Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 08.11.2001, Seite 5

Die neuen Antiterrorgesetze

Überwachungs-Overkill

Der deutsche Innenminister Otto Schily startet durch. Ein deutliches Nein dazu gibt‘s bloß von der PDS.
Wer heute Datenschutz sagt, dem werden flugs die Twin Towers um die Ohren gehauen", sagt Hajo Köppen von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD). Der deutsche Bundesinnenminister und frühere "Terroristenanwalt" Otto Schily (SPD) hatte schon kurz nach dem 11.September verlauten lassen, dass man den Datenschutz bei Polizei und Geheimdiensten "vielleicht" zu weit getrieben habe.
Ein absurdes Urteil, denn die Bundesrepublik hat schon seit den 70er Jahren ein ganzes Bündel von Antiterrorgesetzen, das in den 16 Jahren der konservativen Regierung Kohl um einen Wust von Sicherheitsgesetzen ergänzt worden ist. Auch die jetzt quer durch die Republik angelaufenen Rasterfahndungen, mit denen Bin Ladens "Schläfer" unter der unauffälligen ausländischen Bevölkerung enttarnt werden sollen, sind ein Instrument, das erstmals Ende der 70er Jahre angewandt wurde und danach in den Polizeigesetzen der Bundesländer und der bundesweit geltenden Strafprozessordnung legalisiert wurde: Reihenweise geben Universitäten die Daten ihrer Studenten aus Ländern des Nahen Ostens an die Polizei heraus, die sie mit anderen Daten abgleicht.
Damit nicht genug. Bereits eine Woche nach den Anschlägen in den USA beschloss das Bundeskabinett auf Schilys Initiative, ein erstes Paket von Antiterrorgesetzen ins Parlament einzubringen. Dessen Kernstück ist die Ausweitung des bestehenden Paragrafen "terroristische Vereinigung" (§129a StGB) auf Organisationen, die ausschließlich im Ausland agieren. Theoretisch könnte jeder bewaffnete Widerstand selbst gegen eine Diktatur zur ausländischen terroristischen Vereinigung umdefiniert und verfolgt werden. Praktisch dürfte die Zahl der Verurteilungen aufgrund der neuen Strafnorm gering bleiben.
Schon der bestehende §129a war in erster Linie ein Instrument der Überwachung. Verfahren wegen "Unterstützung" von und "Werbung" für "terroristische" Vereinigungen ermöglichten "bei banalen Anlässen" — wie die DVD festhält — die Anwendung der gesamten Palette strafprozessualer Zwangsmassnahmen: von der Registrierung in Datensystemen über den V-Leute-Einsatz und die Telefonüberwachung bis hin zur Verhängung von U-Haft.
Das Antiterrorpaket ist in Wirklichkeit ein gross angelegtes Geschenkpaket für die Sicherheitsbehörden. Das Bundeskriminalamt erhält die originäre Zuständigkeit für Ermittlungen gegen terroristische Vereinigungen und gegen "gezielte Angriffe auf Informations- und Kommunikationssysteme" — und das selbst dort, wo noch kein Tatverdacht existiert. Die Lizenz zum Einsatz von V-Leuten und zu Lauschangriffen ist inbegriffen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf sich in Zukunft der Daten von Banken, Fluggesellschaften und Telekommunikationsunternehmen bedienen. Letztere sollen auf Anfrage sämtliche Verkehrs- und Verbindungsdaten herausgeben müssen. Zur Übermittlung von Daten werden auch AusländerInnen- und Asylbehörden verpflichtet. Die bereits bestehenden Online-Zugriffsmöglichkeiten der Polizei und des Verfassungsschutzes auf das Ausländerzentralregister werden erweitert. Nicht erst eine Verurteilung, sondern bereits der leise Verdacht der Nähe zum "Terrorismus" soll als Grund hinreichen. Wer unter einem solchen Verdacht steht, soll weder Asyl noch ein Einreisevisum erhalten.
Die Befugnisse des Bundesgrenzschutzes zur Ausweiskontrolle ohne jeden Verdacht werden ausgedehnt. In Pässen, Identitätskarten und Visa sollen verschlüsselt Fingerabdrucks- und sonstige biometrische Daten aufgenommen werden. Welche das sein sollen, wird durch blosse Verordnung bestimmt.
Erneuert werden soll schließlich das einzige Antiterrorgesetz, das die rot-grüne Koalition abgeschafft hat: Die Kronzeugenregelung, die Ende 1999 ausgelaufen war, soll wieder eingeführt werden.
Der in aller Eile zusammengeschusterte Gesetzentwurf war selbst dem von Schilys Parteigenossin Herta Däubler-Gmelin geführten Bundesjustizministerium (BMJ) zu weitgehend und zu schludrig. In einer "dem zeitlich vorgegebenen Rahmen angepassten ersten Prüfung" vom 17.Oktober, die innerhalb von fünf Tagen zu bewerkstelligen war, betont das BMJ, dass es sich "weitere Stellungnahmen zum Inhalt und zur Rechtsförmlichkeit ausdrücklich" vorbehält. Und: "Im Hinblick auf den Titel Terrorismusbekämpfungsgesetz scheint es zudem angeraten, den Gesetzentwurf auch tatsächlich auf Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu beschränken."
Die Mahnungen der Juristen dürften den wild gewordenen Innenminister kaum bremsen. Beide Pakete könnten noch vor Jahresende die parlamentarischen Hürden nehmen. Von der konservativen Opposition ist kein Widerstand zu erwarten. Die Grünen, die vor kurzem noch die Antiterrorgesetze der 70er und 80er Jahre ganz abschaffen wollten, wagen es nicht, aus der Koalition auszubrechen, und beschränken sich auf "Aufrufe zur Besonnenheit". Von einzelnen Abweichlern aus der rot-grünen Koalition abgesehen, steht deshalb die PDS mit ihrem Nein alleine da.

Heiner Busch

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