Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 27.09.2001, Seite 4

Abbau des Rechtsstaats

Maßnahmenpaket zur "Terrorismus-Bekämpfung"

Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hat sich am 18.9. auf folgenden Maßnahmenpakete zur "Terrorismus- Bekämpfung" geeinigt, das in Teilen vom Kabinett verabschiedet worden ist.

Flugsicherheit: Bundesinnenminister Otto Schily und Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig einigten sich bereits mit der Lufthansa und dem Betreiber des Frankfurter Flughafens darauf, dass die Gepäck- und Passagierkontrollen verstärkt und das Personal am Boden und in der Luft intensiveren Sicherheitsüberprüfungen unterzogen werden. Dazu werden auch Erkenntnisse des Verfassungsschutzes herangezogen. Auf bestimmten Routen sollen zudem künftig so genannte Luftmarschalls an Bord der Maschinen eingesetzt werden. Deren Rolle und Kompetenzen sind allerdings vollkommen unklar.
Religionsprivileg: Das Kabinett hat die Abschaffung des sog. Religionsprivilegs im Vereinsgesetz beschlossen. Es handelt sich um die Regelung in §2 Abs.2 Nr.3 des Vereinsgesetzes, wonach Religionsgemeinschaften und andere weltanschauliche Vereinigungen, die im Rahmen des Art.140 GG/Art.137 WRV tätig sind, nicht unter das Vereinsgesetz fallen (dasselbe Privileg gilt auch für Fraktionen des Deutschen Bundestages). Nach Aussage Schilys ist die Abschaffung dieses Privilegs notwendig, um radikal-islamistische Organisationen besser verbieten zu können. Auch die Grünen stimmen dem zu. Bislang sind solche Gruppen dann geschützt, wenn sie sich selbst als Religionsgemeinschaft bezeichnen.
Dies ist ein falsches Signal an die Öffentlichkeit: Die Maßnahme erweckt den Eindruck, dass "der Islam" ein geradezu mörderisches Glaubensbekenntnis darstelle.
§129b StGB: In der Kabinettsitzung am 19.9. wurde außerdem die Einführung eines neuen §129b StGB beschlossen. Der 1976 eingeführte §129a stellt Bildung, Mitgliedschaft, Unterstützung sowie Werbung für terroristische Vereinigungen im Inland unter Strafe. Der neue Paragraf weitet den Tatbestand der "kriminellen Vereinigung" auf Mitglieder und Unterstützer internationale Organisationen aus. Der Paragraf begründet ein System von Sondergesetzen, das sich auch — und vor allem — gegen friedliche Oppositionelle richten kann.
Zuwanderungsrecht: Bayerns Innenminister Günther Beckstein hat gefordert, künftig Zuwanderer "aus bestimmten Ländern" einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz zu unterziehen. Bundesinnenminister Otto Schily hat ihm dabei seine volle Unterstützung zugesagt. Die Regelanfrage sei dazu geeignet, das Einsickern von Terroristen zu verhindern. Wir kennen die Regelanfrage bereits aus dem Einbürgerungsrecht. Hier wie dort ist die Folge eindeutig: Migrantinnen und Migranten werden pauschal als potentielle Kriminelle oder Verfassungsfeinde abgestempelt. Mit einer offenen, zivilen Gesellschaft ist dies nicht zu vereinbaren.
Eine weitere Forderung ist die, Straftäter schneller abzuschieben. Hier setzt aber das Völkerrecht eine Grenze. Im übrigen ist zur Ahndung von Straftaten das Strafrecht da. Eine ausländerrechtliche "Doppelbestrafung" ist verfassungswidrig.
Auch die Vergabe von Einreisevisa soll künftig nach Rücksprache mit dem Verfassungsschutz erfolgen; ein Alternativvorschlag aus der CDU sieht vor, die Antragsteller mit Passbild und Fingerabdrückung bereits im Ausland zu überprüfen.
Bundeswehr: Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und Bundesinnenminister Otto Schily wollen die Bundeswehr künftig auch im Innern zur Sicherung von Flughäfen oder herausgehobenen Einrichtungen einsetzen.
