Sozialistische Zeitung |
In Johannesburg, Südafrika, sind noch die Reste des letzten Wahlkampfs zu sehen. Auf großflächigen Plakaten verspricht
der amtierende Präsident des African National Congress (ANC), Thabo Mbeki: "Speeding up change and fighting poverty!" (Veränderung
beschleunigen und Armut bekämpfen). Hundert Meter weiter, im Armenstadtteil Hillbrow, sitzen Menschen auf der Straße, neben ihnen ihr spärliches
Hab und Gut.
Nach Einbruch der Nacht kann man dort regelmäßig die "Roten Ameisen",
Männern in roten Overalls, bei ihrer Arbeit beobachten. Sie gehören zu den privaten Sicherheitsdiensten, die säumige Mieter aus ihren Wohnungen
werfen.
Die neoliberale Wirtschaftspolitik des ANC, der bei seinem Machtantritt der schwarzen Bevölkerung
flächendeckend Wohnungen versprochen hatte, ist in den Augen vieler Südafrikaner gescheitert. Im Wahlkampf zu den jüngsten Stadtratswahlen in
Johannesburg hatte der ANC-Kandidat bei einer Versammlung im Township Soweto, dem größten Armenviertel Johannesburgs, noch vollmundig versprochen,
der ANC würde sich für die Interessen der ärmsten Stadtbewohner einsetzen und freie Versorgung mit Wasser und Elektrizität
gewährleisten.
Doch schon im Zuge der Verkaufsvorbereitungen für den staatlichen Energieversorger Eskom
müssen viele Bewohner Sowetos die Erfahrung machen, dass sie von der Stromversorgung abgeklemmt werden, wenn sie ihre Rechnungen nicht bezahlen
können. Und zahlungsunfähig sind viele, denn allein die offizielle Erwerbslosenquote beläuft sich in Südafrika auf mehr als 30%.
Die Unzufriedenheit wächst und vor allem der Kampf gegen die Privatisierungspläne der
Regierung zieht in Südafrika immer weitere Kreise. Der Gewerkschaftsdachverband COSATU, eingebunden in die Dreierallianz mit dem regierenden ANC und der
Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP), hat für den 29. und 30.August einen Generalstreik angekündigt, vorläufiger Höhepunkt
seiner "Anti-Privatisierungs-Kampagne".
Und auch das Durban Social Forum (DSF), ein Zusammenschluss von knapp 500 südafrikanischen
Organisationen, darunter allein 200 Frauenorganisationen, Entschuldungskampagnen, Landlose und der Dachverband der NGOs, zieht anlässlich der UN-Konferenz
gegen Rassismus auf die Straße, u.a. gegen den Verkauf des südafrikanischen Energieunternehmens Eskom und der Telefongesellschaft Telkom. Dies
würde "abermals die Armen bestrafen, Ungleichheit und Rassismus verschärfen", heißt es in einer Erklärung des DSF, deren
Sprecherin Fatima Meer stolz darauf ist, in jahrelanger Arbeit auch nennenswerte Teile der Bevölkerung in den insgesamt 23 Townships der Konferenzstadt
mobilisiert zu haben.
Durch das Anwachsen zahlreicher Eigeninitiativen ist die Gewerkschaftsführung, die sich bisher einem Schonkurs gegenüber der Regierungsallianz
verpflichtet hatte, stark unter Druck geraten. Denn mit einer offenen Mobilisierung gegen die Privatisierungspläne der Regierung trifft COSATU mit seinen knapp 2
Millionen Mitgliedern ein Herzstück der südafrikanischen Wirtschaftspolitik, die sich besonders seit dem Amtsantritt ihres neuen Präsidenten Thabo
Mbeki um ein ausgeprägt freundliches Investorenklima bemüht.
Die Konflikte in der Dreierallianz sind vorprogrammiert. Trevor Manuel, Finanzminister, und sein Kollege
Jeff Radebe, Minister für den öffentlichen Dienst, signalisierten erst am 17.August, dass sie zu keinerlei Zugeständnis gegenüber den
Gewerkschaften bereit wären. Diese fordern ein Moratorium für alle Privatisierungsvorhaben, die zur Zeit die Energieversorgung, Telekommunikation, das
Transportwesen und die Waffenschmiede Denel umfassen, sowie eine große Verhandlungsrunde über die Neustrukturierung des Staatsbesitzes.
