Sozialistische Zeitung |
Die Drohung von George Bush ist ernst zu nehmen: "Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit al-Qaida, aber endet nicht damit." Die Gruppe um
Paul Wolfowitz insistiert fast täglich darauf, den Irak zum nächsten Ziel zu machen.
Wolfowitz, Scharfmacher aus der Zeit des früheren Präsidenten Ronald Reagan, ist stellvertretender US-
Kriegsminister. Sein Mitstreiter Richard Perle führt mit Kriegsminister Donald Rumsfeld einen "think tank", eine Denkfabrik, die, unterstützt von der ehemaligen Uno-
Botschafterin Jeanne Kirkpatrick, Präsident Bush zu Militärschlägen gegen den Irak aufgefordert hatte. Perle leitet auch den American Defense Policy Board (ADPC), ein das
Pentagon beratendes Gremium von führenden Sicherheitsstrategen beider grossen US-Parteien. Dazu gehören der frühere Sprecher des Repräsentantenhauses Newt
Gingrich; Harold Brown, Verteidigungsminister unter Präsident Jimmy Carter; der frühere Aussenminister Henry Kissinger; der ehemalige CIA-Chef James Woolsey und weitere
politische Schwergewichte.
Die New York Times (NYT) berichtete am 12.Oktober von ADPC-Plänen, den südlichen Irak und die
Ölfelder um Basra militärisch zu besetzen und mit den Erlösen aus dem Öl Aufstände im Süden und im kurdischen Norden zu finanzieren. Der britische
Observer berichtete schon am 30.September über die gleichen Kriegspläne, die auch Einsätze in Syrien, im libanesischen Bekaa-Tal gegen die Hisbollah, in Algerien und im
Sudan skizzieren.
Weiter könnten "US-Spezialeinheiten zusammen mit einheimischen Kräften gegen terroristische Zellen in
alliierten westlichen Ländern eingesetzt werden, speziell in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Spanien". Am 10.Oktober resümierte die NYT Aussagen von
US-Beamten, wonach wahrscheinlich offene und verdeckte Aktionen gegen das Bin-Laden-Netz auf den Philippinen, in Indonesien und Malaysia folgen werden. Am 14.Oktober zitierte der
Observer einen US-Vertreter aus dem Wolfowitz-Umkreis so: "Dieser Krieg richtet sich gegen das Virus des Terrorismus. Bei Knochenkrebs reicht es nicht, den Fuss zu amputieren. Man
muss die gesamte Chemotherapie absolvieren. Und wenn das bedeutet, sich auf den nächsten Hundertjährigen Krieg einzulassen dann machen wir das."
Kontroversen innerhalb des Kriegsestablishments betreffen weniger das Ob, als das Wie und Wann. Wichtiger als
Erörterungen möglicher Unterschiede ist ein Blick auf die zugrunde liegende, offen kolonialistische Weltsicht. Im Wall Street Journal (WSJ) vom 9.Oktober leitartikelt der
Wirtschaftshistoriker Paul Johnson ganz offen: "Die Antwort auf Terrorismus? Kolonialismus!"
Im historischen Aufwasch wird etwa der chinesische Boxeraufstand von der vorletzten Jahrhundertwende als
"terroristische" Aktion interpretiert. Das ist sinnig: Der Boxeraufstand war eine Revolte der Subsistenzbauern wegen der von den kolonialen Mächten mit ihren
Zwangsmaßnahmen mitverursachten Hungersnöte in der Folge von El-Niño-Dürren. Auch heute trifft die mit Hunger kalkulierende Kriegsführung weniger die
Talibancliquen als vielmehr die modernisierungsstörrische Subsistenzbevölkerung mit unvorstellbarer Brutalität. Der britische Generalstabschef Admiral Boyce: "Der
Druck wird so lange gesteigert, bis die Leute im Lande begreifen, dass das so lange weitergeht, bis sie ihre Führung auswechseln." (NYT, 28.10.)
Der Satz von Wolfowitz, gewisse ("terroristische") "Staaten beenden" zu müssen, wird im WSJ
erklärt: "Amerika und seine Alliierten werden sich dabei wiederfinden, zumindest zeitweilig verstockte terroristische Staaten nicht nur mit Truppen zu besetzen, sondern sie auch zu
verwalten. Dazu gehören eventuell nicht nur Afghanistan, sondern der Irak, der Sudan, Libyen, der Iran und Syrien. Ich vermute, dass die beste mittelfristige Lösung in der
Wiederbelebung des Mandatsystems des alten Völkerbundes besteht, welche in der Zwischenkriegszeit als ‚respektable Form des Kolonialismus gute Dienste geleistet hat."
Martin Wolf von der Financial Times (FT) resümiert am 10.Oktober die zugrunde liegende Theorie in seinem
Kampfaufruf mit dem Titel: "Es braucht einen neuen Imperialismus." "Versagerstaaten" stellten "einen Herd von Krankheiten, Quelle von Flüchtlingen,
Hafen für Verbrecher oder Lieferanten harter Drogen" dar. Er zitiert einen Begriff von Robert Cooper, "die vormoderne Welt des vorstaatlichen und postimperialistischen
Chaos".
Cooper, britischer Autor und Diplomat, ist heute wichtigster Afghanistanberater des britischen Außenministers Jack
Straw. Cooper gehört zu den wichtigsten Promotoren der in den letzten zehn Jahren entwickelten Theorie der failed states, der versagenden Staaten. In einer globalisierten Welt lassen sich
solche "Chaoszonen" der deutsche Bundesaußenkriegsminister Josef Fischer spricht vor dem Bundestag von "Zonen der Ordnungslosigkeit" nicht
mehr länger isolieren.
Cooper: "Wenn sie für die etablierten Staaten zu gefährlich werden, ist es möglich, sich einen
defensiven Imperialismus vorzustellen." Staaten versagen dann, so der FT-Chefideologe Wolf unter Berufung auf den Weltbanker William Easterley, wenn sie von Armut, Korruption,
Partikular- und ethnischen Interessen beherrscht werden. "Wenn ein Versagerstaat gerettet werden soll, müssen die wesentlichen Elemente einer ehrlichen Regierung, vor allem ihres
,Zwangsapparates, von aussen gestellt werden."
Und die Washington Post schreibt am 29.Oktober: "Wenn wir Afghanistan stabilisieren wollen, müssen wir unsere
postkolonialen Institutionen die UNO, die Weltbank, Hilfsagenturen wie das Rote Kreuz mit neuer imperialer Energie versehen."
Zonen des Elends werden also als Folge des transnationalen Diktats zu Zonen lokaler Kriege und Konflikte, wie etwa in
Pakistan, wo auf Druck der Weltbank das öffentliche Schulwesen zerschlagen wurde und dadurch die Koranschulen an Einfluss gewannen. Danach kommt aus der gleichen Küche
das entwicklungspolitische Rezept der "guten Regierungsführung", das offensiv den neuen globalen Kolonialkrieg legitimiert.
Dieter Düssel
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04