Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 27.09.2001, Seite 16

Gegen Schwarz-Weiß-Doktrin

Friedensbewegung will Terror Nährboden entziehen

Die traditionelle Orientierung der Friedensbewegung auf die Partei der Grünen scheint trotz deren Zustimmung zum NATO-Krieg auf dem Balkan vor zwei Jahren weitgehend ungebrochen. "Diese Abstimmung war eine herbe Enttäuschung für die Friedensbewegung", bedauerte das Kasseler Friedensforum die Bundestagsabstimmung für die Kriegsbeteiligung am 19.September. Das Forum, das am vorletzten Septemberwochenende eine bundesweite Aktionskonferenz der Friedensbewegung organisierte, beklagte, dass lediglich 40 der insgesamt 605 Bundestagsabgeordneten gegen eine militärische Beteiligung an den Kriegshandlungen der USA und der NATO stimmten, darunter alle Abgeordneten der PDS, vier Grüne und ein Sozialdemokrat.
Während sich überall im Land der Widerstand gegen den Kriegskurs der USA rege und keine Mehrheit in der Bevölkerung für militärische "Vergeltungsschläge" sichtbar sei, verhalte sich der Bundestag so, "als müsse er wieder einmal … gegen die Interessen des Volkes bestimmen", moniert das Kasseler Friedensforum.
Tatsächlich steht zumindest die Führungsriege der grünen Regierungspartei Gewehr bei Fuß und unterstützt vorbehaltlos den Kurs ihres Außenministers Joseph Fischer, der wie Bundeskanzler Gerhard Schröder den USA nach wie vor "uneingeschränkte Solidarität" zusichert. Kein böses Wort über die NATO ist bei den Grünen zu hören und sogar im Bundestag vermeiden die wenigen kritischen Abgeordneten das Wort "Militäraktionen".
Doch wieder einmal hat die Parteiführung die Rechnung ohne ihre Basis gemacht. Der größte Landesverband in Nordrhein-Westfalen bäumte sich am vorletzten Septemberwochenende auf und lehnte — wenn auch mit knapper Mehrheit — einen Einsatz der Bundeswehr gegen Terroristen ab. Auch ein Sonderparteitag in Rheinland-Pfalz stimmte gegen eine "rein militärische Lösung im Kampf gegen den Terror". Der Parteirat versucht sich im Spagat und verheddert sich in Widersprüche. "Angesichts der terroristischen Angriffe … können wir der Inanspruchnahme des Bündnisfalls nicht widersprechen", heißt es in einer Erklärung. Nur eine Zeile weiter Baldrian für die Basis: Die Annahme des Bündnisfalles bedeute noch keine Entscheidung für die Teilnahme an Militäraktionen der USA.
Auch für die PDS könnte die Stunde der Wahrheit schlagen, wenn die USA ihren angekündigten Militärschlag durchführen. Im ersten Augenblick standen sie zwar Schulter an Schulter mit der Bundesregierung und kannten ebenfalls nur noch "uneingeschränkte Solidarität". In den Tagen darauf ruderte die "Antikriegspartei" aber wieder zurück. In ihrem Entschließungsantrag zur Bundestagsdebatte erteilt die PDS der Anwendung des Artikels 5 des NATO-Vertrages eine klare Absage, "weil dies als politische und moralische Vorab-Zustimmung der NATO-Partner zu jeder, möglicherweise auch überzogenen Reaktion auf die Terroranschläge interpretiert werden kann".
Heftige Reaktionen löste das Votum für "begrenzte militärische Aktionen" von Gregor Gysi, Galionsfigur der PDS und Spitzenkandidat im Berliner Wahlkampf, aus. Viele Parteimitglieder sprechen vom "Verrat an den antimilitaristischen Grundsätzen" der Partei. Weil mit Parteiausschluss auf dem kommenden Parteitag Anfang Oktober trotzdem nicht zu rechnen ist, haben Mandatsträger wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Duisburger Stadtrat, Dimitri Tsalos, ihren Austritt aus der Partei erklärt. "Eine Partei, die solch einen Spitzenkandidaten hervorbringt und solch ein Verhalten billigt, ist nicht meine Partei … Der … bevorstehende Krieg wird nicht den Terrorismus ausmerzen, sondern … die Schwächsten der Schwachen treffen, Gysi weiß das", so Tsalos. Tatsächlich hatte Gysi selbst im Zusammenhang mit dem NATO-Krieg im Kosovo darauf hingewiesen, dass es kaum vermeidbar ist, dass militärische Aktionen zu unschuldigen Opfern führen.