Auch nach Ansicht der südafrikanischen Tageszeitung Business Day spiegeln sich in dem fehlenden
Zugeständnis tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten der Dreierallianz über eine adäquate Wirtschaftspolitik wider, die schon länger hinter
verschlossenen Türen schwelen. Nach Angaben von Business Day sind einige ANC-Minister regelrecht "paralysiert" und wissen nicht, wie sie mit den
Forderungen von COSATU umgehen sollen.
Auch die zeitliche Nähe zur UN-Konferenz gegen Rassismus, die am 31.August beginnen und die
Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Südafrika lenken wird, löse in den ANC-Regierungskreisen Besorgnis aus. Die südafrikanischen
Wirtschaftsverbände befürchten ebenfalls, dass der Generalstreik das Vertrauen von Investoren unterminieren werde.
Insgesamt rechnet COSATU mit bis zu 4 Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern, die sich am Generalstreik
beteiligen werden. Denn zusätzlich zu den COSATU-Mitgliedern hätte auch der konkurrierende Dachverband NACTU angekündigt, seine 500000
Anhänger zu mobilisieren, ebenso die mitgliederstarke Bürgerrechtsorganisation SANCO (South African National Civic Organisation). Auch der dritte
Allianzpartner, die SACP, hat ihre Beteiligung angekündigt.
Eine wesentliche Rolle für die Sensibilisierung einer kritischen Öffentlichkeit für die
Privatisierungspläne der Regierung spielen die zahlreichen Eigeninitiativen. Im Sommer des vergangenen Jahres haben sie sich in Johannesburg gemeinsam mit
Sanco, einigen lokalen Funktionären der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (SAMWU), der südafrikanischen Erlassjahrkampagne, regionalen
SACP-Untergliederungen und anderen linken Parteien und Organisationen zu einem Anti-Privatisierungs-Forum (APF) zusammengeschlossen.
Zweiraumwohnungen, in denen ganze Familien leben, deren Mitglieder keine Erwerbsarbeit haben und von
verschiedenen Krankheiten geplagt werden, sind keine Seltenheit in südafrikanischen Townships.
Der noch staatliche Energieversorger Eskom verschärft die Situation, indem er minutiös die
ausstehenden Rechnungen nachhält und überaus hohe Nachzahlungen fordert, die in vielen Fällen über die Hälfte des monatlichen
Familieneinkommens betragen. Meistens klemmt Eskom dann den Strom ab, weil die Familien nicht zahlen können. Am 30.Juni zogen mehrere zornige Bewohner
Sowetos in den besseren Stadtteil Kensington. Dort protestierten sie vor dem Haus des amtierenden ANC-Bürgermeisters und versuchten, sein Haus von der Wasser-
und Stromversorgung abzuklemmen.
Der Protestmarsch wurde vom Soweto Electricity Crisis Committee (SECC) angeführt, das sich vor mehr als einem Jahr gegründet hatte, als Eskom
ankündigte, im Hinblick auf die anstehende Privatisierung stärkere Verbrauchskontrollen und betriebsinterne Kostensenkungen durchzuführen. Seitdem
sind mehrere tausend Bewohner des Townships vom Strom abgeklemmt worden. Doch in den Augen des SECC ist Elektrizität kein Luxusgut, sondern stellt ein
Grundbedürfnis des alltäglichen Lebens dar.
Das SECC organisiert nicht nur Demonstrationen und große Saalveranstaltungen, sondern setzt auch
auf direkte Aktionen, die den Betroffenen unmittelbar helfen. Das SECC hat seit einiger Zeit die Verteidigungskampagne Khanyisa initiert, was in etwa "Licht
machen" bedeutet.
Im SECC-Büro gehen mittlerweile täglich 50 Anrufe ein, die dort über fehlende
Elektrizität klagen. Fachkundige Khanyisa-Eingreifteams ziehen dann los und stellen die Energieversorgung wieder her ohne Genehmigung, versteht sich.
Diese "Dreistigkeit", so eine Aktivistin, erfreue sich in Soweto größter Beliebtheit.
Darüber hinaus bemüht SECC auch die juristische Ebene und verklagt Eskom und die
Stadtverwaltung. Das Abstellen der Wasserversorgung und das Abklemmen des Stroms seien nicht "verfassungsgemäß" und werden durch
Korruption begünstigt.
Trevor Ngwane, SECC-Vorsitzender und führendes Mitglied des Johannesburger APF, war
früher als ANC-Abgeordneter in einem Bezirksstadtrat Sowetos. "Als wir 1998 von den Privatisierungsplänen im Johannesburger Stadtrat erfuhren,
sprachen sich meine Wahlhelfer, die Gewerkschaften und ich gegen das Vorhaben aus", berichtet Ngwane, "doch auch innerhalb der Parteistrukturen fand meine
Stimme kein Gehör".
