Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 31.08.2001, Seite 12

‘Ich glaube einfach nicht an sie‘

von PRAMOEDYA ANANTA TOER

Ich mache Präsident Sukarno nicht verantwortlich für meine Verhaftung in den frühen 60er Jahren. Ich mache die Armee verantwortlich. Aber in den frühen 60er Jahren ein politischer Häftling zu sein war ganz anders als unter späteren Regimen.
Sukarnos politische Gegner konnten ihre Familien ungehindert besuchen und sich innerhalb eines begrenzten Gebiets frei bewegen. Wir wurden zumindest mit Respekt behandelt.
Unter Suharto gab es keine Regeln, nichts. Man konnte ins Gefängnis geworfen werden, ohne vorher vor Gericht gestellt zu werden. Wenn sie bei einem etwas zu lesen fanden, selbst ein Stück einer zerrissenen Zeitung, konnte man getötet werden. War man Häftling in Jakarta, konnte man Besucher empfangen — aber dafür musste man bezahlen.
Als ich 1979 das Gefängnis auf der Insel Buru verließ, wurden mir alle Papiere abgenommen. Ich gehörte zu einer Gruppe von 40, die von den anderen getrennt waren. Als unser Schiff sich nördlich von Madura befand, wurde meine Gruppe vom Schiff genommen. Es sah so aus, als planten die Behörden uns irgendwo zu verstecken. Doch zufällig hatte jemand von der katholischen Kirche auf Buru gehört, dass wir in die Verbannung geschickt werden sollten, und diese Nachricht verbreitet.
Als wir in der Madura-Meerenge an Land gesetzt wurden und ein Fahrzeug auf uns wartete, uns nach Nusakambangan, dem berüchtigten Gefängnis, zu bringen, schaute die Welt also bereits zu. Und als Resultat war die Regierung, aufgrund zahlreicher ausländischer Botschafter als Zeugen, gezwungen, uns unsere Entlassungspapiere zu geben.
Unter dem Regime von Suhartos Neuer Ordnung war Megawati, Sukarnos Tochter, Abgeordnete im Parlament. Nach dem Sturz ihres Vaters gab die Regierung der Neuen Ordnung ihr ein Haus und das Gehalt eines Parlamentsmitglieds.
Aber hat sie je etwas darüber gesagt, wie man ihren Vater behandelt hat? Hat sie je protestiert, als ihre Landsleute ins Gefängnis geworfen wurden? Niemals. Hat sie jemals Suharto zur Verantwortung gezogen? Niemals!
Aber damit steht sie nicht allein. Sogar nach Suhartos Rücktritt hat ihn niemand zur Verantwortung gezogen, hat es keiner gewagt, ihn vor Gericht zu stellen. Stillschweigend — unter dem Schutz der Neuen Ordnung — übt er immer noch Macht aus in diesem Land.
Megawati kam auf der Welle einer Jugendrebellion an die Macht. Jene jungen Leute haben nicht wirklich darüber nachgedacht; sie hatten keine andere Galionsfigur, und so nahmen sie sie, denn sie war ja Sukarnos Tochter. Und das ist alles, was sie ist.
Vielleicht hat Megawati die Bücher ihres Vaters nicht gelesen. Ich sehe nicht, dass sie von seinen besseren Eigenschaften etwas geerbt hat. Sie hat keine Erfahrung. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass sie die Probleme des Landes lösen kann.
Ja, sie mag Orte aufsuchen, an denen Konflikte stattgefunden haben, aber nur, um dort ihre Tränen zu vergießen. Ihr Herz, sagt sie, wendet sich dem Volk zu, aber das ist auch alles, was es kriegt. Die Dorfbewohner loben sie, aber dies aus Unwissenheit. Sie kennen sie nicht.
Niemand scheint zu realisieren, dass Indonesien in eine Periode sozialer Revolution eintritt. Die Anzeichen sind da. Man kann sie an den Bauern sehen, die sich das Land, nachdem es ihnen während der Neuen Ordnung weggenommen wurde, mit Gewalt zurückholen. Man sieht sie an den Protesten der Bauern vor den regionalen Parlamentsgebäuden. Und man sieht sie an den Angriffen gegen hunderte Polizei- und Militärposten.
In der Vergangenheit hätten sich dieselben Menschen ihrer Stimme berauben lassen, aber jetzt kämpfen sie. Ob sie es merken oder nicht, sie sind die Avantgarde einer sozialen Revolution.
Jetzt benötigt die Nation einen Führer. Wir sind zurückgefallen. Indonesien ist erschöpft. Man sagt gerne, die Indonesier sind so freundlich und höflich, aber diese Sichtweise scheint nicht mehr als ein übrig gebliebener Tourismusslogan zu sein.
Ein Kampf findet statt, und er wird von Menschen in Jakarta kontrolliert, denselben Leuten, die solche Dinge in der Vergangenheit getan haben.
Meiner Meinung nach gibt es gegenwärtig keine wirkliche Führung; es gibt bloß Leute mit Macht. Dass Studenten nun Teil des demokratischen Prozesses sind, ist ein Anzeichen von Fortschritt; tatsächlich kann der Wandel, den wir erlebt haben, der jüngeren Generation zugute gehalten werden.
Aber dafür hat Megawati nicht gekämpft. Sie hat nichts getan. Die jungen Leute, die Studenten, die haben gekämpft, und sie steht jetzt da und genießt die Ergebnisse der Opfer, die sie gebracht haben.

Pramoedya Ananta Toer, Indonesiens bedeutendster Schriftsteller, war unter dem Suharto-Regime wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) lange verfolgt worden. Er ist heute Mitglied der Demokratischen Volkspartei (PRD).


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