Auch andere Mitglieder wie der Düsseldorfer PDS-Stadtrat Frank Laubenburg befürchten, dass sich trotz der demonstrativen Geschlossenheit der Bundestagsfraktion "in die parteiinterne Debatte immer mehr Töne einmischen, mit denen der gültige antimilitaristische Konsens der Partei durchbrochen wird". In der Innenpolitik wird ebenfalls mit Tabus gebrochen, wenn die Berliner PDS-Landesvorsitzende Petra Pau mit anderen Bundestagsparteien das sogenannte "Religionsprivileg" im Vereinsrecht streichen will, um damit besser gegen "fundamentalistisch-islamische" Vereinigungen in der Bundesrepublik vorgehen zu können. Doch damit würden Angehörige nichtchristlicher Religionen dem "Generalverdacht der Terrorismus-Unterstützung" ausgesetzt, kritisiert Laubenburg im Einklang mit der innenpolitischen Sprecherin der PDS im Bundestag, Ulla Jelpke.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will sich ebenfalls "gegen alle wenden, die ganze Völker und Religionen für die Terrorangriffe gegen die USA verantwortlich machen wollen". Der Gewerkschaftsdachverband befürchtet, das "Zusammenleben und Zusammenarbeiten deutscher und ausländischer Arbeitnehmer und Mitbürger" könne "aufs Spiel" gesetzt werden. Weiter gehen einzelne Landesverbände der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Die Anteilnahme von Gewerkschaftern am Tod so vieler Opfer verpflichte sie "nicht zur blinden Gefolgschaft einer Politik der Vergeltung, die den Frieden weltweit aufs Spiel setzt und weiteres sinnloses Sterben zur Folge haben wird", so der Landesbezirksvorstand Baden-Württemberg. "Wenn es dabei bleibt, dass die Parlamentsparteien, von der CSU bis zu den Grünen, sich nur noch darin unterscheiden, ob sie das Szenario der Vergeltung aktiv unterstützen oder es mit Fatalismus geschehen lassen wollen, wird den Gewerkschaften eine entscheidende Rolle in der außerparlamentarischen Opposition gegen eine militärische Eskalation zufallen", heißt es weiter in dem Papier der Gewerkschaftsspitze.
Die mit mehr als 150 Teilnehmenden aus fünfzig Städten gut besuchte Aktionskonferenz der Friedensbewegung hat deutlich signalisiert, dass sie mit anderen gesellschaftlichen Akteuren wie Kirchen und Gewerkschaften, aber auch der Bewegung der Globalisierungskritiker zusammenarbeiten will. Dem Terrorismus müsse der "Nährboden" entzogen werden, auf dem er gedeiht, so Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, nach der Aktionskonferenz. Dazu zählt er ganz wesentlich die wirtschaftliche und soziale Spaltung in Arm und Reich sowie die "politischen und kulturellen Asymmetrien in der globalisierten Ordnung". Für Strutynski eine wichtige Grundüberzeugung, um mit den neuen Gruppen der Globalisierungskritiker, wie z.B. dem Netzwerk ATTAC, ins Gespräch zu kommen. Er wandte sich vehement gegen die "neue Doktrin des US-Präsidenten Bush, wonach man entweder auf der Seite der USA oder an der Seite der Terroristen" stehe. In dieses "einfältige Schwarz-Weiß-Schema" lasse sich die Friedensbewegung nicht zwängen, so der Politikwissenschaftler. Wenn es der Menschheit nicht gelingt, die angekündigten Rachefeldzüge der USA zu verhindern oder zu stoppen, drohe das 21.Jahrhundert zu einer "Epoche des permanenten Kriegszustands" zu werden.
Auf die politischen Parteien in Deutschland setzen dabei nur wenige. Einige befürchten aber auch, der entscheidende Mobilisierungsfaktor werde erst die Betroffenheit und Angst vor einem Gegenschlag sein. Am Tag X, wie der Tag des geplanten NATO-Angriffs genannt wird, sind in allen Großstädten spontane Kundgebungen geplant. Dann wird sich zeigen, wie aktionsfähig die neue Friedensbewegung sein wird.

Gerhard Klas

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