Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 11.10.2001, Seite 4

Rasterfahndung und Bundeswehreinsatz

Wie die Außenpolitik im Innern abgesichert werden soll

Während sich die internationale Lage nach den Anschlägen auf New York und das Pentagon zuspitzt, sorgt der bundesdeutsche Staat im Innern dafür, dass die militärischen und außenpolitischen Optionen abgesichert werden. Seit dem 1.Oktober ist die Rasterfahndung bundesweit erlaubte Realität.
In erster Linie müssen sich die demokratischen und linken Kräfte in Deutschland auf eine deutliche Rechtsentwicklung, aber auch Verschärfung der Überwachung durch staatliche Organe einstellen. Die Ansicht des italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi, dass die Demonstranten von Genua und die Angreifer von New York in eine Schublade gehören, ist ja nicht seine persönliche Marotte, sondern unausgesprochener Konsens vieler bürgerlicher Politiker — die polizeilichen Maßnahmen zeigen das deutlich.
Mit neuen Richtlinien und Kriterien wird die Rasterfahndung weiter ausgebaut, die es in einigen Bundesländern schon seit Jahren gibt. Während der Zeit der Verfolgung der RAF wurde die Rasterfahndung eingeführt. Sie war erst möglich geworden mit der maschinellen Verarbeitung einer sehr großen Zahl von Daten.
Ein damaliger Fahnder schildert, dass damals vor allem solche Gesichtspunkte wie Barzahlung von Miete und Strom, geringer Stromverbrauch und andere Daten von Einwohnermeldeämtern, Versorgungsunternehmen und Kontenführungen abgeglichen wurden mit der gesamten Bevölkerung. Jetzt wird die Rasterfahndung ausgeweitet. Es werden zum großen Teil geheim gehaltene Kriterien angelegt, die aus den Erkenntnissen der Geheimdienste, insbesondere der Arbeit des FBI im Ausland, herrühren.
Tatsächlich ist schon die Arbeit von FBI-Leuten in Hamburg und anderswo eine unzulässige Polizeitätigkeit, die keinerlei Hoheitsgesichtspunkte mehr berücksichtigt. (Ganz abgesehen von den sonstigen Spionagearbeiten des CIA und der Militärs.) Hier greift man sich die drei Studenten heraus, deren Namen auf den Passagierlisten stehen, und die vor über einem Jahr Hamburg verlassen haben. Aus ihrem Verhalten und ihrer Beschäftigung, Kontoführung usw. schließt man auf Kriterien, die nun als Raster über alle erreichbaren Bevölkerungsdaten gelegt werden. Der Zugriff auf Daten der Zuwanderungs-, Asylbewerber- und Ausländerbehörden ist sowieso kein wirkliches Problem für die Polizei und Geheimdienste und soll im Zuge der Verschärfung der Gesetze auch kein — wenn auch noch so begrenztes — rechtliches Problem mehr bleiben.

"Unauffälligkeit"

