Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 25.10.2001, Seite 9

Die Triebfeder des Krieges

"Öl ist die versteckte Triebfeder dieses Krieges", erklärt der Energieexperte und Politologe der University of Florida, Tony Rosenbaum. Die gesamte US- Ölindustrie fürchtet um ein Milliardengeschäft, in dessen Zentrum Afghanistan liegt. Zwar hat das Land selbst kaum nennenswerte Ölvorräte zu bieten, doch es liegt mitten in der "heißesten Wachstumszone", so ein Sprecher von Chevron. Chevron und Texaco, zwei Branchenriesen, haben Anfang Oktober vereinbart zu fusionieren; damit entsteht der zweitgrößte US-Petrokonzern hinter Exxon Mobil.
Ihr ausdrückliches Ziel ist es, die Nummer 1 zu werden. Das will der neue Konzern u.a. mit verstärktem Engagement in Zentralasien erreichen. Chevron hat seit Jahren Milliarden in der ehemaligen Sowjetrepublik Kasachstan investiert. Nun plant der Konzern den Bau verschiedener neuer Pipelines über den Kontinent, etwa die 1700 Kilometer lange Central Asian Oil Pipeline. Deren kürzeste Route verläuft durch Afghanistan.
Die Landkarte der Energie soll neu gezeichnet werden. In ihrem Zentrum finden sich jetzt die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres: Kasachstan, Aserbaidschan, Usbekistan. Eines der größten Ölfelder der Welt, das Tengiz-Becken mit schätzungsweise 9 Milliarden Barrel, liegt in Kasachstan. Chevron hat sich hier in einem 20-Milliarden-Dollar-Joint-Venture namens Tengiz-Chevroil auf 40 Jahre an die staatliche Ölgesellschaft in Astana gebunden. Ein strategisches Ziel der Kontrolle dieser Ölregion ist die Abnabelung der US-Ölkonzerne von der Marktmacht der OPEC.

US-Konzerne und Bürgerkrieg in Afghanistan

Nach dem sowjetischen Truppenabzug aus Afghanistan 1988/89 und dem endgültigen Sieg der Islamisten 1992 begann eine Bürgerkrieg der Islamisten untereinander. Die US- Ölkonzerne, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der kaspisch-zentralsiatischen Region das neue große Geschäft witterten, waren mit dieser Situation unzufrieden. Russland kontrollierte weiter 70% der Pipelinekapazitäten aus der kaspischen Region; die US-Firmen aber trachteten danach, eine von Russland, aber auch vom Iran und China unabhängige Option aufzubauen. Der Weg über das US-hörige Pakistan war ideal, doch brauchte man dazu auch ein prowestliches und stabilisiertes Afghanistan. Die Generäle Dostum und Massud, die aus ethnischen Minderheiten stammten (Usbeke bzw. Tadschike), kamen als einigende Kraft nicht in Frage; so setzte die Regierung Clinton schließlich auf die an pakistanischen Koranschulen ausgebildeten und überwiegend der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit entstammenden Taliban, die 1996 an die Macht kamen.
1995 vereinbarten der US-Ölkonzern Unocal, der bereits über Lizenzen in der kaspischen Region verfügte, die CIA und die Taliban, nach deren Sieg im Bürgerkrieg eine Pipeline über Afghanistan nach Pakistan zu bauen. Die US-Konzerne hofften auf ein neues Saudi-Arabien: reich an Erdöl, islamistisch, 100% prowestlich. Doch das gewünschte Ergebnis blieb aus: der Bürgerkrieg fand kein Ende, Stabilisierung trat nicht ein, die Taliban erwiesen sich nicht als verlässliche Handlanger. Sie konzentrierten sich mehr auf ihre ideologisch-religiösen Konzeptionen als auf die ökonomischen Interessen ihrer Geldgeber. Trotzdem erhielten die Taliban noch in diesem Frühjahr 43 Millionen Dollar "für die Drogenbekämpfung". Insgesamt bekamen sie 450 Millionen Dollar US-Hilfe.

