Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.23 vom 08.11.2001, Seite 6

Stichwort: WTO

Welthandelsorganisation

Seit dem 30.November 1999 ist die Welthandelsorganisation (WTO) einer breiteren internationalen Öffentlichkeit bekannt. An diesem Tag trafen sich Regierungsvertreter und Konzernchefs zur "Milleniumsrunde" der WTO in Seattle und lösten dadurch die größte Demonstration in den USA seit den Anti-Kriegs- Protesten 1968 in Chicago aus.
Die WTO, die sich den grenzenlosen Handel der Waren und Dienstleistungen auf ihre Fahnen geschrieben hat, ist aus vielen Gründen Stein des Anstoßes. Gewerkschaften fürchten einen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen und schlechtere Arbeitsbedingungen, Umweltorganisationen kritisieren die umwelt- und artenschädigende Streitschlichtung der WTO, Verbraucherschutzverbände sehen die Rechte der Konsumenten gefährdet, Bauernverbände aus Europa bangen um ihre Subventionen und Regierungen der Entwicklungsländer sowie Dritte-Welt-Gruppen sehen ein weiteres Auseinanderdriften zwischen Nord und Süd, und zahlreiche Menschen in der Dritten Welt bangen schlicht um ihre Existenz.
Bisher haben die Entscheidungen der WTO diese Kritik weitgehend bestätigt. Seit 1995 legt sie als einzige international anerkannte Vertragsinstitution die Regeln im Welthandel fest. Neben dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, zuständig für den internationalen Finanzsektor, ist die WTO die dritte supranationale Institution mit entscheidendem Einfluss, die eng mit den beiden anderen kooperiert. Ihre Entscheidungen sind für das ökonomische Geschehen auf dem Globus von einschneidender Bedeutung: zwischen den mittlerweile 142 Mitgliedsstaaten werden 90% des Welthandels abgewickelt.
Entsprechend der drei WTO-Säulen gibt es jeweils einen Rat für Waren, Dienstleistungen und geistiges Eigentum. In allen Bereichen gilt das Prinzip der "Meistbegünstigung". D.h., alle handelspolitischen Zugeständnisse, die sich zwei Mitgliedstaaten untereinander machen, gelten automatisch auch gegenüber den anderen Mitgliedstaaten. Einzige Ausnahmen sind Freihandels- und Sonderwirtschaftszonen wie bspw. die EU und die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA, die ihre interne Handelspolitik selbstständig bestimmen können.
Das Primat der Ökonomie ist unantastbar: Die Bestimmungen zur gegenseitigen Handelserleichterung in der WTO schließen auch Sonderzölle und -behandlungen aus politischen Gründen aus. Gemäß dieser sog. "Nichtdiskriminierung" wären die handelspolitischen Boykotte gegenüber dem Apartheidregime in Südafrika nicht WTO-konform gewesen.
Die Biografie des amtierenden Generaldirektors, der die WTO-Behörde mit ihren 500 Mitarbeitern in Genf leitet und von der mindestens alle zwei Jahre tagenden Ministerkonferenz gewählt wird, liest sich wie ein Zugeständnis an die Kritik aus den Entwicklungsländern und von Nichtregierungsorganisationen. Als ehemaliger Sozialarbeiter und Gewerkschaftsfunktionär scheint WTO-Direktor Michael Moore nicht den neoliberalen Klischees zu entsprechen. Mit dem Neuseeländer steht erstmals ein Nichteuropäer an der Spitze der WTO. Seine erste Rede als Direktor hielt er im September 1999 in Marrakesh. Das Publikum stellten dort nicht etwa Vertreter der Triadenmächte, sondern er sprach als erster WTO-Direktor auf einem Treffen der Gruppe der 77, einem Zusammenschluss von Ländern aus der Dritten Welt, die sich als gemeinsame Interessenvertretung gegenüber den Industrienationen verstehen. "Die WTO ist eine Familie, in der jedes Mitglied seinen gleichberechtigten Platz am Tisch hat", ließ er seine Zuhörer wissen.
Tatsächlich funktioniert die WTO formal nach dem Prinzip "ein Land, eine Stimme" — mit Ausnahme der EU, deren Stimmen in der Hand des EU-Aussenhandelskommissars Pascal Lamy gebündelt sind. Das unterscheidet die WTO von einer Institution wie dem IWF, wo die Stimmenanteile nach den finanziellen Einlagen gemessen werden. Den Entwicklungs- und Schwellenländern kommt deshalb eine besondere Rolle zu. Ihre kollektive Abwehrhaltung gegenüber der Politik der Quad-Gruppe (USA, Kanada, Japan und EU) in der WTO hatte die letzte Ministerkonferenz in Seattle zum Scheitern gebracht. Zuvor war es der Quad-Gruppe immer wieder gelungen, ihren Informationsvorsprung, den sie dank ihrer kostspieligen Beraterstäbe hat, für sich auszunutzen.

gk

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