Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.21 vom 11.10.2001, Seite 14

Neuformierung der Linken am Beispiel Italien

Veranstaltung mit Livio Maitan

Am 25.9. lud die internationale sozialistische linke (isl) zu einer Veranstaltung mit Livio Maitan (geb.1923), der zugleich seit Jahrzehnten führendes Mitglieder IV.Internationale und seit Jahren Vorstandsmitglied der Partei der kommunistischen Neugründung (Partito della Rifondazione Comunista) Italiens ist.
Zwanzig Interessierte kamen und hörten zunächst eine kurze Darstellung zur Gründung der isl, zu ihren politischen Grundüberzeugungen und zu ihrer Arbeit in Köln. Livio Maitan sprach nur kurz über die IV.Internationale und ihre in manchen Ländern bedeutende Rolle in den neuen internationalen kapitalismuskritischen Bewegungen und konzentrierte sich dann auf die italienische Erfahrung.
Der welthistorische Einschnitt von 1989/90 hatte in Italien weniger negative Auswirkungen als in vielen anderen Ländern. Dies kam u.a. darin zum Ausdruck, dass sich ein Teil der Kommunistischen Partei dieses Landes nach links abspaltete, während der Zersetzungsprozess der poststalinistischen offiziellen Kommunistischen Parteien in anderen Ländern in der Regel zu Entwicklungen und Abspaltungen nach rechts geführt hatte. Die PRC hat durchaus Masseneinfluss, ist mobilisierungsfähig und auch wahlpolitisch nicht unbedeutend (Wählerschaft um die 5%).
Sehr positiv war die Wende, die die PRC 1998 unternahm, als sie der "Olivenbaum"-Regierung Prodi die Tolerierung aufkündigte. Die Bilanz der Tolerierungspolitik (man konnte sie immerhin verstehen: es drohte sonst eine Berlusconi-Regierung…) war für die große Mehrheit der Mitglieder negativ, weil sie die Partei in die Mitverantwortung für unsoziale Entscheidungen im Interesse des Kapitals einband, deren Bekämpfung einen wichtigen Teil ihrer politischen Identität ausmacht.
Geändert wurde nicht nur die konkrete Taktik, sondern auch die strategische Opion: Die PRC definierte sich von da an als "Oppositionspartei", oder, wie das Schlagwort in Italien lautet, als Teil der "antagonistischen" Linken.
Die Mitglieder der IV.Internationale waren von Anfang an bei der PRC dabei (zuvor in Democrazia Proletaria, einer radikal linken Organisation, die auch über einige wenige Parlamentsabgeordnete verfügte — die DP trat sofort in die neu gegründete PRC ein). Nach der genannten Wende waren sie nicht mehr Teil einer Minderheit, die gegen die Tolerierungspolitik kämpfte, sondern konnte zum linken Flügel der neuen Parteimehrheit werden.
Dieser Vorgang zeigt einiges Neue: Der vorurteilslose Umgang der Bertinotti-Führung mit den um die Zeitung Bandiera Rossa gruppierten Genossinnen und Genossen der IV.Internationale stellt einen konsequenten Bruch mit dem früheren Antitrotzkismus dar. Und die flexible politische Handlungsweise der Aktiven um Bandiera Rossa, die den politischen Meinungskampf konsequent führen, wenn wirklich etwas auf dem Spiel steht und dies von allgemeiner Propganada und marxistischer Bildungsarbeit zu unterscheiden wissen, ist Ausdruck von einer klaren Absage an jegliches Sektierertum.
Die PRC zeigt auch in ihrer internationalen Politik, dass sie links vom üblichen poststalinistischen Reformismus steht. So ist sie neben der brasilianischen PT (Arbeiterpartei) die einzige Partei, die die Sozialcharta von Porto Alegre unterschrieben hat. Und sie fördert auch die Zusammenarbeit mit den französischen trotzkistischen Organisationen LCR (französische Sektion der IV.Internationale) und Lutte Ouvrière, die im Europaparlament sitzen. Bertinotti hat kein Problem, mit Alain Krivine zusammen auf öffentlichen Veranstaltungen in Italien aufzutreten.
Livio Maitan sprach viel über die Auswirkungen der schrecklichen Anschläge des 11.September. Dass wir seither in einer "anderen Welt" leben sei natürlich Unsinn (eher wurde grell beleuchtet, in was für einer Welt wir leben). Doch die Weltlage hat sich ohne Zweifel geändert. Die aufsteigenden Linie des internationalen Emanzipationskampfs und Protests ist erstmal gebrochen — diese aufsteigende Linie war in Italien nach Genua besonders deutlich u.a. durch den massenhaften Zulauf zum Genoa Social Forum im ganzen Land.
Ein Symptom der geänderten Lage ist, dass die Financial Times (das seriöse Sprachrohr des Großkapitals) eine geplante Artikelserie über die "Globalisierungsgegner" abrupt absetzte. In den USA kündigte der Gewerkschaftsdachverband AFL/CIO die Aktionseinheit auf, die so symbolträchtig und wirksam in Seattle aus der Taufe gehoben worden war.
Doch ist noch unklar, ob die Bewegung dieses Tief rasch wieder überwinden kann. Die PRC hat Massenproteste gegen den anlaufenden "Feldzug" von USA und NATO angekündigt. Jetzt, so sagte Livio, muss der breiteste Nenner "Gegen den Krieg!" im Vordergrund stehen. Zugleich komme es aber darauf an, gerade auch angesichts der anlaufenden weltweiten Rezession und zu erwartenden nochmals verschärften Kapitaloffensive, dies mit den sozialen Problemen in den konkreten Aktionen der Bewegung zu verbinden — denn objektiv gibt es diesen Zusammenhang.
Die Anwesenden stellten Livio noch Fragen zu Italien, zur internationalen Politik wie auch zur Positionsbildung in der IV.Internationale. Es wurden zahlreiche Themen gestreift, die bei verschiedenen Gelegenheiten in den Spalten dieser Zeitung auftauchen werden. Angemerkt sei noch, dass die kleine, aber enthusiastische Versammlung 510 Mark (!) zur Finanzierung der Flugkosten Livios einbrachte, der zwischen zwei Veranstaltungen in Italien per teurem Linienflug nach Köln hatte jetten müssen.

Manuel Kellner

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