Dies führt dazu, dass sämtliche ausländischen Organisationen, ob kurdische, palästinensische, iranische oder andere, die dem islamischen Raum zugehörig gerechnet werden, sowie ihre Mitglieder in Generalverdacht geraten.
Das besonders interessante Kriterium für die Behörden ist die sog. "Unauffälligkeit" der als Attentäter verdächtigten Personen — obwohl bereits bekannt wurde, dass nur einer der insgesamt 19 vermutlichen Attentäter des 11.September das war, was man einen "Schläfer" nennt. Sie haben sich offensichtlich nicht politisch betätigt und werden deshalb als "Schläfer" gekennzeichnet. Dieses Kriterium klingt, als ob die politischen Organisationen und ihre Mitglieder damit entlastet würden, in Wirklichkeit öffnet es gerade einem generellen Verdacht Tür und Tor.
Die Bevölkerung wird aufgerufen, mit Beobachtungen zur Fahndung nach "Schläfern" beizutragen. Es werden solche Bedingungen wie abendliche Besuche, Parken außerhalb der Sichtweite und Abwesenheit über einige Zeit genannt.
Es werden ebenfalls Studentenwohnheime und -organisationen durchleuchtet. Unter der Voraussetzung, dass sich die möglichen Attentäter eher unauffällig in Deutschland verhalten haben sollen, ist sehr unklar, wie man die Rasterfahndung ernsthaft begründen will — außer dass sie sowieso angewandt wird, um alle möglichen Verbindungen, politischen Verhältnisse und tatsächlichen Organisationen zu durchleuchten, die in irgendeinem missliebigen Zusammenhang gesehen werden.
Dabei ist klar, dass es bei allen Behauptungen, das bezöge sich nur auf die Aufklärung der Angriffe auf die US- Einrichtungen und weitere geplante Attentate, insbesondere um den Abgleich und die Sammlung von Erkenntnissen über alle Ausländer (insbesondere muslimischer Anschauung) geht, und dass die Daten weder demokratisch kontrolliert, noch irgendwie nach Abschluss vernichtet, noch sonst öffentlich kontrollierbar verarbeitet werden.
Selbst kritische Demokraten sagen, dass die Reaktionen auf die Zerstörung des World Trade Center und der vielen dort beschäftigten Menschen als Vorwand genommen wird, die innere Sicherheit als unzureichend darzustellen und damit im reaktionären Sinn zu verschärfen.
Die Forderung nach Einsatz der Bundeswehr im Innern wurde eine Zeit lang von der CDU erhoben. Insbesondere beim Schutz von militärischen Einrichtungen ist die Bundeswehr sowieso schon im Innern "einsetzbar". Die Ausweitung der NATO-Doktrin auf den Einsatz weltweit und die Notstandsgesetze haben in erheblichem Maße den Bundeswehreinsatz erweitert. Wenn jetzt behauptet wird, der Bundesgrenzschutz und die Polizei seien allein nicht in der Lage, die Sicherheit im Innern zu gewährleisten, wurde das von Fachleuten bereits zurückgewiesen. Auch verschiedene politische Kräfte verweisen darauf, dass dazu die Änderung der Verfassung und damit die Rückkehr zu kaiserlichen und obrigkeitsstaatlichen Zeiten verlangt würde.
Die Bewegung der 60er Jahre gegen die Notstandsgesetze richtete sich u.a. gegen die Möglichkeit, gegen streikende Bedienstete und zur Aufrechterhaltung von Versorgungseinrichtungen Bundeswehr einsetzen zu können. Die Erklärung des Bündnisfalls der NATO würde damit automatisch eine weitreichende Vollmacht in Gang setzen, die es der USA auch in der BRD ermöglichen würde, für ihre außenpolitischen Ziele autoritäre Herrschaftsformen zu etablieren und dem Militär eine Macht übertragen würde, von der die Bevölkerung aus der Geschichte genügend Negatives wissen müsste.
Die CDU scheint in diesem Punkt zurück zu rudern, aber es steht zu befürchten, dass bei einer Verschärfung der Lage diese Forderung wieder aus der Schublade geholt wird.

Der "Schill-Faktor"

Dabei spielt auch das Ergebnis der Hamburger Senatswahl eine Rolle. Schon haben Umfragen gezeigt, dass auch in NRW rund 20% der Wahlberechtigten die "Schill- Partei" wählen würden. Die rechte Szene zeigt sich in den letzten Wochen nicht nur in offener Bedrohung von Muslimen, sondern auch an der Wahlurne, sobald die Möglichkeit besteht.
C@FT:DU, FDP, aber auch Teile der SPD buhlen um diese Wähler, weil sie sich jetzt vom Thema "Sicherheit" etwas versprechen. Die Beachtung und die Arbeit gegen diese innenpolitische Entwicklung wird unter diesen Umständen ebenso wichtig wie die Bewegung gegen die kriegerische Antwort der USA auf die Attentate. Es zeigt sich, dass reaktionäre Kräfte die Attentate ausnutzen wollen, sowieso beabsichtigte Polizei- und Geheimdienstpläne zu verwirklichen.
Deswegen geht es darum, sich gegen ausländerfeindliche Angriffe und Überwachung zu wehren. Darum, die wenn auch wenigen gemeinsamen zivilen Traditionen und Kulturen, die es seit Jahren in Deutschland zwischen Menschen verschiedenen Glaubens und Weltanschauung gibt, zu verteidigen, auszubauen und besonders ausländische Bewohner zu schützen.
Ebenso geht es darum, Soldaten zu helfen, die den Kriegsdienst verweigern oder Fahnenflucht machen. Die praktischen Aktivitäten der (oder einer neuen) Friedensbewegung, der Globalisierungsgegner und der antirassistisch tätigen Menschen werden erneut gebraucht. Dass ihre Vorstellungen und Ziele von den Attentaten nicht ernsthaft beeinträchtigt werden dürfen, wird immer klarer.

Rolf Euler

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