Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 27.09.2001, Seite 15

‘Jetzt sagen se nich, et is schon wieder Montag‘

Der folgende Text des Kabarettisten Volker Pispers aus der WDR-2-Sendung "U-Punkt" zur Lage nach dem 11.9. wird deutlicher als manch "kritisches Statement" dieser Tage.

Seit letzten Dienstag wissen wir: Was Menschen anderen Menschen antun können übersteigt jede Vorstellungskraft. Selbst die Autoren der in unseren Breiten so beliebten Horror- und Infernofilme haben sich dieses Grauen nicht ausmalen können.
Und wie immer wenn das Unfassbare geschieht und das Entsetzen unerträglich groß ist, herrscht kein Mangel an großen Worten aus kleinen Hirnen. "Dieser Tag hat die Welt verändert"; "Nichts wird jemals wieder so sein, wie es war", "Ein Anschlag auf die Zivilisation".
Es sind dieselben Medien, die von BENZINKRIEG an den Tankstellen sprechen, wenn das Benzin 20 Pfennig teurer wird. Unter der Überschrift: "Die Terroristen verlassen Afghanistan" zeigt uns die Rheinische Post das riesige Bild eines bärtigen, waffentragenden Mannes in weißem Kaftan und Turban. Wie sich halt klein Chefredakteur den Terrorist so vorstellt. Das einzige was an dieser Art von Journalismus noch kritisch ist, ist sein Geisteszustand.
Am 11.9.2001 sind in NY und Washington bis zu 5000 Menschen einem abscheulichen Verbrechen zum Opfer gefallen. Am selben Tag sind wie an jedem Tag 50000 Menschen auf der Welt elendig verhungert. Nur das den übergewichtigen Mitgliedern der zivilisierten Welt diese Bilder nicht hundertmal am Tag auf allen Sendern um die Ohren gehauen werden.
Glauben unsere pathetischen Maulhelden denn wirklich, dass sich für die Millionen Menschen in den Flüchtlingslagern und Elendsvierteln die Welt verändert hat? Glaubt jemand, daß der Kaffebauer in Nikaragua, der beim derzeitigen Kaffeepreis nicht weiß, wie er seine Familie ernähren soll, durch den Terroranschlag in Amerika seine Freiheit und seinen Lebensstandard in Frage gestellt sieht?
Die Sicherheitskontrollen auf Flughäfen sind schlampig. Jeder mit etwas Kaltblütigkeit kann Waffen an Bord von Flugzeugen schmuggeln. Das weiß man seit Jahren. Und wen wundert‘s auch, wenn der Stundenlohn des Personals an den Sicherungsschleusen z.T. unter dem von Hilfskräften bei McDonald‘s liegt? Es geht nicht anders sagen die Fluggesellschaften, denn die Wall-Street-Analysten und Börsenmakler wollen Profit sehen und die Menschen der zivilisierten Welt haben ein angeborenes Recht auf billige Urlaubsflüge.
Und wie reagiert die sog. zivilisierte Welt auf den sinnlosen Terror? 90% der Amerikaner wollen sinnlose Rache, und Schröder sagt: Bush kann nicht anders und wir sind zu uneingeschränkter Solidarität verpflichtet. Lügen ohne rot zu werden, auch eine Errungenschaft der Zivilisation.
Natürlich könnte der sich gläubig nennende Christ George W. Bush anders. Er könnte die für den sinnlosen Militärschlag bewilligten Milliarden von Dollar, einfach in den Flüchtlingslagern der arabischen Welt verteilen lassen und so die Hintermänner der Terroristen derart beschämen, dass sie den Rückhalt im arabischen Lager verlieren. Man kann immer anders, aber dazu müsste man ein Mann sein und kein an die nächsten Wahlen denkender Politiker.
Christlicher Glaube hat mit Rache so wenig zu tun wie islamischer Glaube mit Terror, denn es heißt: "Die Rache ist mein, spricht der Herr"; aber da kannte er George W. Bush noch nicht.

Bis neulich
Volker Pispers

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