Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 08.11.2001, Seite 2

Dafür oder dagegen

Der Krieg, die Angst und die Opposition

von CHRISTOPH JÜNKE

Neulich in Berlin: Die Freundin eines Freundes meiner guten Bekannten sah, wie ein arabisch aussehender Mann seine Brieftasche verlor. Sie hob sie auf, lief hinter ihm her und übergab ihm die Börse mit immerhin 8000 DM. Überdankbar ob dieser guten Tat gab der Mann der Frau hinter vorgehaltener Hand einen Rat mit auf den weiteren Weg: Meiden Sie morgen öffentliche Gebäude!
Natürlich passierte am nächsten Tag nichts dergleichen, außer einem Ehekrach meiner guten Bekannten. Während sie seit Kriegsbeginn, seit dem 7.Oktober, offizielle und inoffizielle Nachrichten mit dem prinzipiellen Verdikt: "Alles Lüge!" versieht, glaubte ihr Mann die Geschichte und wollte nicht vor die Haustür gehen.
Deutschland im Herbst: Geschichten vom Terror machen die Runde, so wie Geschichten von verschickten Päckchen mit weißem Pulver. Da wird zwar auch gern und viel nachgeholfen von politischer und journalistischer Seite — immerhin gilt es, die Bevölkerung auch dann bei Kriegslaune zu halten, wenn immer offensichtlicher wird, wie halt- und erfolglos der Krieg ist. Trotzdem ist die Angst real und nicht unbegründet. Schließlich befinden wir uns im Krieg, ganz offiziell und ganz konkret. Im Krieg gegen Afghanistan, und im Krieg gegen einen weitgehend imaginären Feind, den internationalen Terrorismus.
Wir werden uns deswegen nicht mehr raus reden können, wenn denn die nächsten Attentate der mutmaßlichen Terroristen auch in Deutschland stattfinden. Wir haben dann, so bitter das klingt, kein Recht mehr, uns gegen solcherart barbarische Akte zu empören, denn wir sind nicht mehr nur Opfer, sondern Täter und/oder Komplizen dieser Barbarei. In dem von Bush erklärten und von der fast vollständigen One World aktiv mitgetragenen Krieg sind kriegerische Akte des internationalen Terrorismus nicht nur wahrscheinlich, sondern auch legitim. Terrorakte gegen die Bundesrepublik und damit potentiell auch gegen uns, die wir dies lesen, sind legitim.
Diese Feststellung ist nicht nur brutal, sie ist zutiefst zynisch. Aber sie ist real. Es ist die Logik des Krieges selbst, die diesen menschenverachtenden Zynismus gebärt. Wer diesen Zynismus nicht mitmachen will, der kann dies nur, wenn er diesen Krieg grundsätzlich ablehnt. Ein Großteil der Bevölkerung akzeptiert jedoch noch immer die veröffentlichte Meinung, dass der Bündniskrieg der USA als Akt der Selbstverteidigung gerechtfertigt sei. Politischen Kollektiven wie "Amerika", "dem Westen" oder "der zivilisierten Welt" wird zugebilligt, wie Individuen zu reagieren. Doch ein solch neoliberales Menschenbild bedeutet einen eklatanten Bruch mit den bürgerlichen Prinzipien von Aufklärung und Rechtsstaatlichkeit. Es verdient nicht jenen Namen Zivilisation, den es wie ein löchriges Banner vor sich her trägt. Ob sie wollen oder nicht, alle, die so denken und reden, sind Teil des herrschenden Zynismus, sind aktiver Teil des Krieges, denn der Krieg lässt nur zwei Möglichkeiten offen: Dafür oder dagegen. Das eben ist der grundsätzlich reaktionäre Charakter eines jeden Krieges: Etwas Drittes gibt es nicht, und bist du nicht mein Freund, so bist du mein Feind.
Wir sollten uns deswegen weniger über SPD-Bundeskanzler Schröder wundern, der zu Recht immer wieder von bedingungsloser Solidarität faselt. Er und Fischer mögen in privaten Stunden anders denken und sich in ihrer Rolle etwas unwohl fühlen, doch schließlich beherrschen sie das herrschende zynische Spiel und wissen, was des Kaisers ist. Wundern muss man sich mehr über jene sich progressiv Wähnenden, bspw. die Bündnisgrünen, die meinen, einen Eiertanz des "Ja, aber" veranstalten zu können. Krieg ja, aber bitte mit etwas mehr Kritik und Distanz. Bomben und Brot ja, aber bitte etwas mehr Brot. Wer der Hegemonialmacht USA das Recht auf Militärschläge gegen Afghanistan zubilligt, steckt jedoch unweigerlich in der Falle der Kriegslogik und ist schlicht nicht glaubwürdig, wenn er meint, auch noch ein bisschen Kritik an den militärischen Methoden des Krieges anbringen zu dürfen.
Die einzige politische Organisation der Bundesrepublik, die konsequent Nein zum imperialistischen Krieg und seinen undemokratischen Folgen sagt, ist jene Partei, die sich auf einen demokratischen Sozialismus beruft. Das ehrt sie nicht nur, sondern macht einmal mehr deutlich, dass wer heutzutage für zentrale Werte bürgerlicher Aufklärung, für demokratische Errungenschaften und gegen Militarisierung und politischen Mord eintritt, fast schon automatisch ein Feind des herrschenden Establishments und seiner Meinungsindustrie ist.
Das ist beileibe keine neue Erfahrung, sondern aktualisiert die alte Lehre der klassischen, sozialistischen Arbeiterbewegung. Nicht die Herrschenden garantieren Aufklärung und Demokratie. Das kapitalistische Bürgertum braucht und verteidigt die Demokratie nur solange, solange sie zur Durchsetzung ihrer eigenen Herrschaft nützlich ist. Es ist "die Internationale", die das Menschenrecht erkämpft. Theoretisch. Praktisch haben wir keine solche Internationale. Praktisch haben wir die PDS. Immerhin. Doch der Sog des Status quo ist stark. Wie stark die Anpassungstendenzen an die herrschende Gesellschaftsform sind, zeigt ausgerechnet der Jurist und PDS- Frontmann Gregor Gysi. Natürlich nur als letztes Mittel erkennt auch er das vermeintliche Recht auf militärische Selbstverteidigung der USA an. Aber gerade dieses "letzte Mittel" markiert präzise die Unterordnung unter die Imperative herrschender Logik.
So landet man objektiv auf der Seite eines kriegführenden imperialistischen Landes. Und so nah liegen Hoffnung und Verzweiflung in heutiger Zeit.

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