Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 25.10.2001, Seite 14

Antideutsche Irrungen und Wirrungen

International wird den Deutschen oft die Neigung zugeschrieben zu übertreiben — nicht zu Unrecht; das hat historische Gründe. Man merkt‘s auch in der Linken: Sektierertum, wüste Polemik, Selbstzerfleischung — wer könnte es besser als wir hierzulande? Während des Golfkriegs gegen "Hitler" Hussein schwenkten die deutschen "Antinationalen" und "Antideutschen" einschließlich der Monatszeitschrift Konkret ins imperialistische Lager, unterstützten den Krieg des Westens und verdächtigten jene des Antisemitismus, die sich in Wort, Schrift, Bild und auf der Straße dagegen wandten.
Konkret wendet sich heute gegen den "Feldzug" der USA und ihrer Alliierten, droht gleichwohl per Gremliza- Editorial mit jedem zu brechen, der sich in diesem Zusammenhang gegen Israel wenden sollte. In der Wochenzeitung Jungle World finden sich Beiträge gegen den Krieg (darunter sehr informative), aber auch solche, die sich über den "Antiamerikanismus der Linken" beschweren.
Im Namen des ultra(schein)radikalen Flügels der Antideutschen/Antinationalen titelt das antideutsche "Theorieorgan" Bahamas mit: "Intifada, weltweit — Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!" So lautet auch die Überschrift zur dort abgedruckten Erklärung der Bahamas-Redaktion.
Sie meinen es ernst. Sie unterstützen den Krieg der Herrschenden im Namen ihrer vorgeblichen Revolte. Diejenigen, die sich dagegen auflehnen, dass Katastrophen und Kriege ganz anders bewertet werden, wenn sie in den reichen Metropolen passieren und nicht in irgendwelchen armen Ländern; die sich dagegen aussprechen, unter der Fahne eines "Feldzugs gegen den Terrorismus" wiederum weitere unschuldige Opfer im arm gehaltenen Teil dieser Welt zu treffen; die auf die Straße gehen, weil sie wissen oder ahnen, dass hinter den vorgeschobenen offiziellen Beweggründen die Profitinteressen des Großkapitals der reichen kapitalistischen Industrieländer stecken, und dass die abhängig Beschäftigten und Ausgegrenzten wieder einmal die Zeche zahlen sollen für die "grenzenlos gerechten" Militärschläge — alle diese tun bitter Unrecht, sie begreifen nicht oder wollen nicht begreifen, worum es in Wirklichkeit geht: Um die antisemitische Kumpanei des Islamismus und der deutschen "Krauts", die gegen das Finanzkapital und somit gegen die Juden, gegen die USA und gegen Israel sind, weshalb Deutschland den "Feldzug" nur halbherzig und nur zum Schein unterstützt und irgendwie eigentlich Krieg gegen Israel führt.
Auf dieser Linie "argumentierend" dient das genannte Bahamas-Heft wieder einmal zur Denunziation der ganzen Linken, aber heftig wie nie. Die neue Antikriegsbewegung? Die Gegner der kapitalistischen Globalisierung einschließlich Attac? Alles antisemitischer Mob! Methodisch die alte Leier: Einzelne Satzfetzen aus linken Zeitungen werden aneinander gereiht, um den "Antisemitismus" der Betreffenden zu "beweisen" — eine Auseinandersetzung mit deren wirklichen Positionen unterbleibt.
Nun könnten wir diese ex-linken Sauer-Krauts unsererseits mit Polemik überziehen, die Brüder machen es einem leicht. Nehmen wir z.B. folgende analphabetische Passage der "2.Erklärung der Bahamas-Redaktion":
