Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 27.09.2001, Seite 13

Wer ist Osama Bin Laden?

Osama Bin Mohammed Bin Laden wurde in Riad, Saudi-Arabien, als eins von 50 Kindern einer angesehenen südarabischen Familie geboren, die unter dem Schutz der saudischen Königsfamilie ein bedeutendes Bauunternehmen aufgebaut hatte. Während seines Studiums in den 70er Jahren kam er an den saudi-arabischen Universitäten in Kontakt mit extremen islamischen Ideologien. Die saudische Königsfamilie hatte — zu ihrem späteren Bedauern — religiösen Opponenten gegen das laizistische nationalistische Regime von Gamal Abdul Nasser und Anwar el Sadat in Ägypten eine Zuflucht geboten.
Am 20.November 1979 brachten einige hundert Seminarstudenten und andere Aufständische die Große Moschee in Mekka in ihre Gewalt; Regierungstruppen konnten sie erst nach zweiwöchiger Belagerung und zum Preis von 300 Toten hieraus vertreiben. Welche Rolle Bin Laden in diesem Aufstand gespielt hat, ist nach wie vor ungeklärt, aber seine Familie schickte ihn fort, auf dass er sich dem Kampf gegen die sowjetischen Truppen anschließe, die gerade in Afghanistan einmarschiert waren.
In Peshawar an der Grenze zu Afghanistan war Bin Laden verantwortlich für den Aufbau einer Organisation, die Geld, Waffen, Baumaterial und militärische Ausrüstung einsammeln und nichtafghanische Freiwillige für eine Guerillagruppe gegen die sowjetische Besatzung anwerben sollte. Das Servicebüro, wie es genannt wurde, war ermächtigt, Anwerbestellen in 50 Ländern zu unterhalten sowie Trainingslager und Flugübungsfelder aufzubauen und zu unterhalten. Bin Laden baute auch ein Netzwerk von Freiwilligen auf, bekannt als al-Qaeda oder "die Basis" — mit diesem Namen bezeichnet die US-Regierung die jetzige Organisationsstruktur.
Die 80er Jahre waren für Bin Laden die entscheidenden. Spenden der Regierungen Saudi-Arabiens, der Golfstaaten und von Einzelpersonen für den Kampf in Afghanistan verschafften ihm üppige Finanzmittel. Außerdem gewann er bestimmenden Einfluss über eine ganze Generation von sog. "arabischen Afghanen", Tausende junge Männer aus Saudi-Arabien, Ägypten, Jemen und anderen muslimischen Ländern, die in Afghanistan gestrandet waren, um zu kämpfen, aber ohne Aufgabe blieben, als die sowjetischen Truppen sich Ende der 80er Jahre zurückzogen. Dieser Sieg mag bei Bin Laden ein ausgeprägtes Allmachtsgefühl hinterlassen haben.
1989 kehrte Bin Laden nach Saudi Arabien zurück, aber am 8.August 1990 fand er eine neue Aufgabe, als die ersten US- Truppen hier als Teil eines großen Aufgebots landeten, um die irakische Armee aus Kuwait zu vertreiben. Bin Laden kritisierte die saudische Königsfamilie bitter dafür, dass sie das Land des Heiligen Schreins Ungläubigen geöffnet habe. Er wurde kurzzeitig wegen Waffenschmuggels verhaftet und floh nach Sudan.
Seither wird er von den USA einer Reihe von brutalen Anschlägen bezichtigt, darunter die Bombardierung des World Trade Center im Februar 1993, zwei riesige Anschläge mit Autobomben auf US-Einrichtungen in Saudi-Arabien 1995 und 1996, die Bombardierung der US-Botschaften in Kenya und Tanzania im August 1988, wobei 224 Menschen ums Leben kamen, und das Selbstmordattentat auf den Flugzeugträger USS Cole im Golf von Aden im vergangenen Oktober.
1996 kehrte er nach Afghanistan zurück, nunmehr weitgehend unter der Kontrolle der radikal-islamischen Bewegung der Taliban. 1997 überlebte er einen Mordanschlag, seitdem soll er ständig seinen Aufenthaltsort wechseln.
Bin Laden glaubt an die Errichtung einer islamischen Regierung, nicht nach dem Vorbild bestehender islamischer Regime wie im Iran, sondern an die Ersetzung aller Staaten und Nationen durch die Herrschaft eines Kalifen, der als direkter Nachfolger des Propheten Mohammed unanfechtbare Autorität genießt. Wahrscheinlich sieht er sich selbst in der Rolle des Kalifen.
Bin Ladens Vorstellungswelt teilt sich in ein Haus des Friedens, das aus einer Handvoll aufrechter Muslime besteht, zu denen derzeit auch die Taliban gehören, die Afghanistan beherrschen, und ein Haus des Krieges, in das alle anderen Herrscher des Mittleren Ostens (die er Apostata, Abtrünnige, nennt) sowie alle Westler gehören, deren Leben verwirkt ist, es sei denn, sie konvertieren. Von den Juden spricht er nicht in den Termini des Koran, sondern in denen des "Protokolls der Weisen von Zion", ein gespenstisches, jahrhundertealtes antisemitisches Pamphlet, das in der arabischen Welt immer noch recht weite Verbeitung findet.
Diese antike und gewalttätige Theologie, die sich auf die Denkweise der ersten Generation von Moslems im 7.Jahrhundert stützt, verbindet sich mit einer bislang beispiellosen Fähigkeit zur Propaganda und zum Aufbau einer dezentralen Geheimorganisation. Bin Ladens Appell an verzweifelte junge Männer im Mittleren Osten ist erfolgreich, weil er es versteht, all ihre legitimen Klagen aufzugreifen: gegen die wirtschaftliche Rückständigkeit der Region, die Leiden der Zivilbevölkerung unter den UN-Sanktionen im Irak, die Aktionen Israels. Er bündelt sie zur Gegnerschaft gegen die Supermacht am anderen Ende des Wohlstandsgefälles: die USA.
Aus der Feder Bin Ladens und anderer radikaler moslemischer Geistlicher stammt eine Fatwa vom 23.Februar 1998, ein Bannfluch gegen die USA. Darin heißt es, es sei "die individuelle Pflicht für jeden dazu fähigen Moslem … Amerikaner und ihre zivilen wie militärischen Verbündeten in jedem möglichen Land zu töten". Diese Pflicht ist solange bindend, bis die Heiligen Schreine des Islam, die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem und die Große Moschee in Mekka, befreit und die nichtmuslimischen "Heere aus den Ländern des Islam geschlagen und abgezogen" sind.

James Buchan, aus: The Observer, 16.9.2001.

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