich nicht deportieren lassen "wollen".
Wenn man sich die Gefahren vorstellt, denen Flüchtlinge bei einer Deportation ausgesetzt sind, muss man sich fragen, ob jemand seine eigene Deportation wollen kann. Allein wenn man die Geschichte betrachtet stellt man fest, dass neben den rauhen Bedingungen einer Abschiebung diese immer Anlass zu Sklaverei, Folter, Massenexekutionen und sehr oft Verschwinden gewesen ist. Man beabsichtigt jedenfalls bei den Betroffenen, den "Willen" zur Deportation zu stärken, indem sie einer drastischen und inhumanen Behandlung unterworfen werden, die in Niedersachsen und in Bayern bereits unter der Bezeichnung "Projekt X" in Kraft ist und die systematisch ausgebaut werden soll.
Dieses "Projekt X", das konzeptionell mit der sog. "Ausreisepflicht" verknüpft ist, will dass alle, die "nicht zurückkehren wollen", an einen Ort gebracht werden, an dem jeder soziale Kontakt (Besuch, Telefon, etc.) unterbunden ist. Es gibt hier nur das Recht zu essen und zu schlafen, während man vom Trauma einer Deportation zermürbt wird, die in Vorbereitung ist und jeden Moment geschehen kann…
Schilys Konzepte sehen immerhin eine gewisse Integration vor, diese aber erzwungenermaßen. Die Kurse für deutsche Sprache, Grundrechte, Kultur und Geschichte sind für jeden Ausländer Pflicht, der einen langen Aufenthalt in der BRD vorhat. Auch hier wirken Ausgrenzung und Diskriminierung, denn die Flüchtlinge mit laufenden Verfahren haben darauf ohne Aufenthaltsgenehmigung kein Recht. Und selbst wenn sie anerkannt sind, wie können sie ihre Integration vorantreiben, wenn nach den neuen Regeln ihr Aufenthaltsstatus nach drei Jahren wieder in Frage steht?
Es besteht die Gefahr, dass es in Deutschland in Zukunft kein positives Asylverfahren mehr gibt, weil die Elemente, die zu einer Anerkennung geführt haben, nach drei Jahren wieder aufgehoben werden können. Der eher zufällige Charakter der Nachforschungen des Auswärtigen Amtes, die als Grundlage für ein neues Verfahren dienen, legen die Annahme nahe, dass sich in Zukunft kein Flüchtling definitiv geschützt fühlen kann. Die Willkür der Entscheidungen kann noch durch die Tatsache verstärkt zu werden, dass ein einziger Richter völlig unabhängig darüber entscheidet. Der Asylbewerber ist damit seiner Laune, seinen möglichen rassistischen Vorurteilen… und wahrscheinlich auch den Vorgaben des Arbeitsmarkts ausgeliefert. Das Asylrecht läuft Gefahr, durch das Recht ersetzt zu werden, "in der deutschen Wirtschaft eingesetzt zu werden".
Mit Schilys Entwurf sind die Tage der politischen Aslys gezählt. Die Unterwerfung unter wirtschaftliche Erfordernisse, die Aufhebung der Duldung, die Begrenzung der Verfahren auf ein Jahr ermöglichen es den politischen Flüchtlingen nicht, sich für ihre Rechte zu organisieren. Die Gefährdung ist umso größer, als Deutschland im Vertrag von Nizza übernommen hat, sich um das Problem Einwanderung auf europäischer Ebene zu kümmern. Die Vorschläge, die der Süssmuth-Kommission auf dem Tisch liegen, sind deswegen nichts weniger als Vorschläge für eine Harmonisierung des Asylrechts in Europa.
Aber die potenziellen Opfer wollen reagieren, bevor es zu spät ist. Deshalb haben sie anlässlich der Versammlung der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migranten eine Reihe von Protestaktionen beschlossen. Vor dem Bundestag soll am Tag, an dem die Süssmuth-Kommission ihre letzte Lesung abhält, ein Sit-in stattfinden, wenn die Vorschläge nicht zurückgenommen werden.

Venant Adoville Saague

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