"Keine Kritik am Kapital ist legitim — es sei denn jene, die seine barbarische Selbstaufhebung — d.i. die Projektion des im Inneren stillgelegten sozialen Antagonismus auf den äußeren Feind, die Juden und Israel — die im Islamismus derzeit seine größte Massenbasis und in Deutschland seinen unverhohlensten Fürsprecher findet, ins Zentrum der Analyse rückt und zum Angelpunkt der Agitation macht. Keine Staatskritik ist legitim — es sei denn jene, die mit dem Staat Israel, jener prekären Nothilfemaßnahme gegen jene antisemitische Raserei, die der Nationalsozialismus als die historisch erste Selbstaufhebung des Kapitals entfesselt hatte, bedingungslos solidarisch erklärt."
Oder folgenden phantasmagorischen "Minimalkonsens" für gemeinsame Aktionen:
"Das Morden des palästinensischen Kollektivs geht weiter … Für Israel ist die Bahamas-Redaktion für jede Bündniskonstellation offen, wenn gewährleistet ist: Keinerlei Kritik am Staat Israel, sondern unbedingte Solidarität mit dem jüdischen Staat; schärfste Ablehnung der palästinensischen Nationalbewegung in allen ihren Ausprägungen; schärfste Kritik an den deutschen und europäischen Bemühungen, zusammen mit der islamischen Welt Israel in die Knie zu zwingen; keine antikommunistischen Manifestationen; kein Kritik-Verbot an der deutschen Linken und ihren antiisraelischen Umtrieben…"
Anstatt diesen so seltsam antikommunistischen "Kommunisten" nun vorzuhalten, dass sie es sind, die im Grunde eine "Sonderbehandlung" für Juden vorschlagen (nur denen wird ein "Staat" zugemutet, als "Kommunist" ist man schließlich gegen Staaten), und dass ihre Position ausschließlich in Deutschland entstehen konnte und keinerlei internationaler Positionsbildung standhält (jedenfalls nicht, wenn revolutionäre jüdische Israelis daran teilnehmen "dürfen", die sind nämlich "zufällig" mit der "palästinensischen Nationalbewegung" solidarisch), fragen wir lieber, ob es nicht doch ein legitimes politisches Bedürfnis gibt, das in dieser verzerrten Bahamas-Manier zum Ausdruck kommt und demnach Teile der Linken zu Recht verunsichert.
Jenseits aller Übertreibungen ist eines wahr: Der deutsche Imperialismus, der in der Schröder-Regierung einen getreuen Erfüllungsgehilfen hat (ganz in der Tradition der Kohl-Regierung), ist alles andere als ein "Vasall" oder "Knecht" des US-Imperialismus.
Dieser deutsche Imperialismus hat seine eigenen Ziele und verfolgt sie mit großer Zähigkeit. Dazu gehört der Aufbau der EU unter maßgeblichem deutschen Einfluss. Dazu gehört die Eroberung eines Sitzes im UNO-Sicherheitsrat. Dazu gehört das "Recht" und die Möglichkeit, "endlich" wieder in aller Welt militärisch intervenieren zu können (zunächst natürlich "im Bündnis" mit den imperialistischen Konkurrenten). Dazu gehört letztendlich sogar der Griff zu Atomwaffen.
Und für alles das wollen die Herrschenden in Deutschland sich von allen Folgen der braunen Vergangenheit "befreien", in deren Kontinuität und Rechtsnachfolge die BRD steht.
Wenn auch die BRD im aktuellen Konflikt die dritte oder vierte Geige spielt und sich — mit eigenen Akzenten, die in der Tat auf vergrößerten Einfluss u.a. in der arabischen Welt abzielen — in den von den USA geführten "Heiligen Krieg" (man weiß nicht recht gegen wen) "gegen den Terrorismus" nur einreiht, so ist es doch notwendig, die Kritik an den spezifischen Interessen des deutschen Imperialismus in die Antikriegsbewegung hinein zu tragen und auch die Kritik an jeglichem falschen oder unentwickelten Bewusstsein, das z.B. meint, man müsse "gegen die Amis" sein und von den Klasseninteressen abstrahiert, die hinter den Fassaden der Nationalstaaten und Weltregionen verborgen sind. Dazu gehört auch die Kritik an Ausdrücken oder sprachlichen Wendungen, die dem Ziel der Herrschenden in der BRD entgegenkommen, die Nazi-Vergangenheit möglichst billig zu "entsorgen".

Manuel Kellner

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