Cheneys Energiebericht

Im Sommer dieses Jahres legte Vizepräsident Dick Cheney einen "Energiebericht" vor, in dem die zentralsiatischen Bodenschätze als US-Nachschubquelle eine zentrale Rolle spielen. Der Form nach war der Bericht eine Antwort auf die Energiekrise in Kalifornien: "Amerika steht im Jahr 2001 vor der ernstesten Energieknappheit seit den Ölembargos in den 70er Jahren", beginnt der Bericht. Das stellt sich jetzt wohl als grobe Täuschung der Öffentlichkeit heraus. Es mehren sich die Berichte, diese Krise und die damit verbundenen Stromausfälle seien zum großen Teil inszeniert gewesen. Generatoren wurden "zur Wartung" abgeschaltet, und ein Beschäftigter hat gegenüber dem Senat von Kalifornien ausgesagt, sein Betrieb habe von der Geschäftsleitung Anweisung bekommen, sich aus- und einzuschalten "wie ein Jo-Jo". Und Cheney selbst kommt in seinem Energiebericht nicht umhin festzustellen, dass die USA heute nur noch 5% des verfügbaren Einkommens für Energie ausgeben, gegenüber 8% in den frühen 80er Jahren.
Es ist eher dieser Rückgang, der den Konzernen Sorgen macht. Schließlich wollen diese Öl verkaufen. Im Mittelpunkt von Cheneys Bericht steht deshalb auch die Forderung, das Angebot an fossilen oder atomaren Energieträgern müsse maximal gesteigert werden. Im Jahr 2000 haben die USA 19,5 Millionen Barrel Öl pro Tag verbraucht; diese Zahl soll bis zum Jahr 2020 auf 25,8 Millionen gesteigert werden.
Mit 4% der Weltbevölkerung verbrauchen die USA ein Viertel der weltweiten Energieproduktion. Dieses enorme Missverhältnis ist vielfach beobachtet und verurteilt worden. Es wirft ein doppeltes, ökologisches und ökonomisches Dilemma auf. Denn was ökologisch sinnvoll ist, erweist sich als ein Todesurteil für die private Kapitalakkumulation, und dies umso mehr, je bedeutender der Wirtschaftsraum ist. Die US-Ökonomie ist Gefangene ihrer eigenen Größe. Die Abhängigkeit vom Öl ist die treibende Kraft hinter dem Hegemonieanspruch der USA. Der Zwang, sich den Großteil der Ressourcen der Erde zu unterwerfen, diktiert ihr Streben zu einer imperialen und militärischen Supermacht.
Selbst bei maximaler Steigerung der einheimischen Energieproduktion, so der Cheney-Bericht, würden die USA bis zum Jahr 2020 nicht mehr als 9 Millionen Barrel pro Tag produzieren. Der Rest muss aus dem Ausland gedeckt werden. Die Auslandsproduktion soll um 61% gesteigert werden. Das ist eine Formel für "gesteigerte Intervention", wie der bereits zitierte Autor der Foreign Affairs, Michael Klare, es genannt hat. Folgerichtig spricht der Bericht davon, Druck auf ausländische Regierungen auszuüben, dass sie ihren Energiesektor für US-Firmen öffnen, und den Investitionen "Sicherheit und Stabilität" zu garantieren. Bei der "Energiekrise" steht die "nationale Sicherheit" auf dem Spiel.
Die Abhängigkeit der Regierung von den Ölkonzernen, der Druck der Konzerne auf eine Steigerung der Ölproduktion um 25%, Unilaterialismus in der Außenpolitik und erhöhten Druck für militärische Intervention überall dort, wo Ölinteressen auf dem Spiel stehen — das ist das Grundmuster der derzeitigen US-Politik, und es ist der wahre Hintergrund für den Krieg gegen Afghanistan.

Wirtschaftliche Kriegsziele

Die wirtschaftlichen Kriegsziele finden einen recht getreuen Niederschlag in dem Sitzungsprotokoll von einer Anhörung des Unterausschusses Asien und Pazifik des Auswärtigen Ausschusses des US-Repräsentantenhauses. Darin heißt es:
"Heute prüft der Unterausschuss die Interessen eines neuen Mitspielers in diesem neuen großen Spiel, die USA. Die fünf Länder, die Zentralasien ausmachen, Kasachstan, Kirgisian, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan erlangten ihre Unabhängigkeit 1991. Sie haben einmal mehr weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen durch die fantastischen Öl- und Erdgasvorräte, die in der Region gelagert sind. In ihrem Wunsch, politische Stabilität, wirtschaftliche Unabhängigkeit und Wohlstand zu erreichen, sind diese Nationen bestrebt, Beziehungen mit den USA aufzubauen. Infolgedessen hat Energieminister Frederico Pena im vergangenen November im Auftrag des Präsidenten eine Reise ans Kaspische Meer und nach Zentralasien unternommen, um entsprechende Kontakte aufzunehmen. Die Energievorkommen der Region waren auch Gegenstand der Gespräche beim Besuch des Staatspräsidenten von Kasachstan, Nasarbajew, und des Premierministers von Usbekistan, Sultanow, im November.
Kasachstan und Turkmenistan besitzen reiche Öl- und Gasvorkommen, sowohl offshore auf dem Kaspischen Meer als auch im Binnenland; sie wollen sie umgehend ausbeuten können. Usbekistan verfügt über Öl- und Gasreserven, die ihm eine autarke Energieversorgung und darüber hinaus Deviseneinkommen erlauben können. Die Schätzungen über die zentralasiatischen Ölreserven variieren stark, aber sie werden gewöhnlich auf dieselbe Stufe mit denen der Nordsee oder Alaskas gestellt. Genauere Angaben über die Vorkommen an Öl und Gas erfordern eine breitere Erschließung und mehr Bohrungen.
Erklärte energiepolitische Ziele der USA in dieser Region umfassen: die Stärkung der Unabhängigkeit dieser Staaten und ihrer Bindungen an den Westen; Russlands Monopol über die Transportwege für Öl und Gas zu brechen; die Sicherheit der Energieversorgung des Westens durch eine Vervielfältigung der Anbieter zu fördern; den Bau einer Ost-West-Pipeline zu betreiben, die nicht durch den Iran führt; Iran die gefährliche Kontrolle über zentralasiatische Ökonomien zu entziehen.
Darüber hinaus wollen die USA verhindern, dass ein einzelnes Land die Kontrolle über die Region erlangt; stattdessen drängen sie alle verantwortlichen Staaten, bei der Ausbeutung der regionalen Öl- und anderen Vorkommen miteinander zu kooperieren.
Zentralasien bietet bedeutende neue Investitionsmöglichkeiten für eine große Vielzahl amerikanischer Unternehmen; im Gegenzug wird dies die wirtschaftliche Entwicklung in der Region erheblich voranbringen. Japan, die Türkei, der Iran, Westeuropa und China — sie alle suchen nach wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten und fordern die Vorherrschaft Russlands in dieser Region heraus. Für US-Politiker ist es unerlässlich, dass sie verstehen, was in Zentralasien auf dem Spiel steht. Wir versuchen eine Politik zu formulieren, die die Interessen der USA und der US-Wirtschaft bedient."

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04


LeserInnenbrief@soz-plus.de
zum Anfang