Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.22 vom 25.10.2001, Seite 14

La petite terreur

Kolumne von Thies Gleiss

Die IG Metall sorgt sich um die Zukunft. Vorrangig um ihre eigene als Großorganisation und Erwerbsquelle diverser mehr oder weniger abgehobener Klassenkollaborateure und Bürokraten, aber — weil letzteres immer noch damit zusammenhängt — auch um die Gewerkschaft als Kampforgan der Lohnabhängigen. Der Hintergrund sind anhaltende Mitgliederverluste. So veröffentlichte das Institut der deutschen Wirtschaft gerade mit unverhüllter Häme, dass die "die deutschen Spitzengewerkschaften" seit 1991 ein Drittel ihrer Mitglieder verloren und erstmals wieder weniger Beitragszahler hätten als vor dem unverhofften Mitgliederregen nach dem Anschluss der DDR. Dabei ist die IGM die Spitze der Spitzen.
Die IG Metall lässt sich bekanntlich mehr als andere die Erkenntnis von Banalitäten viele Deutschmark kosten — nur beiläufig sei an die vergoldeten Gutachten und ähnliches beim Immobiliengeschäft in Frankfurt oder beim Streit mit ihrem Ex-Liebling Steinkühler erinnert — und deshalb organisierte sie eine groß angelegte Umfrage, was ihre Mitglieder von "ihrer" Gewerkschaft halten. Ein Fragebogen sollte individuell ausgefüllt und zurückgeschickt werden. 120.000 Antworten gingen ein und davon haben immerhin zwei Drittel den methodischen Individualismus ein klitzekleines bisschen unterlaufen, indem sie — von Betriebsräten und Vertrauensleuten angeleitetet — so etwas wie "Betriebsantworten" abgaben. Aber das soll niemand mit kollektiver Diskussion und Meinungsfindung verwechseln, der gesamte Fragebogen ging nur vom "kleinen Beitragszahler" als Objekt der Begierde der IG-Metall-Führung aus.
Die jetzt veröffentlichten vorläufigen "Ergebnisse" — es kommen natürlich noch neun (!) wissenschaftliche Untersuchungen und andere "Herr-schmeiß-Hirn-hinab"-Projektauswertungsbegleiterscheinungen hinzu — hätten wir der IG Metall auch sofort und für ‘nen halben Euro mitgeteilt: die Mitglieder erwarten, dass die Gewerkschaft mehr für sie herausholt, vor allem Kohle, Zaster, Pinke Pinke; sie wünschen sich mehr Arbeitsplatzsicherheit und weniger Stress; sie leiden unter zu vielen Überstunden, und neue generelle Arbeitszeitverkürzung ist so schön, dass sie sich nur noch eine aufgeklärte Minderheit als Realität vorstellen kann. Ansonsten sind die Mitglieder ein Abbild der herrschenden Verhältnisse mit leicht überdurchschnittlicher Rechtstendenz.
Für eine statistische Erkenntnis danken wir dem "Zukunftsreport" allerdings und wären bereit, den halben Euro dafür zurückzugeben: 37% der Antworten reklamieren für sich eine "instrumentelle Arbeitsorientierung", arbeiten also, um Geld zu bekommen. Dagegen wollen 48% eine "berufsbezogene Arbeitsorientierung" haben, fühlen sich in ihrem Berufsleben also wohl und ausgefüllt. Nur noch knapp die Hälfte der arbeitenden Klasse ist also immer noch blind für Entfremdung und Ausbeutung in ihrem täglichen Austausch der Ware Arbeitskraft gegen einen kleiner werdenden Teil des Mehrwerts. Oder genauer: macht sich blind dafür.
Den Anteil hätten wir — strategische Optimisten und taktische Pessimisten, die wir sind — um einiges höher angesetzt. Die meisten Antworten wurden schließlich noch zu einer Zeit gegeben, als die Party der sogenannten New Economy noch voll im Gange war und die in diesem Sommer verkündeten 350.000 Entlassungen in der weltweiten IT-Industrie noch nicht in den Schlagzeilen waren.
Dass sich diese 48% vor allem an sich selbst berauschen, notfalls mit Sekt und Koks als Treibstoff, wird aus einer anderen Umfrage deutlich, der wir mehr Bestand vor der Wirklichkeit zusprechen: Laut Gallup würden sich mehr als 83% der deutschen Arbeitnehmer nicht für "ihre" Firma engagieren. 15% wären sogar "aktiv unengagiert", seien also aggressiv, fehlten oft und würden die Produkte "ihrer" Firma nicht weiter empfehlen. Das Gallup-Institut "errechnet" daraus einen Volkswirtschaftsschaden von 436,4 Milliarden Mark, aber da sind wohl die Gäule durchgebrannt oder es wütete der Druck- und Kommafehlerteufel.
Die FDP ist so freundlich — liebe IG Metall — gerade eine Kampagne zur Abschaffung von §15 Grundgesetz (Enteignung von Privateigentum an Produktionsmitteln) vorzubereiten, weil er nicht mehr "zeitgemäß" sei. Das wäre doch ein guter Anlass, das Gegenteil zu organisieren: kämpft dafür, dass für die 83% die Firmen tatsächlich zu "ihren" werden, nehmt den 48% die Klappen von den Augen und siehe da: der Mitglieder- und Beitragszuwachs der Gewerkschaften stellt sich von allein ein…

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