Hier wird die Debatte geradezu offen verfassungswidrig: Vor dem Hintergrund, dass im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im Dritten Reich das Militär immer wieder zur Niederschlagung und Verfolgung der Opposition eingesetzt wurde, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine eindeutige Trennung von Polizei und Militär vorgesehen. In einem Rechtsstaat haben Soldaten bei polizeilichen Aufgaben, für die sie auch nicht ausgebildet sind, nichts zu suchen.
Verfassungsfeindlich ist auch der Vorschlag des SPD-Verteidigungsexperten Helmut Wieczorek, Einheiten von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz in enger Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten zu einer "neuen Art von Nationalgarde" zusammenzufassen. Zu einem Rechtsstaat gehört, dass Geheimdienste keine polizeilichen Aufgaben übernehmen. Sonst kommen wir schnell auf einen Weg, der uns zu einer neuen Geheimen Staatspolizei führen könnte…
Fingerabdrücke im Pass: Auf seinen Vorschlag, zur besseren Identifizierung im Pass künftig zusätzlich einen Fingerabdruck festzuhalten, hat Schily bislang kaum positive Resonanz bekommen. Zum Glück. Denn damit würde jede Bürgerin und jeder Bürger unter einer Art "Generalverdacht" kommen.
Geldwäsche: Die Bundesregierung will die Banken zu mehr Auskünften über Finanzquellen verpflichten. Schröder kündigte an, international agierenden Terroristenorganisationen den Geldhahn abzudrehen.
Datenschutz: Schily hat Lockerungen beim Datenschutz angedeutet. "Vielleicht haben wir in Deutschland beim Datenschutz übertrieben", erklärte er. Es könne nicht sein, dass Terroristen nicht unter Kontrolle gebracht werden, weil "wir bestimmte Datenbestände nicht nutzen".
Damit würde er aber nur der Sammelwut von Polizei und Geheimdiensten erneut Tür und Tor öffnen. Mit dem vom Bundesverfassungsgericht formulierten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist eine Ausweitung der Kompetenzen von Sicherheitskräften beim Sammeln, Verarbeiten und Weiterverarbeiten jedoch nicht vereinbar.
Datenschutzbeauftragte haben inzwischen den Vorwurf Schilys zurückgewiesen. Berlins Beauftragter, Hansjürgen Garstka, erklärte gegenüber der Berliner Zeitung (19.9.): "In den letzten Jahren haben die Sicherheitsbehörden immer mehr Befugnisse bekommen." Heute seien Dinge zulässig, die vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wären. Es sei ein altes Spiel der Sicherheitsbehörden: Wenn sie selbst versagt hätten, forderten sie zuerst neue Befugnisse.
Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein, kritisierte: "Nicht der Datenschutz ist übertrieben, sondern die Terrorismus-Hysterie." Die grausamen Straftaten müssten aufgeklärt werden, aber nicht dadurch, dass "im Nebel gestochert wird, sondern indem konkrete Ermittlungsansätze verfolgt werden". Der Bundesdatenschützer Joachim Jakob hält es für "einfach falsch, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass dieses furchtbare Attentat durch weiter reichende rechtliche Befugnisse hätte vermieden werden können". Wenn der Verfassungsschutz irgendeine Information gehabt hätte, hätte er nach jetziger Rechtslage jederzeit die Chance gehabt, Beobachter einzuschalten, Telefonanschlüsse abzuhören und Internetanschlüsse erschließen zu lassen.
Es muss alles unterlassen werden, was zu einer Eskalation eines äußeren Konflikts oder der innenpolitischen Lage führen würde, und es muss alles aktiv und massiv gefördert werden, was zur Deeskalation beiträgt. Die Verschärfungen im Vereins- und im Strafrecht müssen abgelehnt werden; diejenigen hinsichtlich der Geldwäsche jedoch nicht. Auf der anderen Seite ist eine massive Verstärkung der Integrationsleistungen für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger erforderlich.

Büro Jelpke/d.Red.

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