Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 11.10.2001, Seite 10

Stimmen aus der Linken international

Was auch immer die tiefgreifenden Gründe, die wirtschaftlichen und politischen Folgen und die Hauptschuldigen seien, die diese auf der Welt entstehen ließen, so könnte doch niemand bestreiten, dass der Terrorismus heutzutage ein gefährliches Phänomen darstellt, das aus ethischer Hinsicht nicht zu rechtfertigen ist und ausgemerzt werden muss.
Verständlich ist die beim US-amerikanischen Volk verursachte einhellige Irritation wegen des menschlichen und psychologischen Schadens durch den überraschenden und unglaublichen Tod Tausender unschuldiger Bürger, deren Bilder die Welt erzittern ließen. Wem nützt dies? Der extremen Rechten, den rückschrittlichsten und rechtsextremsten Kräften und denjenigen, die dafür sind, die anwachsende weltweite Rebellion zu zerstören und all das zu vernichten, was an Fortschrittlichem auf der Erde verbleibt. Es war ein enormer Fehler, eine kolossale Ungerechtigkeit und ein großes Verbrechen, wer auch immer die Organisatoren und Verantwortlichen für eine solche Aktion waren.
Aber im Namen der Gerechtigkeit und unter dem einzigartigen und seltsamen Titel "Grenzenlose Gerechtigkeit" kann nicht auf ungerechtfertigte Weise ein Krieg begonnen werden, der in der Realität zu einem grenzenlosen Massaker an ebenfalls unschuldigen Menschen werden könnte.
Die Grundlagen, die Konzeption, die wahrhaften Absichten, der Gemütszustand und die Bedingungen für einen solchen Krieg sind in den letzten Tagen überstürzt geschaffen worden. Niemand könnte behaupten, dass dies nicht etwas sei, das bereits seit einiger Zeit ausgedacht ist und nur auf eine Gelegenheit wartete. Diejenigen, die nach dem sog. Ende des Kalten Krieges damit fortfuhren, sich bis zu den Zähnen zu bewaffnen und die modernsten Mittel zu entwickeln, um Menschen zu töten und auszulöschen, waren sich dessen bewusst, dass die Investition von sagenhaften Summen für Militärausgaben ihnen das Privileg verschaffen würde, eine vollständige und totale Herrschaft über die anderen Völker der Erde aufzuzwingen. Die Ideologen des imperialistischen Systems wussten sehr gut, was sie taten und wofür sie es taten. [...]
Wir alle haben den Befehl erhalten, uns entweder mit den USA oder mit dem Terrorismus zu verbünden. Kuba proklamiert, dass es sowohl gegen den Terrorismus als auch gegen den Krieg ist, und zwar mit der Moral, die ihm verliehen wird, weil es das Land ist, das die längste Zeit über den meisten terroristischen Attacken ausgesetzt war und weil sein Volk vor niemandem zittert, noch gibt es eine Bedrohung oder eine Macht auf der Welt, die fähig wäre, das kubanische Volk einzuschüchtern. Auch wenn die Möglichkeiten bereits gering sind, bekräftigt Kuba die Notwendigkeit, einen Krieg mit unvorhersehbaren Folgen zu verhindern, dessen Autoren eingestanden haben, dass sie nicht einmal eine Ahnung davon haben, wie die Ereignisse verlaufen werden. Kuba wiederholt gleichermaßen seine Bereitschaft, mit allen anderen Ländern bei der vollständigen Beseitigung des Terrorismus zusammenzuarbeiten. [...]

Fidel Castro

Präsident der Republik Kuba, bei einer Rede in der Provinz Havanna am 22.9.2001 (Auszüge)

