Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 22.11.2001, Seite 6

Italien

Metallarbeiter im Streik

Der "heiße Herbst", von dem im Juli in Genua die Rede war, hat begonnen. Am Freitag, dem 16.November, traten drei Viertel der italienischen Metallarbeiter in den Streik für einen neuen Tarifvertrag. 250.000 Menschen folgten dem Aufruf der FIOM, der Metallgewerkschaft der CGIL, zu einer landesweiten Demonstration nach Rom.
Die Regierung Berlusconi hatte sich für diesen Tag eine besondere Provokation ausgedacht: Sie kündigte nämlich an, den Art.18 des italienischen Arbeitsgesetzbuchs zu revidieren, der den Kündigungsschutz sichert. Das Gesetz erlaubt bisher Kündigungen nur in "begründeten und gerechtfertigten Fällen"; die Regierung möchte diese Beschränkung aufheben und willkürliche Kündigungen zulassen. "Wie vor den 70er Jahren", erklärt der Vorsitzende der CGIL, Sergio Cofferati, einer der Hauptredner auf der Demonstration in Rom. Der Mann, der vor ein paar Monaten noch als Kandidat für den Vorsitz der Linksdemokraten (DS) im Gespräch war, will sich nicht auf die Losung des Generalstreiks festlegen. Aber er beschwört die "konkrete Gefahr des Bruchs zwischen den Gewerkschaften und der Regierung" und erklärt, die CGIL wolle "ein Hindernis auf dem Weg einer Rechten [sein], die unsere Rechte außer Kraft setzen will". Cofferati will den beiden anderen gewerkschaftlichen Dachverbänden, CISL und UIL, vorschlagen, sich an "angemessenen Protestaktionen" zu beteiligen.
Den Generalstreik fordert hingegen unmissverständlich Claudio Sabattini, der Generalsekretär der FIOM. "Wir werden hier nicht Halt machen. Man wirft uns vor, wir wollten den politischen Streik, aber wenn Berlusconi den Art.18 streichen und die prekäre Beschäftigung steigern will, dann ist das eben ein politischer Streik."
Die Demonstration kreist vornehmlich um drei Forderungen: die der Metallarbeiter nach einem neuen Tarifvertrag; die aller abhängig Beschäftigten nach Erhalt des Kündigungsschutzes und des Art.18 im Arbeitsgesetzbuch; und die nach demokratischen Rechten im Betrieb — denn die Arbeiter fürchten, dass mit den neuen Gesetzesvorhaben der Regierung auch ein Teil des Streikrechts unter die Räder gerät.
"Man brauchte ihnen nur ins Gesicht zu schauen, um zu verstehen, dass sich etwas geändert hat", schreibt die Tageszeitung Il Manifesto (17.11.). "Die Metaller sind wieder in Rom. Sie streiken und demonstrieren für alle, deshalb sind sie es, um die sich die neuen Generationen scharen, die zahlreichen prekär Beschäftigten, die sich nicht damit abfinden, dass Menschen zur Ware erklärt werden. Sie wurden beleidigt und ignoriert, man hat sie für tot erklärt, als gesellschaftliches Subjekt gebe es sie nicht mehr, nur noch als Ware, die in Fabriken und Büros verkauft wird. Jetzt sind sie wieder da, weil sie von allen am schwersten an der Last der amerikanischen Globalisierung tragen. Sie sind die Protagonisten, wie sehr auch Politik und Medien sie ausradieren wollen … Es gibt wieder Hoffnung, schaut euch um."
Die große Mehrheit unter ihnen sind Junge und ganz Junge: Arbeiter in prekärer Beschäftigung, die sich jahrelang von Dreimonatsvertrag zu Dreimonatsvertrag hangeln, und das mit Familie und Kindern. Für sie ist es besonders riskant, am Arbeitskampf teilzunehmen, sie können als erste gefeuert werden. Aber für sie ist die Lohnknechtschaft auch am unerträglichsten: "Eine Rückkehr ins 19.Jahrhundert." Aber auch viele MigrantInnen sind unter ihnen: ein Gewerkschaftssekretär aus dem Senegal, der gerade mit dem Ramadan-Fasten begonnen hat; ein Sikh aus einer kleinen Fabrik in Reggio Emilia mit einer FIOM-Fahne in der Hand…
Die FIOM, schreibt Il Manifesto, hat mit der Tradition gebrochen, dass die Metaller auf sich allein gestellt etwas zum Positiven verändern können. Sie haben zum breiten gesellschaftlichen Protest gerufen und und das "Volk der Linken" ist ihnen gefolgt: Rentner und Junge, alte und junge Arbeiter, prekär Beschäftigte und Studierende, MigrantInnen und das "Volk von Genua". Für Vittorio Agnoletto, dem Sprecher des Genoa Social Forum, ist es selbstverständlich, "an der Seite der Metallarbeiter für die gewerkschaftlichen Rechte zu demonstrieren, die die WTO in Qatar wieder mit Füßen getreten hat". Für den Sprecher der Tute Bianche, Luca Casarini, nicht minder.
Seine Beteiligung beschränkt sich nicht auf die Demonstration; einen Tag später beginnen die Organisatoren des zivilen Ungehorsams in ganz Italien Widerstandsaktionen aller Art: für die Verteidigung der öffentlichen Schulen, für das Recht auf Wohnung, gegen den Krieg. Schulen, leerstehende Häuser und öffentliche Räume werden besetzt und zu sozialen Zentren umfunktioniert, die Banken in der Hauptstadt bleiben den Samstag über geschlossen, in Neapel demonstrieren die Erwerbslosen, im Erdölhafen von Porto Marghera die Arbeiter, in Rom die Umweltschützer gegen Elektrosmog und für Grünflächen, in Turin und in Treviso die MigrantInnen für ihre Rechte.
Die Gesellschaft brodelt, und die Metaller führen sie an…

Angela Klein

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