Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 13.09.2001, Seite 4

Steine oder Wasserspritzer?

Räumung eines Hauses in Potsdam-Babelsberg wird zum Politikum

Eine angemeldete Demonstration — ohne Polizeieskorte. Geht das? Frank Domanski, Vorsitzender des Brandenburger Landesverbands der Deutschen Polizeigewerkschaft, hätte zu der Demonstration am 8.September in Potsdam-Babelsberg am liebsten gar keine Staatsdiener schicken. Gegenüber der SoZ sagte er: "Ich hab mit dem Polizeipräsidenten gesprochen. Am besten, wir schicken da gar keinen Polizisten hin. Laut Anmeldung geht es ja auch gegen Polizeiwillkür. Warum sollen wir das noch schützen?"
Die Demonstration "Gegen Rassismus und Polizeigewalt" haben linke Vereine, Gruppen und Fanclubs des SV Babelsberg 03 angemeldet. Anlass: die Ausschreitungen nach dem DFB-Pokalspiel Hertha BSC gegen den SVB sowie der Polizeieinsatz und die Räumung des Hauses in der Rudolf- Breitscheid-Straße 6 am 25.August. "Wir wollen nicht zulassen, dass Menschen, die sich rechten Tendenzen entgegenstellen, deshalb zur Zielscheibe öffentlicher Diffamierungen und polizeilicher Gewalt und Zerstörungswut werden", heißt es im Demoaufruf.
Einer der Unterzeichnerinnen ist die Aktion Noteingang Potsdam. Noteingang hatte vergangene Woche Strafanzeige gegen den polizeilichen Einsatzleiter Andreas Merten erstattet. "Direkte Unterstützung rechtsextremistischer Gewalt durch die Polizei", so der Vorwurf. Angezeigt wurde Merten u.a. wegen Volksverhetzung durch Beihilfe, unterlassener Hilfeleistung und schweren Landfriedensbruchs.
Am Abend des 25.August hatte eine Landeseinsatzeinheit die Rudolf-Breitscheid-Straße 6 gestürmt und das vom Eigentümer, dem Klinikum Oberlinhaus, geduldete Wohnprojekt ohne Vorwarnung geräumt. 15 Personen wurden vorläufig festgenommen. Offizielle Begründung der Polizei: "Mehrere vermummte Personen aus dem besetzten Haus" hätten zuvor vorbeiziehende Fußballanhänger von Hertha BSC "mit Steinen und anderen Gegenständen beworfen und als Nazis beschimpft".
Die Bewohner der "Breiti" hatten das anders erlebt: Etwa 150 Leute, darunter bekannte Potsdamer Neonazis, hätten sich nach dem Spiel vor dem Haus gesammelt und das Wohnprojekt, in dem sich zu diesem Zeitpunkt drei Frauen und drei Männer befanden, angegriffen. Die angeblichen Fans hätten den Hitlergruß gezeigt, "Zecken töten" und "Hier marschiert der nationale Widerstand" gebrüllt, mit Steinen das Haus beworfen und versucht, die Eingangstür einzutreten.
Die Polizei habe zugesehen und gefilmt. Erst nach minutenlangem Steinhagel hätten die Beamten die Angreifer abgedrängt — ohne Personalienfeststellung. Aus einem Lautsprecherwagen habe der Einsatzleiter schließlich die "lieben Hertha-Fans" zum Weitergehen aufgefordert. Eine Stunde darauf hätten die Polizisten dann das Haus gestürmt.
Polizeisprecher versuchten im Nachhinein, das Handeln der Einsatzkräfte zu erklären: Da Hertha-Fans nach dem Spiel mit Hitlergruß das Feld gestürmt hatten, habe Personalmangel geherrscht. Die Räumung wurde mit "Gefahrenvorbeugung" begründet. Der Einsatz sei eine Stunde nach den Krawallen erfolgt, da erst die Hertha-Fans zum Bahnhof gebracht werden mussten.
Wegen "Gefahr im Verzug" sei das Oberlinhaus nicht informiert worden. Bei der Darstellung, dass niemand verletzt wurde, blieb die Polizei. Einen Nasenbeinbruch, ein Nierenriss, eine zerquetschte Hand beklagten hingegen die Bewohner. Personen vor und im Haus seien von den Polizisten zu Boden gerissen, mit Knüppeln geschlagen, gefesselt und getreten worden sowie mit "Leg dich hin, du Schlampe" und "Zecke" beschimpft worden.
Auch angesichts dieser Widersprüche verhängte die Polizei am Dienstag nach der Räumung eine Informationssperre. Eine Arbeitsgruppe zur "Untersuchung der Vorwürfe" wurde eingesetzt. Am gleichen Tag konnten die Bewohner wieder ins Haus zurück. Die Polizei hatte den Eigentümer in einem Gespräch am Abend zuvor darauf hingewiesen, dass man das geräumte Haus in der Breitscheid-Straße 6 weiter sichern lassen könne.