Seit dem Golfkrieg gründete die US-amerikanische Aussenpolitik auf einen einzigen brutalen Fiktion: dass das US-Militär überall auf der Welt in Konflikte intervenieren kann — im Irak, in Kosovo, Israel — ohne jegliche US-Opfer zu erleiden. Dies ist ein Land, das an das ultimative Oxymoron glaubt: den sicheren Krieg.
Die Logik des sicheren Krieges basiert natürlich auf der technologischen Möglichkeit, einen Krieg ausschließlich aus der Luft zu führen. Sie verlässt sich jedoch auch auf die tiefe Überzeugung, dass es niemand wagen werde, sich mit den USA — der einzig verbliebenen Supermacht — auf deren eigenem Boden zu messen. [...]
Die USA sind Experten geworden, kriegerische Akte keimfrei zu machen und zu ent-humanisieren. Krieg ist daheim nicht länger eine nationale Obsession, es ist ein Geschäft, das weitestgehend ausgelagert und den Experten überantwortet wurde. Dies ist eines der vielen Paradoxien des Landes: trotz der weltweiten Globalisierungsmaschiene war die Nation niemals so nach innen schauend, so wenig weltlich. Kein Wunder, dass der Angriff vom Dienstag [den 11.9.] nicht nur jenseits jeder Beschreibung gruselt, sondern vielen Amerikaner den Horror hinzugefügt hat, er sei scheinbar ganz aus heiterem Himmel gekommen. Kriege kommen selten als völliger Schock über das angegriffene Land, doch ist das in diesem Falle treffend. Auf CNN wurde der Reporter Mike Walter (von USA Today) nach den Reaktionen auf der Straße gefragt. Was er sagte war: "Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott, ich kann es einfach nicht glauben. Die Idee, man könne gegen solchen inhumanen Terror geschützt sein, ist absurd." [...]
Die Ära des Videospiel-Kriegs, in dem die USA allzeit die Kontrolle ausübten, hat in vielen Teilen der Welt eine blinde Wut erzeugt, eine Wut in beharrlicher Asymetrie des Leidens. Dies ist der Kontext, in dem verdrehte Rache Suchende keine anderen Ziele haben, als dass amerikanische Bürger ihre Leiden teilen. [...]

Naomi Klein

Aktivistin der Antiglobalisierungsbewegung und Autorin der auch auf deutsch erschienenen Streitschrift "No Logo" in der US-amerikanischen Zeitschrift In these Times (Auszüge)

Nicht die Satanischen Verse, der islamische Fundamentalismus stellt eine blasphemische Version des Korans dar. Die meisten Ideologien funktionieren jedoch durch eine Unterscheidung zwischen dem, was man tut, und dem, was man sagt, dass man es tut, und zwar in der Weise, dass das eine dem anderen nicht in peinlicher Weise in die Quere kommt. Es gibt somit keinen bewussten Widerspruch zwischen dem Glauben an Allah, dem Gott der Gerechtigkeit und Gnade, und dem Mord an unschuldigen amerikanischen Bürgern oder der Ablehnung der Aussage einer vergewaltigten Frau als per se rechtsungültig. In ähnlicher Weise liegt keine bewusste Heuchelei vor, wenn man sich als größte Bastion der Freiheit wähnt und gleichzeitig Kambodschaner massakriert, terroristische Banden wie die Contras finanziert, gegen irakische Kinder ein tödliches Embargo verhängt und faktisch ein Staat mit einer Einheitspartei ist, denn Glaube und Taten gehören zu miteinander unvereinbaren Reichen. Phrasen à la "Friedliebende Völker" können durch so unrühmliche weltliche Dinge wie Tatsachen nicht entkräftet werden. […]
Amerikas einzige Hoffnung besteht darin, sich in den Augen anderer zu sehen, aber die Globalisierung, die bedeutet, dass sich eine der am meisten von einer furchtsamen Engstirnigkeit geprägten Nationen jetzt auf jeden Winkel des Erdballs ausdehnt, zerbricht die Spiegel, in denen sie ihr eigenes fremdgewordenes Antlitz betrachten könnte. In dem Maße, in dem der Globus zu einem einzigen Raum verflacht wird, wird er mit demselben Hieb radikal mittendurch geschnitten. Zivilisiertheit steht jetzt gegen Barbarei, d.h. unter anderem, dass die fundamentalistischen Fanatiker von Montana gegen die Weiheit von Künstlern wie Naguib Mahfouz oder Abd al- hakim Qasim ins Feld geführt werden.
Im Konflikt zwischen dem Kapitalismus und dem Koran, oder einer Version davon, steht eine transnationale Bewegung gegen eine andere. Für den Augenblick, in ihrem grausamen Leiden, haben die USA den moralischen Vorteil über ihre gleichermaßen grenzenlosen Feinde. Doch kein Zweifel, in kurzer Zeit werden sie auch dies verschwendet haben.

Terry Eagleton

Britischer Kultur- und Literaturtheoretiker in London Review of Books (Auszüge)

Historische Ereignisse sind nicht punktartig, sondern dehnen sich aus in ein Vorher und Nachher, das nur stückweise zum Vorschein kommt. Es muss natürlich aufgezeigt werden, dass es die Amerikaner während des Kalten Krieges geschaffen haben (speziell während des sowjetischen Kriegs in Afghanistan), und dass dies ein Lehrbuchbeispiel einer dialektischen Umdrehung ist. Doch die Saat des Ereignisses liegt noch tiefer. Sie findet sich in den umfassenden Massakern an der Linken, die systematisch betrieben und gelenkt wurden von den Amerikanern in früheren Zeiten. Die physische Ausrottung der irakischen und der indonesischen Kommunistischen Parteien, mittlerweile historisch verdrängt und vergessen, waren so abscheuliche Verbrechen wie jeder zeitgenössische Genozid. Erst heute verwirklichen sich deren Resultate in der Abwesenheit jeder linken Alternative, was bedeutet, dass Volksrevolten und Widerstand in der Dritten Welt keine anderen Formen finden als die religiösen und "fundamentalistischen".