Als er dann einen Artikel über die Pläne in einer Tageszeitung veröffentlichte, dauerte
es nur drei Tage, bis ihn der ANC von allen Parteiposten entfernt hatte. Ein Angebot der ANC-Führung, sich öffentlich für seinen Artikel zu
entschuldigen und im Gegenzug wieder seine Posten bekleiden zu dürfen, lehnte er ab und blieb noch ein Jahr als unabhängiges Mitglied im Rat.
"Immer mehr Menschen fragen, warum sie tatenlos zusehen sollen", so Ngwane. "Zum
Beispiel werden Milliarden Dollar für Waffen ausgegeben. Dieser Handel ist korrupt. ANC-Politiker erhalten einen Mercedes-Benz, wennn sie den großen
Konzernen der Branche Waffengeschäfte vermitteln. Gleichzeitig gibt es Zwangsräumungen, die Wasser- und Stromversorgung wird abgeklemmt, weil die
Regierung behauptet, sie könnte es sich nicht leisten, diese Dienste zur Verfügung zu stellen, wenn die Leute nicht bezahlen."
Nicht nur in den Armenvierteln Johannesburgs, auch in den Cape Flats, den Slums von Kapstadt, regt sich
Widerstand. In Anlehnung an das Aktionskonzept der Khanyisa gibt es dort eine Bewegung gegen Zwangsräumungen. Wenn Familien aus ihren Wohnungen geworfen
werden warten Aktivisten, bis die Vertreter der Stadtverwaltung und der Polizei abgezogen sind. Dann tragen sie die Möbel und Besitztümer der jeweiligen
Familie wieder zurück ins Haus. Auch in der drittgrößten südafrikanischen Metropole, Durban, haben sich Kampagenen gegen
Zwangsräumungen und Stilllegungen der Wasserversorgung etabliert.
Dort hat sich aus dem APF eine Wahlliste herausgebildet, deren Kandidatin bei Regionalwahlen im Juli sogar die Kandidaten des ANC, der Inkatha Freedom Party
und der Democratic Alliance geschlagen hat und nun als einziges unabhängiges Mitglied im Stadtrat sitzt. Dazu beigetragen hatte auch die tatkräftige
Wahlkampfhilfe des Johannesburger APF.
Der Wahlerfolg in Durban und die verstärkte Zusammenarbeit der Foren auf nationaler Ebene haben
eine neue Debatte in Südafrika entzündet. "Noch wird die Diskussion über eine linke politische Alternative zum ANC nicht systematisch
geführt … aber die Frage beschäftigt alle wirklichen Sozialisten und Radikaldemokraten", so Ngwane.
"Natürlich wissen wir, dass viele in gewisser Hinsicht noch loyal zum ANC stehen",
gesteht Ngwane, aber das könnte auch damit zusammenhängen, "dass es bis jetzt keine Alternative gibt."
Ob die APF Elemente einer neuen Partei sein sollten, ist dort umstritten. "Wir sollten offen
über die Neugründung einer Arbeiterpartei reden", fordert Ngwane, "aber sie wird nicht morgen gegründet werden".
Früher sahen viele COSATU als die Basis für eine neue Arbeiterpartei an. "Doch wir
können nicht ewig auf COSATU warten", so Ngwane, nach dessen Ansicht die Allianz nur noch "auf dem Papier" existiere, politisch schon
längst zerbrochen sei und der ANC nun mache, was er wolle. Tatsächlich hält COSATU trotz der scharfen Kritik an der Politik des ANC nach wie vor
bedingungslos am Bestand der Regierungsallianz fest.
COSATU setzt offensichtlich auf eine innere Reform des ANC. "Nach allem was passierte ist sie
immer noch unsere Regierung, nicht das Privateigentum einiger Individuen", betonte Zwelinzima Vavi, COSATU-Generalsektretär, in seiner jüngsten
Erklärung zur Anti-Privatisierungskampagne seines Gewerkschaftsverbands.
Ebenso wie der ANC setzt auch COSATU auf ausländisches Kapital, dass mit langfristigen
Investitionen die Wirtschaft des Landes ankurbeln soll.
Die Geister scheiden sich allerdings bei den nicht unwesentlichen Vorbedingungen: für den
Gewerkschaftsdachverband ist es eine Konsolidierung der nationalen Wirtschaftsstrukturen, ein Stop der Privatisierungspläne und vor allem eine Reduzierung der
Erwerbslosigkeit, für den ANC der weitere Ausverkauf des staatlichen Eigentums.
Gerhard Klas
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