Der Eigentümer aber vereinbarte den sofortigen Wiedereinzug mit den Bewohnern. Das Haus bot sich ihnen völlig verwüstet. Bei der polizeilichen Durchsuchung seien persönliche Gegenstände der Bewohner und Freunde "beschlagnahmt" worden, die ganz offensichtlich nicht zur Klärung des vermeintlichen Straftatbestands schwerer Landfriedensbruch beitragen könnten, so die Bewohner. Vermisst würden persönliche Dokumente, Unterlagen, Fotos und das Video, das die Bewohner vom Angriff auf das Haus gemacht hatten. Die Geschädigten wollen Strafanzeige gegen die Polizei wegen schwerer Sachbeschädigung stellen.
Im Gespräch mit der SoZ bezeichnet Frank Domanski entsprechende Vorwürfe als Teil einer "Verleumdungskampagne". Er lasse rechtliche Schritte gegen "die Mitbürger" prüfen, "die leichtfertig die Potsdamer Polizei kriminalisieren".
Einen ersten offiziellen Zwischenbericht der polizeiinternen Untersuchungen gab Polizeipräsident Detlef von Schwerin am Freitag nach der Hausräumung. Er erklärte, dass man bei der Auswertung des "sichergestellten" Videos der "Besetzer" und eigener Aufnahmen erkannt habe, dass Hertha-Fans Steine gegen das besetzte Haus geworfen haben. Mit Zeugen sei aber belegbar, dass auch aus dem Haus heraus Steine flogen, so Schwerin.
Auf den Videos sei zu sehen, dass vorbeiziehende Fans verbal und mit Wasserspritzen provoziert wurden. Der Polizeipräsident: "Wenn die Besetzer die Fans nicht provoziert hätten, wäre die Situation nicht eskaliert." Der Leiter der Untersuchungsgruppe, Gerd Laube, räumte ein, dass die Polizei zuvor schon von Gewaltaufrufen im Internet gewusst habe. Beweise, dass die Fans den Konflikt gezielt gesucht hätten, gebe es aber nicht, so Schwerin. Er hielt die Räumung des Hauses für "verhältnismäßig".
Über die "Verhältnismäßigkeit" wird kommende Woche auch die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung diskutieren. Die Mitglieder des Hauptausschusses konnten sich bereits vergangenen Mittwoch ein Bild machen. In Anwesenheit von Vertretern der Polizei und der Besetzer wurde ihnen das aus Polizei- und Besetzervideo zusammengeschnittene Video vom Polizeipräsidenten vorgeführt. "Eine Blamage für die Potsdamer Polizei", so das Resümee von Axel Kruschat, Vorsitzender der Fraktion "Die Andere" nach der Filmvorführung gegenüber der SoZ. "Dass sie sich damit überhaupt in den Ausschuss getraut haben…"
Die Aufnahmen hätten bestätigt, dass die Polizei überreagiert hat. "Die Notwendigkeit des Eindringens der Polizei in das Haus wird nicht belegbar", sagt auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Mühlberg der SoZ. Die Bilder würden "Vermutungen über innere Zustände bei der Polizei" aufkommen lassen, urteilt gar Oberbürgermeister Matthias Platzeck.
Schwerin habe sich bei der Vorführung bemüht zu beweisen, dass auch aus dem Haus Gegenstände geflogen seien, berichtete Kruschat. So habe der Polizeipräsident auf Wasser gezeigt, das aus dem Haus spritzte und gemeint, dies könne auch eine Flasche gewesen sein. Doch auch Mühlberg sah "nur Wasser spritzen". Mehr als deutlich zu sehen und zu hören seien aber: Steine auf das Haus und rechtsextremistische Sprüche, so Kruschat.
Von der Räumung wurde kaum Filmmaterial gezeigt. Trotzdem habe man sehen können, dass das Haus vorher in einem guten Zustand war und die Bewohner keinen Widerstand leisteten, so Kruschat im Gespräch mit der SoZ. Das Video, das die Verhältnismäßigkeit der Mittel der Polizei beweisen sollte, habe diese "mindestens in Frage gestellt".
Selbst der Fraktionschef der CDU, Eberhard Kapuste, sprach nach der Filmvorführung von einem "Schnellschuss" seiner Partei im Zusammenhang mit der Vorverurteilung der Besetzer. Die CDU hatte nach der Räumung vehement versucht, Stimmung gegen den Ende September geplanten Umzug der Hausbesetzer in ein Haus der städtischen Wohnungsbaugesellschaft zu machen.
Bisheriges Ergebnis der Polizeiaktion ist, dass die Bewohner der Rudolf-Breitscheid-Straße 6 das Haus zwei Wochen vor dem abgesprochenen Termin an den Eigentümer zurückgeben mussten. Am 7.September zogen sie aus — vorläufig zu Freunden.

Fanny Komaritzan

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