Fredric Jameson

US-amerikanischer Kultur- und Literaturtheoretiker in London Review of Books (Auszüge)

Was ermutigend ist, ist das langsame Wachstum der Dissidenz, Erklärungen für friedliche Lösungen und Aktionen, eine langsam um sich greifende, wenn auch ungleichmäßige und zurückhaltende Nachfrage nach Alternativen zu weiteren Bomben und Zerstörung. Wenn nur mehr Amerikaner verstünden, dass die langfristige Hoffnung für ihr Land diese Bewusstseinsgemeinschaft ist und das Verständnis, dass "wir", sei es im Schutz konstitutioneller Rechte, im Ausstrecken der Hand für die unschuldigen Opfer amerikanischer Macht (wie im Irak) oder im Angewiesensein auf Verstehen und rationaler Analyse, einiges besser machen können als wir bisher getan haben. Dies würde nicht direkt zu einer veränderten Politik gegenüber Palästina oder einem weniger verrückten Verteidigungshaushalt oder einem aufgeklärteren Umgang mit der Natur führen: aber welche andere ernsthafte Option gibt es, als diese Form behutsamen Umdenkens?

Edward Said

Professor für vergleichende Literatur an der Columbia University in New York, in London Review of Books (Auszüge)

Um eine gewaltlose Opposition gegen den Krieg zu bilden müssen wir uns vor allem eine offensichtliche aber abrupt vergessene Unterscheidung vergegenwärtigen, die Unterscheidung zwischen dem US-amerikanischen Volk und der US-Regierung. Es gibt bereits des Gefühl, dass Aktivisten Kritik an der Politik der US- Regierung zurück halten [...]. Aber die Politik der US-amerikanischen Regierung zu kritisieren impliziert keineswegs, dass wir keine Solidarität mit dem amerikanischen Volk empfinden und ihren Schmerz nicht teilen. Wir fühlen mit unserem ganzen Herzen, unserer ganzen Sympathie und Empathie mit den Freunden und Angehörigen der Toten, und erinnern uns — ohne es gegeneinander zu stellen — der Tausenden getöteten Menschen, getötet von amerikanischen Bomben im Irak und gestorben überall im Süden als Resultat der ökonomischen US-Politik. Das steht nicht im Widerspruch zur Opposition gegen, bspw., die Finanzierung und Bewaffnung an das die palästinensische Bevölkerung terrorisierende Israels Sharons, die gefährliche durch das nationale Raketenabwehrprogramm hervorgerufene atomare Eskalation oder die durch das deregulierte globale ökonomische System verursachte Verarmung, dessen Stütze die USA sind. [...]
Eine globale Supermacht, die sich selbst nicht hinterfragen kann und sich über dem internationalen Recht sieht, ist eine Gefahr für uns alle, Christ, Moslem oder säkular. Weltweit stellen Menschen Fragen über die gegenwärtige Weltordnung, oder -unordnung. Zurzeit lässt die ganze Ungeheuerlichkeit und Globalität dessen, was passiert ist, unsere eigenen Anstrengungen mickrig erscheinen. Doch jeder Versuch, die Samen für eine gerechte und demokratische Gesellschaft zu säen, bekommt nun eine neue Dringlichkeit.
Alle, die vor Ort versuchen, Alternativen zu entwickeln, bekommen nun die dringende Pflicht sich international mit Gleichgesinnten zu verbünden, vor allem mit den USA und dem Mittleren Osten: Krankenschwester mit Krankenschwester, Basisaktivisten mit Basisaktivisten, Künstler mit Künstler. Was wir herausbilden müssen sind aktive Gleichgesinntengruppen vor Ort, mit angeschlossenen Gewerkschaftern und verwandten Geistern, die uns die Zuversicht geben, neue Wege und Möglichkeiten direkten Menschenkontakts über nationale und ethnische Grenzen hinweg zu öffnen. Ein bescheidenes Beispiel sind die Women in Black, die für den Friedensnobelpreis nominiert sind. Das ist ein internationales Netzwerk von Frauen, die seit ihrer Gründung 1986 in Israel im Auge jedes Sturmes gewesen sind, von Bosnien bis Palästina. Dort protestierten sie lautlos oder in gewaltloser Aktion als Frauen beider Seiten des ethnischen Grabens gegen Krieg und Militarismus. Sie haben uns ein Beispiel gesetzt.

Hilary Wainwright

Herausgeberin der Londoner Monatszeitschrift Red Pepper in derselben (Auszüge)



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